Sommerserie (14): Audienz bei einer Königin
Nofretete. Millionen Touristen sie schon gesehen, viele BerlinerInnen noch nie. Eine der standhaften Ignorantinnen betritt für die taz das neue Reich der Regentin.
Nofretete ist Berlinerin. Sogar als "schönste Berlinerin" wird die 3.350 Jahre alte Königin, Frau des ägyptischen Königs Echnaton, der die alten Götter verwarf und stattdessen Aton, die Sonnenscheibe, zur Gottheit erkor, bezeichnet. Trotzdem kenne ich sie nicht. Sicher, ich weiß, dass sie seit bald einem Jahrhundert in der Hauptstadt residiert. Zur Schau gestellt den Einheimischen und Touristen. In 30 Jahren ist es mir dennoch nicht gelungen, sie zu begaffen. Jetzt aber. Jetzt.
Das schreibt berlin.de: "Im Alten Museum (erbaut 1823-1830) präsentieren sich Teile der Antikensammlung mit Kunstwerken der Griechen sowie das Ägyptische Museum und Papyrussammlung mit der weltberühmten Büste der Königin Nofretete."
Das schreibt der "Lonely Planet": "Hier ist sie zu sehen, die berühmte Büste der Nofretete mit ihrem langen, anmutigen Hals. Trotz ihres Alters (rund 3.300 Jahre, plusminus ein oder zwei Jahrhunderte) sieht sie noch immer wunderschön aus."
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag 10 bis 22 Uhr.
Nächsten Freitag: Katharina Koufen über das Brecht-Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof.
Natürlich bin ich aufgeregt. Es ist meine erste Audienz bei einer Königin. Schon die Kleiderfrage scheint unlösbar. Am Ende sind es T-Shirt und Jeans, ergänzt nur durch eine opulente Halskette mit falschen Smaragden, Lapislazuli und Rosenquarzen. Ginka Steinwachs hat sie mir tags zuvor geschenkt.
Ginka Steinwachs ist eine Poetin, die das Überwirkliche mit dem Hier und Jetzt verbindet. Heraus kommt Schönheit, die man nicht versteht. Eine Halskette, unecht für Echtheitsfans, ist echt im Augenblick, in dem man Nofretete gegenübersteht. Denn auch die Königin ist nur ein Modell, an dem die Bildhauerschüler lernen sollten, wie man es macht, dass es richtig schön aussieht.
Ginka Steinwachs hilft mir nicht nur in der Kleiderfrage. Sie gibt mir außerdem ein Gedicht fürs Ägyptische Museum mit auf den Weg. Darin singen: Echnaton als XXLarge (1350 vor Christus), und Ichnaton als XXSmall (2007 nach Christus), ihren "Sonnengesang".
Echnaton, alias XXL, beginnt: "Schön erscheinst DU." Ichnaton, alias XXS, antwortet: "Mit der Sonne auf DU." Echnaton-XXL fährt fort: "Im Horizonte des Himmels." Ichnaton-XXS: "DU RE, mi fa sol." Echnaton, der König: "Lebendige Sonne, die das Leben bestimmt." Ichnaton, die Popkopie, schafft nur ein Echo: "Stimmgabel, Stimmlöffel, Stimmmesser." So geht der Dialog weiter. Die beiden finden nicht zusammen, denn XXLarge und XXSmall leben in verschiedenen Welten. Und Nofretete? - Ja, mitgefangen, mitgehangen.
Während ich mich dem Alten Museum nähere, spüre ich die Halskette von Steinwachs als Talisman auf meiner Haut. Wie all die anderen Touristen lasse ich mich zuerst auf dem Rasen vor ihrem Palast nieder und bestaune die Säulen und Kapitelle, die Adler und die griechischen Kämpen, mit denen Friedrich Wilhelm III. sein Museum verzieren ließ. Weltkulturerbefähig ist dieser Bau. Kontrastiert wird das Imposante nur von Ersatzholztreppen und einem schnöden Kran. Denn Museumspaläste sind in Berlin in erster Linie Baustellen.
Um die Audienz hinauszuzögern, lungere ich auch noch eine Weile im Treppenhaus des Museums herum. Immerhin erfahre ich dabei, dass Nofretete 1912 ausgegraben wurde. Irgendwann überwinde ich mich. Mit einem Audio-Guide ausgerüstet, lasse ich mich an ägyptischen Sitzfiguren von Montemhet, von Maja und vom Dämonenverwalter Metjen vorbeigeleiten, an Standschreitfiguren und Würfelfiguren vorbeiführen. Ich lasse mir erklären, dass alte Statuen manchmal mit neuen Gesichtern versehen wurden und so das Neue im Alten aufgeht (wie Echnaton in Ichnaton).
So nähert man sich der Zeit, in der Echnaton und Nofretete gelebt haben. Einer Zeit, die - ähnlich der unseren - Gemeinschaftsideale und Jenseitsglauben absetzte und an deren Stelle die Individualität und Gegenwart betonte. Ungefähr 17 Jahre hat Echnatons Herrschaft nur gedauert, bevor sich die alte Ordnung wieder durchsetzte.
Es sollte einem eine Mahnung sein. Denn viel von der heutigen Individualität ist nicht zu spüren, wenn man endlich bei Nofretete angekommen ist. Sie wirkt zart, fast zerbrechlich mit ihrem blauen Kopfputz, der sie als Regentin auszeichnet, und dem einen, sehenden Auge.
Der Glaskasten, in dem sie gefangen ist, wird von Touristengruppen aus aller Welt belagert. Italienische "Ahs" wechseln mit Englischen "Ohs" und Japanischen "Ehs" ab. Wer die Nummer 239 des Audio-Guide drückt, erfährt, dass Nofretete schon 3.000 Jahre zerstörungsfrei erhalten sei.
Zerstörungsfrei? Und dass man ihre Individualität an den Falten und den nach unten neigenden Mundwinkeln erkennen könne. Den nach unten neigenden Mundwinkeln? Weil die Stimme aus dem Off wie ein Mantra daherkommt, ist Widerspruch zwecklos. Was bleibt, ist Verehrung.
In einmütiger Unterwerfung halten die Besucher deshalb Digitalkameras und Handys in die Luft, um Nofretete zu knipsen. Manche drücken ihre Linse ans Glas der Vitrine, nur um näher dran zu sein. Wie ein unruhiges Wachtier zieht der Museumswächter um die Meute, um ihr Einhalt zu gebieten. "No flash please! No flash please!" In tausend Jahren wird man die hocherhobenen Kameras für Kultobjekte halten, mit dem die Menschen den Ersatzgöttern ihre Hochachtung zeigten. Fotografieren ist beten.
Nach dieser Heiligen Messe ist der Rest des Museums nur noch business as usual. Was können Totenbarken oder Mumien bringen? Wenn es geht, dann kommt alles in Gold daher, erfahre ich noch. Denn "Gold ist das Fleisch der Götter."
Draußen auf der Straße aber vermisse ich den kleinen Geschäftemacher, der mir gegen einen Euro den Stempel auf die Stirn drückt, auf dem steht: "Ich hab Nofretete gesehen."
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