Studie: Deutsche Angsthasen

Die Untersuchung "Die Ängste der Deutschen" zeigt: Ohne Furcht geht es hier nicht. Größte Angstmacher: steigende Kosten und Naturkatastrophen.

Hausbesitzer in Angst: Überschwemmung in Hamburg, 17. Januar 2007 Bild: ap

Nicht viele deutsche Wörter haben es in den angelsächsischen Sprachraum geschafft. Der Begriff Angst allerdings gehört dazu. Vor allem in Verbindung mit dem Ausdruck "German Angst", der in den englischsprachigen Ländern eine diffuse, meist unbegründete Furcht bezeichnet, die als typisch deutsch empfunden wird. Auf der politischen Bühne äußert sie sich in mangelndem Reformwillen und einem zögerlichen Verhalten in der Außenpolitik.

Wie lässt sich diese Gemütsverfassung erklären? In ihrem Buch "Die deutsche Krankheit - German Angst" führt die Journalistin Sabine Bode die deutsche Seelenlage auf unverarbeitete Kriegserlebnisse zurück. Schuld und Leid wurden nicht ausreichend betrauert. Dieses Versäumnis wirkt bis heute weiter. Das Kriegskind Helmut Kohl hat also deshalb so eine Panik vor Reformen gehabt, weil das Gespenst des Zweiten Weltkriegs so beharrlich in seiner Birne herumspukte. Konsequent tat er alles, um das Werk seiner Vorgänger fortzuführen, und hielt die Ängste der deutschen Bevölkerung mit einer kostspieligen Staatsfürsorge in Schach.

Dass die deutsche Krankheit tatsächlich existiert, bestätigt die Langzeitstudie über "Die Ängste der Deutschen". Seit siebzehn Jahren werden im Auftrag der R+V Versicherung jährlich über 2.400 Bürger zu ihren Ängsten befragt. Das Ergebnis lautet auch in diesem Jahr wieder: In unserem Land herrscht Panik. Vor Naturkatastrophen, Terror und steigenden Lebenshaltungskosten, vor unfähigen Politikern und schweren Erkrankungen. Noch aussagekräftiger als diese Ergebnisse ist dabei die Tatsache, dass in keinem anderen Land eine vergleichbare Studie überhaupt durchgeführt wird. Der Hang zum Grübeln gehört eben auch mit zur German Angst.

Die Top-Sorge in diesem Jahr: steigende Lebenshaltungskosten. Zwei Drittel aller Deutschen fürchten sich davor. Dieses Ergebnis ist keine große Überraschung, dominierte doch die Furcht vor einem Preisanstieg bereits seit der Einführung des Euro im Jahr 2002 alle anderen Ängste. Wirtschaftswissenschaftler beteuern zwar hartnäckig, dass der Warenkorb insgesamt nicht teurer geworden sei. Doch zur gefühlten Inflation sind in diesem Jahr reale Preisanstiege bei Molkereiprodukten, Bier und Brot hinzugekommen.

Gleichzeitig hat die Sorge vor Arbeitslosigkeit und einer schlechteren Wirtschaftslage abgenommen. Zwar fürchtet sich immer noch fast die Hälfte aller Deutschen davor, den Job zu verlieren, doch im vergangenen Jahr waren es noch 16 Prozent mehr. "Der Wirtschaftsaufschwung stimmt die Menschen positiv", sagt Professor Manfred G. Schmidt, Politikwissenschaftler an der Universität Heidelberg. Doch so leicht lassen sich die Deutschen ihre Sorgen nicht nehmen. Wenn die materielle Sorge sinkt, wächst mit schöner Regelmäßigkeit die Furcht vor Naturkatastrophen. Das war auch schon in den vergangenen Jahren der Fall, so Schmidt. "Ist man die eine Angst los, kann man die andere pflegen." Folgerichtig schafften die Naturkatastrophen in diesem Jahr einen großen Sprung in den Ängste-Charts und stürmten von Platz 6 auf Platz 2. 59 Prozent fürchten sich vor Überschwemmungen, Dürre oder "Kyrill"-ähnlichen Stürmen. Auch die Angst vor Terror ist gewachsen: Die Hälfte aller Deutschen fürchtet sich vor Anschlägen. In Berlin ist es in diesem Jahr besonders schlimm. Schmidt spricht bei diesem Trend von der "Hauptstadtangst". Die Berliner fürchten sich so sehr vor Terror, dass sie darüber ihre wirtschaftlichen Sorgen fast vergessen.

Vielleicht kommen diese Ergebnisse dem Auftraggeber nicht ungelegen. Es deutet sich an, dass R+V künftig eine Menge Versicherungen gegen Sturmschäden verkaufen könnte.

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