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RassismusPathologie eines Skandals

Rassentrennung ist Alltag an einer High School im US-Bundesstaat Louisiana. Baumschatten gibt es nur für Weiße - und bei einer Prügelei werden sechs Schwarze festgenommen.

Solidaritätsmarsch für die "Jena Six": Trotz Barak Obama ist Rassismus in den USA noch immer präsent Bild: ap

LOUISIANA taz Schwer zu entscheiden, was an dieser Geschichte am unglaublichsten ist. Vielleicht, dass die sensationsgeilen US-Medien sie nicht sensationell finden. Vielleicht, weil sie tagtäglich aus Mücken Elefanten machen, aber elefantöser Rassismus in Amerika so alltäglich wie ein Mückenstich ist.

Definitiv unglaublich ist, dass es im September Anno 2006 auf dem staubigen Schulhof der Jena High School im heißen US-Bundesstaat Louisiana einen alten, großen, schattenspendenden Baum gibt, unter dem noch nie ein schwarzer Schüler gesessen hat. Die weißen Schüler haben den Schatten gepachtet, vor Generationen per Recht, seit Generationen qua Gewohnheitsrecht. Eine so eingefleischte Gewohnheit, dass es bis zum 21. Jahrhundert dauert, bis drei schwarze Schüler auf die Idee kommen, sich dem exklusiven "White's Only"-Ort nähern zu wollen. Auch dann setzen sie sich nicht einfach unter den Baum. Sie fragen den Schuldirektor, ob sie sich setzen dürften. Er sagt, sie seien frei zu tun, was sie wollten. Sie tun es. Am nächsten Tag hängen drei Galgenstricke in dem Baum.

"Das meint den Ku Klux Klan, das meint ,Nigger, wir killen euch!', das heißt ,wir hängen euch alle auf!'", versteht die schwarze Bürgerin Caseptla Bailey die Assoziationen mit der Lynchjustiz weißer Rassisten in der Vergangenheit, die nicht vergeht. Der weiße Schuldirektor will die drei weißen Strickknüpfer von der Schule verweisen. Er wird von der weißen Behörde überstimmt. Die Galgenstricke seien ein "Bubenstreich", heißt es. "Niemand sollte bedroht werden", stimmt der Schuldirektor zu. Die Täter werden für drei Tage suspendiert, niemand erstattet Anzeige.

Es ist nicht so, dass Rassismus von unsichtbaren Grenzen und unausgesprochenen Ressentiments lebt. Die Rassentrennung der amerikanischen Gesellschaft ist offensichtlich und schreit zum Himmel. Auch in Jena. In dem Holz- und Öl-Städtchen leben 3000 Menschen, 85 Prozent davon weiß, 12 Prozent schwarz. Fast alle Schwarzen leben im Viertel Ward 10, fast alle in blechernen Wohncontainern und zugigen Holzhütten. In der gutbürgerlichen Gemeinde am anderen Ende des Ortes predigt Pastor Dominick DiCarlo zu 450 weißen Schäfchen - und einem schwarzen.

Als der Galgenstreich in Wortgefechte und Schubsereien mündet, beruft Schuldirektor Roy Breithaupt eine Vollversammlung ein. Zehn Polizisten sind dabei und Bezirksstaatsanwalt Reed Walters (weiß) hält eine Rede. Marcus Jones (schwarz), Vater des später verurteilten Schülers Mychal Bell, tut das auch: "Erinnern Sie sich: Egal was an der Jena High School passiert, alles ist getrennt. Schwarze und weiße Kinder sind nur im Klassenzimmer und in den Sportmannschaften zusammen. In der Cafeteria essen die Schwarzen auf der einen Seite und die Weißen auf der anderen Seite. Im Schulhof stehen die Schwarzen in einer Ecke und die Weißen stehen für sich. In der Aula sitzen die Schwarzen links und die Weißen rechts."

In der Zeitschrift "Revolution Newspaper" legt Jones nach: "Kann man das verstehen? Im Auditorium sitzen die Schwarzen auf der einen und die Weißen auf der anderen Seite. Der Staatsanwalt schaut auf die schwarze Seite und sagt, sie sollen ihren Mund halten über die Boys, die die Galgenstricke aufgehängt haben. Er schaut die Schwarzen an und sagt, wenn er noch irgendetwas von dieser Geschichte hört, kann er ihr Leben mit einem Federstrich beenden."

