Unbekannte Orte" (Teil 11):: Mittagsandacht im Goldrausch
Millionen Touristen waren schon drin, Millionen Berliner noch nie. Einer der standhaften Ignoranten gibt nach: Für die taz wagt er sich in die reich verzierte Höhle des Protestantismus
Was im Trend liegt oder konsumistisch von den Massen umschwärmt wird - wie Führerbunker, Handys, McDonalds, Tattoos, Reichstagskuppel sowie Blockbuster und Bestseller aller Art - geht mir am Arsch vorbei. Deswegen war ich auch noch nie in der Top-Sehenswürdigkeit - dem "Publikumsmagneten" - Berliner Dom. Aber nun musste es sein. Man hatte mir (Zeilen-) Geld dafür versprochen.
Das sagt berlin.de: "Seit der Wiedereinweihung am 6. Juni 1993 überrascht der Dom mit seiner prunkvollen Innengestaltung, die eher an katholische Kirchen erinnert."
Das sagt der "Lonely Planet": "Der Berliner Dom erhebt sich majestätisch in Spitzenlage auf der Museumsinsel. Dank des Beitrags mehrer Künstler präsentiert er sich von innen genauso prachtvoll wie von außen."
Öffnungszeiten: Montag bis Samstag 9 bis 20 Uhr; Sonntag 12 bis 20 Uhr.
Nächsten Freitag: Matthias Lohre über die Neue Synagoge
Weil ich das Schild "Kasse" am Nebeneingang übersah, steuerte ich, ohne Eintritt zu zahlen, auf den Haupteingang zu, wo mich ein livrierter Domdiener fragte: "Wollen Sie zur Mittagsandacht?" Ich nickte, und der Mann gab mir einen Liedtext mit Noten: "Herr, öff-ne mir die Her-zens-tür/ zieh mein Herz durch dein Wort zu dir "
Das Wörtchen "Herr", das für mich mindestens so ekelhaft klingt wie "Hirte", passte gut zu diesem Riesenkuppelbau, den man in Berlin auch schlicht "Scheißhaufen" nennt. Er ist im Innern vollgestopft mit neobarockem Goldmist, dazu stehen noch vier aufdringliche, ebenfalls goldene Sarkophage von Angehörigen der einst verfluchten, inzwischen jedoch völlig verblödeten Hohenzollern-Sippe in den Ecken, für die es dort außerdem noch eine Gruft mit weiteren 95 Sarkophagen gibt.
Das wirklich Furchtbare am Berliner Dom ist jedoch, dass es ein protestantischer sein soll - nicht ein von den Katholiken enteigneter, sondern ein sozusagen selbst gebauter. Das heißt, die hochherrschaftlichen Hohenzollern haben ihn höchstselbst dort hochziehen lassen - als "deutsches Gegenstück zum Petersdom", halbwegs ebenbürtig neben dem protzigen Stadtschloss.
Heute heißt es über den Dom nur lapidar bei "berlin.de": "Ein Muss für Liebhaber von Gotteshäusern ist der Berliner Dom, die größte protestantische Kirche Deutschlands. 1894 bis 1905 wurde er auf der Spreeinsel nach Plänen von Julius Raschdorff als Hauptkirche des preußischen Protestantismus und als Hofkirche der herrschenden Hohenzollern errichtet." Jetzt, da man das Schloss vis-à-vis wieder errichten will - allerdings ohne seine große Kuppel - wird jedoch kritisiert, dass der Dom mit seiner im Zweiten Weltkrieg zerstörten und dann vereinfacht wiederhergestellten Riesenkuppel das Schloss "völlig in den Schatten" stellen wird.
Als Erstes wirkte im Dom der damalige Hofprediger und "Krawallantisemit" Adolf Stoecker. 17 Jahre lang durfte er die Gläubigen verhetzen. Zwischen 1880 bis 1890 war er maßgeblich an der sogenannten Berliner Bewegung beteiligt, nach den Worten von Reichskanzler Bismark war er damals sogar der "bedeutendste Antisemit".
Diese präfaschistische Bewegung hat in Berlin begonnen und verbreitete sich später im ganzen Land. Sie setzte sich vor allem aus benachteiligten Schichten des Mittelstands, verarmten Handwerkern, Kaufleuten, Bauern und Teilen der Intelligenz (Offiziere, Hochschulangehörige) zusammen. Hunderttausende verlangten ein Verbot weiterer jüdischer Einwanderung, den Ausschluss der Juden von allen obrigkeitlichen Ämtern und von der Volksschullehrerschaft, ihre Beschränkung im Justizdienst, im höheren Schulwesen und so weiter ("Berliner Petition" von 1881). 1883 sagte Stoecker in einer Rede: "Wir bieten den Juden den Kampf an bis zum völligen Siege und wollen nicht eher ruhen, als bis sie hier in Berlin von dem hohen Postament, auf das sie sich gestellt haben, heruntergestürzt sind in den Staub, wohin sie gehören."
Dieser ganze Mist wurde damals kiloschwer mit Domgold innen wie außen quasi zugemüllt - "in Anlehnung an die italienische Hochrenaissance und den Neobarock", wie Wikipedia weiß. Der potthässliche wilhelminische Dom war neben der Zivilehe und dem Schulaufsichtsgesetz die positive Antwort auf den preußischen beziehungsweise bismarckschen "Kulturkampf", der sich zwischen 1871 und 1878 gegen die katholische Kirche richtete, wobei es um die strikte Trennung von Kirche und Staat ging.
Absurderweise endete dieser "Clash of Culture" jedoch damit, dass der Dom dann den Protestantismus als Staatskirche quasi krönte. Das macht seine ganze Scheußlichkeit aus und führte im weiteren dazu, dass die Evangelen schließlich im Gegensatz zu den Katholen besonders devote Gefolgsleute des letzten deutschen Führers Adolf Hitler wurden. Man müsste dieses "Wahrzeichen" also eigentlich - so wie es Hans Paasche schon für die Siegessäule vorschlug - in die Luft sprengen.
Aber dann würde den ganzen geschmackssicheren Touristen, aus Spanien und Italien zum Beispiel, etwas Wesentliches an Berlin fehlen, über das sie sich daheim immer wieder gerne lustig machen. Auch das hohenzollernsche Bibelwort über dem Eingangsportal wissen sie derart zu würdigen: "Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat." Dieser saudämliche Spruch wurde dort nämlich zur selben Zeit eingemeißelt, als die hierzulande Herrschenden sich anschickten, in Ost- und Westafrika über Millionen Schwarze zu siegen - damit diese die Welt überwanden, und zwar ein für allemal.
Nein, ich bleibe dabei, sagte ich mir im Hinausgehen: Der Berliner Dom ist eine No-go-Area. Heute übrigens mit Gastpredigern aller Couleur, flankiert von einem dicken Kulturprogramm.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!