Chile: Proteste gegen linke Präsidentin

Bei einer Großdemonstration in Chiles Hauptstadt kommt es zu Straßenschlachten. Auch Mitglieder der Sozialisten protestieren gegen die Sozialpolitik der Regierung.

Polizeigewalt statt höherer Mindestlohn - die linke Basis ist enttäuscht. Bild: ap

PORTO ALEGRE taz Chiles sozialdemokratische Präsidentin Michelle Bachelet gerät immer stärker in Widerspruch zu ihrer Basis. Am Mittwoch folgten Zehntausende im Land dem Aufruf des Gewerkschaftsdachverbands CUT, gegen die Wirtschaftspolitik der Regierungskoalition aus Sozial- und ChristdemokratInnen zu protestieren. Auf der Prachtstraße Alameda in Santiago stoppte die Polizei den friedlichen Sternmarsch mit Wasserwerfern und Tränengas und löste damit stundenlange Straßenschlachten aus.

In den Abendstunden kam es in mehreren Armenvierteln der Hauptstadt zu weiteren Zusammenstößen. Dabei wurden mindestens 33 PolizistInnen und hunderte Demonstrierende verletzt. 573 DemonstrantInnen wurden festgenommen, davon 453 in Santiago. Ein Polizist der Spezialeinheiten schlug Senator Alejandro Navarro von der regierenden Sozialistischen Partei (PS) vor laufenden Fernsehkameras auf den Kopf. Der linke Parteifreund Bachelets, ein denkbarer Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2009, gehört zu den prominentesten KritikerInnen des Wirtschaftsmodells, das die Mitte-links-Koalition "Concertación" 1990 von Diktator Augusto Pinochet übernommen hat und seither mit einigen Schönheitskorrekturen fortsetzt.

Unmittelbarer Auslöser der Proteste war, dass die Regierung den gesetzlichen Mindestlohn im Mai um nur 4 Prozent angehoben hatte, auf umgerechnet knapp 200 Euro - trotz Wirtschaftsboom und rekordhoher Weltmarktpreise für Chiles wichtigstes Exportgut Kupfer, wovon das Land letztes Jahr 33 Milliarden Dollar einnahm. Der Gewerkschaftsbund CUT ging daraufhin auf Distanz zu Bachelet.

CUT-Vorsitzender Arturo Martínez zog am Nachmittag zufrieden Bilanz: Mit ihren Protesten gegen den "wilden Kapitalismus" in Chile hätten die ArbeiterInnen einen "interessanten Prozess" eingeleitet, sagte Martínez, der ebenfalls PS-Mitglied ist. Bachelet habe seit ihrem Amtsantritt vor anderthalb Jahren ihr Wahlversprechen nicht eingelöst, die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern. Nach Brasilien bleibt Chile das lateinamerikanische Land mit der ungerechtesten Einkommensverteilung: Das reichste Fünftel bekommt 61 Prozent des Gesamteinkommens, das ärmste nur 3,3 Prozent.

Um ihren linken Flügel zu besänftigen, hatte die PS-Parteiführung zum Missfallen Bachelets ebenfalls den Protestaufruf mitgetragen - ausgerechnet an dem Tag, als das Abgeordnetenhaus eine Rentenreform in erster Lesung verabschiedete. Die rechte Opposition verspottete die Zerrissenheit der Sozialdemokraten als "Schizophrenie".

Am Abend verurteilte die Präsidentin vor UnternehmerInnen die gewalttätigen Ausschreitungen, allerdings nur jene auf Seiten der Protestierenden. Es gebe aber auch "Zustände, die die Demonstrationen erklären", räumte sie ein. Wieder einmal versprach sie, sie wolle "alle Chilenen an der Entwicklung teilhaben lassen". Von ihren Zuhörern wünschte sie sich "mehr Dialog" und "gerechtere Löhne".

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