Im November fackeln Brandstifter ein Gebäude der Schule ab. Es gibt keine Verdächtigen und keine Anzeige. An einem Freitagabend im Dezember gibt es eine Tanzparty in einer Halle, die als "weiß" gilt. Robert Bailey, ein 17-jähriger schwarzer Schüler und Football-Star, ist eingeladen oder fühlt sich eingeladen, jedenfalls geht er hin und unzweifelhaft gibt es eine Rangelei und Robert Bailey wird nachweislich niedergeschlagen und tatsächlich nimmt die Polizei einen weißen Jungen mit und lässt ihn mit der Auflage ziehen, sich zu entschuldigen. Am nächsten Abend zielen drei weiße Jungs an der Tankstelle von Jena mit einer Pistole auf Robert Bailey und zwei schwarze Freunde.

Die Weißen sagen, sie fühlten sich bedroht, die Schwarzen sagen, sie mussten ihnen die Pistole entringen. Die Schwarzen wurden wegen Diebstahls angeklagt, die Weißen gingen nach Hause. Am nächsten Montag gibt es eine Schlägerei zwischen weißen und schwarzen Schülern, von deren Verlauf es so viele Versionen wie Teilnehmer gibt. Jedenfalls wird der weiße Schüler Justin Barker niedergeschlagen und kurz im Krankenhaus behandelt. Sechs schwarze Schüler werden verhaftet, mit sofortiger Wirkung der Schule verwiesen und wegen versuchten Totschlags angeklagt. Der weiße Richter legt die Bürgschaften für ihre Freilassung auf 70.000 bis 138.000 US-Dollar fest.

Die "Jena Six", wie ein gerappter Protestsong auf YouTube sie tauft, schmoren Wochen und Monate im Gefängnis. Im Mai erreicht der Anwalt der Mutter von Robert Bailey eine Reduzierung seiner Kaution auf 84.000 Dollar - ein Wohncontainer in Ward 10 kostet 25.000 Dollar. Im Juni steht als erster der 17-jährige Mychal Bell vor Gericht. Präzise gesagt: Vor einem weißen Richter und einer rein weißen Geschworenen-Jury. Der weiße Anwalt des niedergeschlagenen weißen Schülers Justin Barker stuft die weißen Turnschuhe des schwarzen Angeklagten als "lebensgefährliche Waffe" ein. Der weiße Ankläger ruft 16 Zeugen auf, der schwarze Pflichtverteidiger keinen einzigen. Am 28. Juni wird Mychal Bell der schweren, vorsätzlichen Körperverletzung sowie der Verschwörung zu derselben schuldig gesprochen. Dafür kann er bis zu 22 Jahre Haft bekommen.

Nun macht Jena Schlagzeilen - in Europa. Die britische BBC, der London Observer, die französische Le Monde berichten. Das lokale Blatt "The Town Talk" schreibt: "Die Schwierigkeiten in Jena sind nicht einzigartig. Ganz und gar nicht. Das macht die Probleme hier nicht kleiner, aber es erinnert den Rest der Welt daran, dass Jena nicht alleine ist. Rassismus ist mit uns allen. Ja, die Welt schaut auf Jena und die 'Jena Six', aber die größere Wahrheit ist: Wir müssen uns ändern, wir müssen dafür arbeiten - alle von uns". Nüchtern wie selten ziehen allmählich einige nationale US-Medien nach.

Mitte Juli reist Bundesstaatsanwalt Donald Washington nach Jena. Das Justizministerium und die Bundespolizei FBI veranstalten dort ein vierstündiges Bildungs-Forum. Washington sagt "The Town Talk", er wolle einige herumgeisternde Fehlinformationen aufklären und interessierten Bürgern ihre Rechte erläutern. Er betont, das FBI stufe die Galgenstricke eindeutig als Hass-Delikt ein. Für solche Verbrechen sei die Bundesjustiz zuständig. Aber die Galgenstricke wurden ja gar nicht angezeigt, was Washington "aufrichtig, aufrichtig" bedauere. Zugleich seien die mutmaßlichen Täter aber Jugendliche. Und die Bundesjustiz klage selten Jugendliche an, und wenn, dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Und alle anderen möglichen Delikte in dieser Angelegenheit seien Sache der Justiz in Louisiana, sagt Washington auf dem laut Lokalzeitung "proppevollen" Bildungs-Forum. Aber generell müsse der Vorwurf selektiver Verfolgung unzweifelhaft bewiesen werden. Und es gebe eben weder eine Anzeige noch schriftliche Beweise, dass etwa Bezirksstaatsanwalt Walters entschieden habe, eine Gruppe von Leuten anders zu behandeln als eine andere Gruppe von anderen Leuten. "Aber", sagt Washington, "ich denke, die meisten Leute hier sind guten Glaubens und haben ein Interesse, dieses Thema zu lösen. Ich denke, die Leute würden gerne eine andere Lösung sehen, als die gerichtliche Verfolgung dieser schwarzen Kinder."

