Business-Parteien in Bulgarien: Jeder Million ihre Partei
Bulgarien erlebt einen Gründungsboom von Parteien. Sie heißen "Berg", "Meer" oder "Führer" und vertreten das Profitinteresse einzelner Unternehmer.
Privatisierte Armeen im Irak oder Regenwasser, für das die bolivianischen Bauern Steuern zahlen müssen - das kennen wir bereits. Aber auch Bulgarien leistet seinen bescheidenen Beitrag zur allgemeinen Privatisierung: Wir bieten schon seit 2003 Business-Parteien an, ins Leben gerufen eigens für die Kommunalwahlen (die nächsten stehen am 28. Oktober an). Normalerweise entstehen diese Parteien in Touristenorten, also dort, wo der Baugrund wertvoll ist. Während nämlich etwa in Russland Öl oder Aluminium feudale Leidenschaften befeuern, müssen im armen Bulgarien hierfür gemeinhin die Sanddünen, die Frischluft oder der ein und andere Skihang herhalten.
Um die Tätigkeit dieser Geschäftsparteien zu verstehen, muss man sich zunächst Folgendes in Erinnerung rufen: Die Hauptbeschäftigung der Stadtverwaltungen seit der sogenannten Transition (dem Übergang vom Kommunismus in die Marktwirtschaft) besteht in der Privatisierung von öffentlichem Eigentum und nicht zuletzt städtischen Grundstücken. Aus Unternehmersicht macht es daher natürlich Sinn, auf die Entscheidungen der kommunalen Verwaltungen direkten Einfluss zu nehmen. Am besten, man sitzt gleich selbst im Stadtrat und erteilt der eigenen Firma den Zuschlag für diesen oder jenen Küstenstreifen. Das spart Schmiergelder.
Inzwischen tauchen diese Business-Parteien aber auch in den großen Städten auf. Die radikale Privatisierung des Politischen hat damit die Provinz verlassen und auf die urbanen Zentren übergegriffen. Denn auch hier ist der Grundstückspreis teuer und die staatliche Regulierung streng - was die Bestechungsgelder in irrsinnige Höhen treibt. Es ist schlicht billiger, eine eigene Partei zu gründen, als regulär die politischen Repräsentanten der Stadtverwaltungen zu "sponsern".
Die Namen in der neuen Parteienlandschaft sind Programm, und sie machen Schluss mit traditionellen politischen Labels. Statt für links oder rechts zu stehen, für konservativ oder liberal, offeriert man den Bürgern einen poetischen Namen. Was sollte auch die Alternative sein zu, zum Beispiel, der "Initiative Schwarzes Meer"? Vielleicht "Berg"? Dieser Name schmückt bereits eine Business-Partei in Nessebar (die reichste Stadt Bulgariens, die auch an der Küste liegt) und formuliert zudem noch geschickt eine Kritik aus dem Feld der Anti-Politik, indem es mit "Berg" das bulgarische Synonym für "Fakten" ins Spiel bringt. Wer könnte sich einem solchen Programm entziehen? Die jüngste Parteien-Kreation mit einer Abkürzung, die im Resultat "Führer" ergibt, geht übrigens auf das Team des wahrscheinlich reichsten Mannes Bulgariens zurück: Herrn Hristo Kovachki. Seine Partei findet sich überall dort, wo er ökonomische Interessen verfolgt.
Aber nicht nur die suggestiven Namen der Parteien subvertieren Demokratie und Wahlfreiheit. Sie ebnen auch zahllosen Parteien ohne jede politische Identität den Weg. Erinnern wir uns: Die schmerzhaftesten Debatten der letzten 17 Jahre drehten sich in Bulgarien darum, wer unter den neu gegründeten Parteien als liberal gelten konnte und wer neben den europäischen Volksparteien sitzen würde. Mit der Gründung von Parteien wie "Stimme" (die der Baufirma "Planex" in Varna gehört) wird die Anzahl der politischen Akteure unüberschaubar. In anderen Worten: Jedes private Interesse kann zum politischen Projekt werden. Was für eine prächtige Herausforderung für die klassische Demokratie: Jeder Million ihre eigene Partei!
