Mehmet Scholl: Servus für Bayerns Biolek
Zum Abschied von Ehrenspieler Mehmet Scholl wurde nicht nur in München groß aufgespielt: In einem Film äußern sich Stars über den Fan-Liebling.
Das Leben des Mehmet Scholl, zumindest seine fußballerische Karriere, "gleicht einem Entwicklungsroman". Das sagt der Dramatiker Albert Ostermaier in "Frei: Gespielt", einem Dokumentarfilm, der Ende August auf DVD erscheint. Doch welche Entwicklung? Schaut man sich an, wie Bayern München am Mittwochabend das Karriereende des Mittelfeldspielers inszenierte, lässt man das Abschiedsspiel der Bayern gegen den FC Barcelona rekapitulieren, die auf herzzerreißend getrimmten Rituale, die vor 69.000 Zuschauern abliefen, könnte man meinen, die ganze Karriere Scholls sei auf dieses eine Abschiedsspiel hinausgelaufen. Sowohl der Film als auch das Spiel sind Versuche, einen Star zu ehren, der im Vergleich zu anderen Kickern seiner Zeit nicht die ganz großen Triumphe erreichte, der ihnen aber an Popularität voraus ist.
Das erinnert ein wenig an die Art, wie die ARD vor ein paar Jahren ihren Alfred Biolek zum 70. gratulierte: bei uns im Sender ein Weltstar. Scholl wurde keine Weltmeister, und als die Mannschaft, zu deren Startformation er gehörte, 1996 Europameister wurde, musste er vom Feld, damit Matchwinner Bierhoff kommen konnte. Immerhin die Champions League gewann er.
Wer Scholl feiern möchte, muss sich also anderer denn harter fußballerischer Fakten bedienen. Man muss die besondere Starqualität herausarbeiten: Warum werden die Münchner Bayern in Deutschland so stark gehasst, aber warum wird Mehmet Scholl, der schon als junger Profi beim Karlsruher SC alles daran setzte, zu Bayern zu kommen, beinah überall geliebt?
Mehmet Scholl bekam zu seinem Karriereabschied zwei Fangeschenke: Neben dem Abschiedsspiel und der extra für populäre Kicker erfundenen Auszeichnung als Ehrenspieler, erhielt er auch den Film als "Abschiedsgeschenk", wie es der Senator-Filmverleih verspricht. Gedreht wurde "Frei: Gespielt" von Eduard Augustin und Ferdinand Neumayr, zwei Münchner Autoren mit Erfahrung. Scholl selbst wollte mitarbeiten und brachte mit Igor Luther den Kameramann mit; es ist der Vater seiner Freundin, der sich schon bei der "Blechtrommel" Kamerameriten erarbeitet hatte. Scholl selbst besorgte die Musikauswahl, was zur Folge hatte, dass Decemberists, die Sportfreunde Stiller, Velvet Underground oder Hildegard Knef zu hören sind, nicht aber Deutschfußballers Lieblingsmucke von Xavier Naidoo.
Mit der Musikauswahl, die demnächst auch als Soundtrack herauskommt, können die Regisseure des Films nicht mithalten: Sie fragen nicht nach und wollen vieles nicht so genau wissen. Keine Jugend- oder Schulfreunde werden interviewt, aus Scholls Familie ist nicht zu sehen, Weggefährten wie Michael Sternkopf oder Michael Tarnat werden nicht befragt. Oliver Kahn, der vor einer Berghütte zu sehen ist und wie Scholl von Karlsruhe nach München wechselte, kann sich an kaum an ein Detail erinnern. Stattdessen wurden Bayern-Mitspieler Lukas Podolski, Herbert Grönemeyer, MTV-Moderator Markus Kavka, Popsängerin Mieze oder Harald Schmidt vors Mikrofon gesetzt, deren Kompetenz in Sachen Mehmet Scholl erkennbar begrenzt ist.
Mit Joschka Fischer und Edmund Stoiber kommen noch zwei historische Gestalten zum Einsatz, denen im Unterschied zu Scholl kein Abschiedsspiel gegönnt war, und während Stoiber weiß, was man von ihm erwartet - er verwechselt "Derby" und "Final" - glaubt Fischer sich auf eine Existenz als Sportsoziologe vorbereiten zu müssen und schwadroniert wenig belesen über Klassenhintergründe von Fußballvereinen. "Frei: Gespielt" ist wie das Abschiedsspiel für Scholl. Niemand geht hart ran, alle gönnen dem lieben Scholli Applaus, Wer aber etwas über die Popularität eines außergewöhnlichen Fußballers erfahren will, ist im falschen Film.
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