Ende Juli wird die Verkündung des Strafmaßes für Mychal Bell auf den 20. September verschoben. Die Prozesstermine für die anderen fünf der "Jena Six" sind immer noch offen. Sie sind weiterhin des versuchten Totschlags und der Verschwörung zu versuchtem Totschlag angeklagt. Am 31. Juli übergeben 300 Demonstranten in Jena dem stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt Walter Darroh eine Petition mit 45.000 Unterschriften für die sofortige Freilassung der "Jena Six" und die Einstellung ihrer Verfahren. "Ich bin Ihnen dankbar für diese Übergabe", sagt Darroh und "The Town Talk" beschreibt seinen Ton als "aufrichtig".

Am 1. August berichtet die Lokalzeitung, dass der Baum im Hof der Jena High School abgehackt wurde. "A clean slate", ein klarer Schnitt, sei das, sagt Billy Fowler, Mitglied der Schulbehörde. Letztendlich habe der Baum den Neubau des verbrannten Schulgebäudes behindert. Zugleich hofft Fowler, seine Beseitigung werde helfen, alte Wunden zu heilen. "Wir wollen nicht, dass die schwarzen Schüler den Baum sehen und wissen was passiert ist. Oder die weißen. Wir wollen einfach einen neuen Anfang."

Caseptla Bailey, die Mutter des angeklagten Robert, sagt: "Den schönen Baum abzuhacken löst die offensichtlichen Probleme nicht. Es ist immer noch passiert." Im fernen Washington ist der Bundesanwalt nicht zu erreichen. In den sehr fernen Vereinigten Staaten von Amerika gibt es Anno 2007 den ersten ernsthaften schwarzen Kandidaten für das Weiße Haus. Die Autobiografie von Barack Obama trägt den Titel "Die Kühnheit der Hoffnung".

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2 Kommentare

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  • W
    Wright

    es geht nicht den Baum, sondern Das Jim Crow Law oder(dt.: Jim-Crow-Gesetze) werden in den USA Gesetze bezeichnet, die von 1876 bis 1964 Rassentrennung (vor allem zwischen Afroamerikanern und Weißen) vorschrieben. Die Zeit, in der die Gesetze bestanden, heißt auch Jim Crow period oder Jim Crow era (dt.: Jim-Crow-Ära).

     

    In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellten das Ende der Sklaverei nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg und Emanzipationsbestrebungen der Schwarzen die allgemein verbreitete Diskriminierung der Schwarzen und die vor allem in den Südstaaten traditionelle Rassentrennung in Frage. Ab 1876 verabschiedeten daraufhin mehrere Bundesstaaten (vor allem Südstaaten und angrenzende Staaten) Gesetze, die die Rassentrennung im täglichen Leben rechtlich zementierten. Der Oberste Gerichtshof (Supreme Court) bestätigte die Gesetze 1896 de facto in seiner Entscheidung Plessy v. Ferguson und bestimmte, dass Rassentrennung ? im konkreten Fall ging es um getrennte Eisenbahnabteile ? zulässig sei, wenn die den Weißen und Schwarzen zustehenden Einrichtungen gleichwertig seien. Dieser Grundsatz wurde als separate but equal (dt: getrennt, aber gleich) bekannt.

     

    Die Gesetze und ihre Umsetzung wurden im Zuge der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung (engl. civil rights movement) in den 1950er und 1960er Jahren nach und nach abgeschafft bzw. aufgehoben. Der Supreme Court urteilte 1954 im Prozess Brown v. Board of Education of Topeka, dass Gleichheit bei Rassentrennung in der Praxis unmöglich sei, und erklärte die Rassentrennung an staatlich finanzierten Schulen für unzulässig. 1964 hob der Civil Rights Act von 1964 (dt.: Bürgerrechtsgesetz von 1964) alle noch bestehenden Jim Crow laws auf. Diese Gesetze ist immer noch lebendig, nur "moderniziert".

  • Y
    Yaltenbrucker

    Niedlich, daß sich das Ganze in "Jena" abspielt. Gut, daß die taz auf die naheliegende Überschrift "Rassismus in Jena" verzichtet hat - in der BRD klingt das schließlich wie "Wasser ist naß". Tja, die Ostzone ist halt überall...