Doch machen wir uns nichts vor: Die kommunalen Geschäftsleute werden aus seriösen Gründen gewählt. Zunächst einmal hasst die Provinz die Hauptstadt, wo die nationale Politik ihren Sitz hat. Weswegen der Boom der Business-Parteien auch eine Art Revolte der Peripherie gegen das Zentrum darstellt. Die wiederum spiegelt eine grundlegende nationale Krise wider: Bulgarien ist im Begriff, sich in feudale Königreiche aufzulösen, in denen die Trennung zwischen Politik und Geschäft obsolet ist. So ähnlich übrigens wie damals unterm Kommunismus, als der Provinzsekretär gleichfalls für Politik und Ökonomie verantwortlich war. Überraschen dürfte diese Entwicklung daher wohl auch nur die vielen Hausbesitzer aus dem westlichen Europa - die übrigens bei den Kommunalwahlen auch ihre Stimme abgeben dürfen.
Hinzu kommt, dass sich auch die nationalen Parteien schon seit vielen Jahren in einer schweren ideologischen Krise befinden. Keiner weiß mehr, wo und wofür wer steht. Man muss sich nur die Debatten vor Augen führen, die derzeit geführt werden: Unlängst hat der sozialistische Präsident Herrn W. Bush seine uneingeschränkte Unterstützung in Sachen Militärbasen etc. versprochen; die Rechten fanden, dass er dieses Angebot mit mehr Begeisterung hätte unterbreiten sollen. Die von den Sozialisten geführte Regierung hat entschieden, zukünftig Dumping-Steuern von rund zehn Prozent einzuführen, was Bulgarien dem Status einer Sonderwirtschaftszone annähert. Die Rechten erklärten, das sei ihre Idee gewesen und man solle bitte noch weiter runtergehen. Die Linke ist nationalistisch; die Rechte ist noch nationalistischer.
Last but not least ziehen sich die lokalen Geschäftsmänner ihre Wählerkundschaft mehr oder weniger problemlos heran. In einem kleinen Touristenort, wo die Mehrheit der Einwohner Saisonarbeiter ist, ist es einfach, ein paar tausend Stimmen zu kaufen: Man muss die Leute nur zum richtigen Zeitpunkt einstellen. Manager werden dann zu Parteiaktivisten, das Unternehmen organisiert Festivitäten, kleine Geschenke und Drohungen begleiten den monatlichen Gehaltsscheck. Außerdem zeigt der Chef menschliche Wärme, indem er die örtliche Fußballmannschaft unterstützt, ein bisschen Geld für Pop-Konzerte spendet, und vielleicht kann man sogar seine Nichte in irgendeinem Club treffen.
Die Frage ist natürlich, warum solche Parteien in den älteren Demokratien nicht wie Pilze aus dem Boden schießen. Immerhin gehorchen sie dem neoliberalen Geist unserer Zeit. Doch offenbar bedarf die Politik dort der soliden Verbindungen zum Zentrum, also einer Parteistruktur, -disziplin und -ideologie. Selbst wenn solche Business-Parteien auftauchten, sie würden sicher schnell marginalisiert und wieder verschwinden. Bei uns aber erlaubt Geld unterm Tisch, jede gewünschte Politik zu realisieren, ohne sich mit so etwas wie einem Parteiapparat abmühen oder gar veralteten Ideen die Treue halten zu müssen. In einem kleinen Land wie diesem "sind wir" - um den früheren Premierminister Ivan Kostov zu zitieren - "alle Cousins".
Nach Aristoteles ist die Oligarchie - also die Regierung der Reichen - schlecht, weil sie in das Chaos der Demokratie führt. Im Postkommunismus läuft es genau anders herum: Das Chaos der Demokratie verhärtet sich nach und nach zur Oligarchie.
Der Autor ist Professor für Kulturwissenschaften an der Universität Sofia. Aus dem Englischen von INES KAPPERT
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