Montagsinterview Schauspielerin Carsta Zimmermann: "Mein Herz hängt am Hexenkessel"
Carsta Zimmermann spielt seit 1994 beim Hexenkessel Hoftheater. Sechs Mal die Woche, fast immer Shakespeare. Zum Glück reicht der Verdienst wenigstens für die Miete.
taz: Frau Zimmermann, Sie spielen seit 1994 Shakespeare. Sind Sie ihn nicht langsam leid?
Sie gibt den Sir Andrew Curio in Shakespeares "Was ihr wollt". Die Frosine in Molières Stück "Der Geizige". Und parallel dazu diverse kleinere Rollen. An sechs Abenden pro Woche steht Carsta Zimmermann in gleich zwei Stücken auf der Bühne. Erst auf einem Dach im Monbijoupark, dann auf dem Schiff über der Spree. Bei Wind und Wetter, den ganzen Sommer lang. 1994 kam die gelernte Tischlerin und Pädagogin zum Theater. Ein Regisseur inszenierte im Hinterhof ihres besetzten Hauses an der Schönhauser Allee. Zimmermann machte mit. Heute gilt die 40-Jährige als "Publikumsliebling". Mit etwas Glück reicht das, um ihre Miete zu zahlen
Carsta Zimmermann: Das kann man gar nicht. Shakespeare hat alle Bereiche des Lebens abgedeckt. Macht, Liebe, Tod - da ist alles drin, pures Leben.
Warum haben Sie sich damals für Shakespeare entschieden?
Das war Zufall. Regisseur Roger Jahnke kam mit einer anderen Theatergruppe in unser besetztes Haus an der Schönhauser Allee. Es gab dort einen märchenhaften Hinterhof, den er zum Spielen nutzen wollte. Und er wollte unbedingt "Romeo und Julia" machen.
Shakespeare und linke Hausbesetzer - wie verträgt sich das?
In unserem Haus wohnten Menschen, die sich mit Kunst und Kultur beschäftigten: Regisseure, Maler, Keramiker. Jeder konnte sich ausprobieren. Wir machten im Hof Märchenabende, Lagerfeuer, Techno, Lichtshows, es brannten Pappmaché-Elefanten.
Und dann "Romeo und Julia"
Aus der ursprünglichen Idee, nur die schönen Szenen aus "Romeo und Julia" zu zeigen, wurde nichts. Stattdessen schlug Zimmermann vor, das "Wintermärchen" zu spielen. Mit drei Schauspielern war die Truppe schon etwas reduziert. Und das Konzept, viele Rollen auf wenige Leute zu verteilen, hatte schon Shakespeare angewandt.
Mit Zimmermann meinen Sie den Regisseur Jan, Ihren Bruder?
Ja, aber das ist nicht das Vordergründige. Man muss Berufliches vom Privaten trennen können. Wir arrangieren uns gut im Dienste der Kunst.
Auf der Bühne improvisieren Sie viel. Kommt es da nicht manchmal zu Konflikten mit Ihrem Bruder?
Manchmal ja. Aber einen wesentlichen Punkt habe ich mit meinem Bruder gemein: Wir lieben es, Pointen zuzuspitzen. Am Ende siegt die fürs Publikum beste Variante. Da spielt es keine Rolle, ob sie von ihm oder von mir kommt.
Sie haben jahrelang mit ihm in dem besetzten Haus gelebt. Ging das gut?
Es war nicht absehbar, dass sich unsere Wege so kreuzen würden. Ich kam von Thüringen nach Berlin, wollte hier studieren, fand keine Wohnung. In dem Haus war was frei, und so bin ich eingezogen. Es war kurz nach der Wende, zu der Zeit gab es viel kreatives Potenzial.
Wie entstand das Hexenkessel-Hoftheater?
Unser Haus hieß Hexenkessel. Oben wohnten die Kostümbildnerin und der Regisseur, drunter der technische Leiter und die Schauspielerin. Und fast alle im Haus arbeiteten mit: Vor einer Vorstellung hat man zum Beispiel schnell die Kasse gemacht, dann gings rauf auf die Bühne.
Was ist aus dem Haus geworden?
