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die wahrheitFormel 1 in Spa: Aussicht auf nichts

Sau rauslassen, bevor Kimi Räikkönen den Halunken zeigt, wo der Frosch die Locken hat.

2005 hatten wir uns gedacht, der Formel-1-Allmächtige und Teufelsarschgeiger Bernie Ecclestone könnte sein doofes Monopolbier, das er an den Holzbuden rund um die Strecke zu frei erfundenen Haussekursen ausschenken lässt, ruhig mal selber trinken, und waren deshalb zum ersten Mal seit zehn Jahren nicht zum Großen Preis von Belgien in Spa-Francorchamps gefahren.

Unsere passivsportliche Widerstandsaktion gegen den in der Formel 1 grassierenden Wucher und Wahnsinn war ein temporär gigantischer Erfolg. Der traditionsreiche Grand Prix in den Ardennen erholte sich von unserem Fernbleiben zunächst nicht und fiel 2006 ins Wasser. Sage noch einer, der mündige Bierendverbraucher habe in der Welt der Hochgeschwindigkeit nichts mehr zu melden.

Spätestens jedoch, als sich heuer abzeichnete, dass der Narrenzirkus der Formel 1 ungeahnte Formen annehmen und in einem erschütternd erzdummen Gezänk zwischen den McLaren-Mercedes-Piloten Alonso und Hamilton einerseits, ihrem in Sachen Spionage ausgesprochen umtriebigen Arbeitgeber und Ferrari andererseits kulminieren würde, war uns klar, dass wir unseren Boykott aufheben und in Ostbelgien wieder nach dem Rechten sehen mussten. Weshalb wir - der waschechte Formel-1-Debütant Cheech und die vier Spa-Spezialisten Pauli, Rudi, Thomas und ich - jeweils lachhafte 320 Euro für Tribünenkarten der Kategorie Gold 8 berappten und am vergangenen Sonntag verdutzt feststellen durften, dass Bernie Ecclestone unterdessen sogar das Wetter im Griff hat. Statt des früher zuverlässig niedergehenden Sturzregens, der die irrsinnigsten Rennverläufe und -vorfälle zur Folge hatte, hing ein widerwärtig zähes, durch nichts aus der Ruhe zu bringendes Spätsommerhoch über den grünschwarzen Ardennenhängen, und kein Regentanz mit perkussiver Begleitung auf unterschiedlich gestimmten, d. h. zerdrückten Bierdosen schaffte Abhilfe.

"Jetzt baun die überall Dächer auf die Tribünen, dann regnets nicht mehr", meinte Thomas, als wir drei Stunden vor dem Start hinunter zum Ausstellungsgelände schlappten, das sich entlang der Start-Ziel-Gegengeraden zwischen der Spitzkehre La Source und der weltberühmten Kurve Eau Rouge in eine Senke schmiegt. Hier präsentieren sich Jahr für Jahr die Teams mit petersdomgroßen Zelten und ungeheuerlichen Unterhaltungsangeboten, und hier wollten wir nach altem Brauch prophylaktisch die Sau rauslassen, bevor Kimi Räikkönen unserer Planung gemäß den McLaren-Mercedes-Halunken zeigen würde, wo der Frosch die Locken hat.

Selbstverständlich hatten wir bereits während der Anfahrt durch die traumschöne Mittelgebirgslandschaft mit einem "derben Sixpack-Warm-up" (Rudi) vorschriftsmäßig vorgeglüht, und nun, gegen elf Uhr, galt es, im gelobten Land ohne Dosenpfand vernünftig nachzufassen. Ich erspähte einen Bierausschank mit dem verheißungsvollen, ferrariroten Schriftzug "Jupiler" und kaufte eine Palette Jupiler Blue. Kaum hatte ich die Worte "Freunde, trinkt!" ausgesprochen, dämpfte Pauli die Stimmung: "3,3 Prozent. Mann! Was für eine umweltfreundliche Scheiße!" - "Die blöden Belgier kriegen auch gar nichts mehr hin, nicht mal ihr Bier", sagte Thomas. "Das Bier macht ja nüchtern", ergänzte Rudi.

"Bullshop? Bullshit!" zischte Cheech, eine 0,33-l-Dose Jupiler Blue zu konsequenten drei Euro in der Hand, und blinzelte hinüber zum Showtempel des Rennstalls Red Bull. Ich wandte mich ab und fing an, sinnlos durch die Gegend zu fotografieren. Derweil Pauli und Thomas "Asischalen" verdrückten, also diverse Portionen einer unfassbaren belgischen Wurst-Schlammzwiebel-Matschsandwich-Kreation, lichtete ich fünfzehnmal die Eau Rouge ab und zwölfmal die Toilettenhäuschenzeilen.

Eine Soziologie des Stehens und Sitzens ist wohl bislang nicht geschrieben worden. Diese Veranstaltung böte Anschauungsmaterial genug. Da gibt es eine Art Restaurant, auf dessen Terrasse sich die Zuschauer die Zeit vertreiben, indem sie auf die Rückseite der mit schmutzigem Blech verkleideten alten Haupttribüne starren. Oder das Volk steigt in die Cockpits von Formel-1-Wagenmodellen und spielt Rennsimulationen, ohne ein Auge für die einzige Sensation auf diesem stinköden Rummelplatz zu haben - die von Toyota angeheuerten Damen in knallrotengen Hosen.

Ich spionierte schamlos die Frauenwelt bei Toyota aus, da zupfte mich Pauli am Arm. "Das ist heute nicht wichtig", sagte er. "Mach mal Fotos von uns." Er zeigte auf drei Pappkameraden vor dem Toyota-Zelt. Sie stellten Ralle Schumacher und Jarno Trulli dar, die einen Mann einrahmten. Wo dessen Kopf hingehörte, war ein Loch. In das steckten wir einer nach dem anderen unsere Runkelrüben rein, und ich hielt auch diese Momente mit der Kamera fest.

"Ich hab Ralle nicht an den Hintern gefasst", beteuerte Familienvater Rudi, als wir zu unseren Plätzen, den sackengen Sitzschalen zu 320 Euro, zurückschlenderten, wo uns in Torerogewänder gehüllte oder mit unwürdigen grellgrünen und violetten Perücken beschirmte Alonso-Fans empfingen, die "Eviva España" schmetterten. "Tut das not?", fragte ich Rudi. "Bei dem Scheißwetter ist das jetzt auch egal", sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ich rupfte ein Jupiler Blue auf. Aus der Grillhütte hinter unserer Tribüne quoll der Fritteusendampf, und Kimi Räikkönen, das war mir nun sonnenklar, würde die heimtückische silberne Konkurrenz qualmend verblasen.

Wozu sonst waren wir nach Spa gekommen?

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