Es wurde 1998 verkauft. Die Inszenierung, die wir schon fertig hatten, konnten wir nicht mehr aufführen. Wir sind dann in den Monbijoupark gegangen, haben ein paar Bohlen zum Sitzen aufgestellt und sind dort aufgetreten.
Vom Hinterhof sind Sie inzwischen sehr weit weg. Aus dem Hoftheater entstand die Hexenkessel & Strand GmbH. Die ist mit Strandbars, Kneipen und verschiedenen Spielstätten eine wahre Kulturindustrie geworden.
Industrie hat den falschen Zungenschlag. Das Hexenkessel Hoftheater wird durch die Strandbar Mitte finanziert, 2002 übrigens die erste Strandbar Europas. Alles andere haben wir proportional mit Hilfe von Leuten erweitert, die unsere Idee verstehen.
Auch das Café Altes Europa in der Gipsstraße gehört zur GmbH. Wie passt ein ganz normaler Gastronomiebetrieb zu Ihrer Idee?
Wenn es regnet, kommt auch niemand zur Strandbar Mitte. Aber unsere Leute wollen trotzdem bezahlt werden. Das Alte Europa finanziert genauso das Theater, das als Open-Air-Betrieb sehr vom Wetter abhängt.
Gibt es beim Geschäftsgebaren Parallelen zum Theaterimpresario Falk Walter, der mit der Arena anfing und über Bade-und Partyschiffe bis in den Admiralspalast expandierte?
Ich kenne ihn nicht persönlich, aber er scheint auch ein kreativer Mensch zu sein. Ich kann nur für uns reden: Wir wollen neue Möglichkeiten finden, Theater und Kultur zu machen.
Wie viele Mitarbeiter gehören dazu?
Ich weiß nicht, zeitweise sind es wohl bis zu 300 Leute. Wir arbeiten mit Leuten, die die Idee des Hexenkessels verstehen. Es zählt die Ensembleleistung.
Aber leben können Sie vom Hexenkessel schon?
Wenn ich im April anfange, um bis September für den Hexenkessel zu arbeiten, habe ich natürlich kaum Möglichkeit, woanders zu arbeiten. Außerdem kann man das, was wir arbeiten, gar nicht in Geld ausdrücken: So viel kann man gar nicht verdienen.
Wie viel verdienen Sie in einem Sommermonat?
Wenn wir wettermäßig durchkommen, kann ich meine Miete im Sommer bezahlen. Aber in der Probezeit davor und der Nachbereitungszeit danach muss ich halt sehen, wie ich mit meinem Handwerk anderweitig unterkomme.
Wie gelingt Ihnen das?
Ich gebe Unterricht, spiele Improvisationstheater oder mache schöne Projekte. Aber mein Herz hängt am Hexenkessel. Dafür halte ich mir den Sommer frei.
Sind Sie jetzt da, wo Sie hinwollten?
Nein, noch nicht. Aber ich habe, was kaum einer hat: den schönsten Arbeitsplatz der Welt und Menschen als Kollegen, die meinem Herzen nahe sind. Nach 15 Jahren kennen wir uns in allen Lebenslagen. Allein in so einer großen familiären Situation zu arbeiten ist mein großes Glück.
Also sind Sie doch angekommen?
Es schwirren noch tausend Dinge im Kopf rum, ob das jetzt Tanz, Kindertheater oder Clownerie ist, da könnt ich stundenlang sprudeln. Was ich will und möchte, hängt nicht nur mit dem Hexenkessel zusammen.
Womit dann?
Ich wollte ganz und gar nicht schon immer Schauspielerin werden. Mein Vater war Regisseur und Schauspieler in Nordhausen, das ein gutgehendes Dreispartentheater hatte. Ich bin zweigleisig gefahren, war zunächst Erzieherin für geistig Behinderte, aber auch Tischlerin. Das Theater lief immer parallel.
Schauspielerin, aber auch Tischlerin, mit einem Standbein in der Pädagogik. Sie brauchten Absicherung?
Ich hatte immer ein Bein am Boden, aber das ist eine Typfrage, mit Geld hatte das nie was zu tun. Arbeit muss getan werden. Geld war nie primäres Thema.
Ruhm und Anerkennung?
Ich muss nicht im Rampenlicht einer großen Bühne stehen. Ich stelle mich auch gerne ins Kaufhaus, setze mir eine rote Nase auf und helfe den Leuten als Clown beim Umziehen. Es ist mir ein Bedürfnis, den Leuten Freude zu machen. Das hebt das Karma.
Waren Sie schon immer so?
Wenn es irgendwo die Möglichkeit gab, einen Scherz zu machen, habe ich es gemacht. Meine Mutter wollte mich mit neun schon zur Clownsschule schicken.
Also spielen Sie sich selbst?
Das Komödiantische verliere ich auch im echten Leben nicht, das bin ich. Ich bin froh, für meine spezielle Art das passende Umfeld zu haben.
Von dem Shakespeareschen Mannsweib, als das Sie oft besetzt werden, haben Sie zumindest in natura wenig.
Ich habe eben eine markante Energie, die weibliche oder männliche Attribute einer Figur einfach überschwemmt und unwichtig macht. Ich fülle die Rolle mit dem, was die Person hergibt.
Würde es Sie reizen, mal so eine richtig verletzliche Frau zu spielen?
Tragische Rollen traue ich mir durchaus zu. Es ist jedoch eine konzeptuelle Entscheidung des Hexenkessel-Theaters.
Ist das eine künstlerische Selbstbeschränkung auf das Leichte?
Nein, wir haben ja auch schon eine Tragödie wie "Richard III." gespielt. Ich selbst spiele alles: tragische Frauen, lustige, starke und schwache Frauen, Mütter - alles, was mein Ausdrucksrepertoire als Schauspielerin hergibt. Es geht mir nicht um eine Glanzrolle. Wenn mir die Gruppe und die Art und Weise des Herangehens gefällt, dann spiele ich mit. Ich bin ein Ensembletierchen.
Trotzdem sind Sie so etwas wie der Star des Ensembles. Ihre Kollegen haben Ihnen den Titel "Publikumsliebling" verliehen.
Na ja. Vielleicht weil ich nach dem Stück immer als singende Litfaßsäule die nächsten Termine ankündige. Ansonsten kann ich mich in einem Konzept als "Star" nicht wiederfinden: Das Ensemble ist der Star.
Besonders erfindungsreich sind Sie bei Ihren Aufführungen, wenn es gilt, auf Störungen von außen zu reagieren.
An unserem Spielort am Ufer der Spree sind wir den Gegebenheiten absolut ausgeliefert: Da bellen Hunde, springen Autos nicht an, von den Partyschiffen der Spree schreit einer: "Ausziehen!" Da kann man gar nichts anderes machen, als damit umzugehen.
Wie machen Sie das?
Wir spielten einmal bei der Love Parade, da fuhren im Minutentakt die Techno-Dampfer vorbei. Wir hatten ein abgesprochenes Wort: Wenn einer "im Übrigen" sagte, standen alle still und winkten, bis der Dampfer vorbei war. Dann ging es weiter. Das war genau die richtige Methode, das Publikum winkte mit, wir waren eine Gemeinschaft.
Haben Sie schon mal eine Aufführung wegen der äußeren Bedingungen abgebrochen?
Noch nie. Das, was wir tun, ist so wasserdicht, dass wir auch bei Regen spielen - zumindest, wenn das Publikum es will. Zur Not werden nachts die Kostüme trocken geföhnt. Den Satz "So kann ich nicht arbeiten" gibt es bei uns nicht.
Wie bekommen diese rauen Bedingungen Ihrer ohnehin rauen Stimme?
Sie wird bis zum Ende des Sommers eine Oktave tiefer. Sechs Tage die Woche bis zu drei Stücke pro Abend, bei Wind und Wetter, drei Monate - da bleiben Zipperlein nicht aus. Aber da gibt es Kniffe. Meine Mutter züchtet für mich Salbei und Thymian in ihrem Garten, das ergibt den besten Tee der Welt. Wenn der nicht hilft, muss ich mal eine ganze Woche schweigen.
Fällt es Ihnen schwer?
Wenn ich muss, halte ich durch. Da hilft mir meine Erfahrung in der Behindertenarbeit: Ich kann die Gebärdensprache. Und es ist ja auch mal entspannend, die anderen reden zu lassen.
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