Antisemitismus-Streit auf der Buchmesse: Holocaust auf Sperrzaun
Die Begleitausstellung zur Frankfurter Buchmesse zeigt eine umstrittene Montage - Bilder von deutschen KZs, die einen Teil der israelischen Mauer darstellen. Ist das antisemitisch?
Ausgerechnet das diesjährige Gastland bringt die Macher der Frankfurter Buchmesse in große Erklärungsnot. War zuletzt der Schwerpunkt Arabien nicht unumstritten, so sollte es diesmal Katalonien sein. Genauer gesagt: der katalanische Künstler Joan Fontcuberta. Fontcuberta muss irgendwann einmal das seltsame Bedürfnis gehabt haben, alle nationalsozialistischen Konzentrationslager als Satellitenbilder bei Google Earth zu suchen, die abertausend Ergebnisse zu verkleinern und daraus ein Mosaik herzustellen.
Das wäre nicht weiter der Rede wert, wenn das Mosaik mit dem Titel "El Mur", als großes Ganzes betrachtet, nicht einen Teil jener israelischen Betonmauer darstellen würde, die Israel vom Westjordanland trennt. Und wenn es nicht ausgerechnet auf der Begleitausstellung der Buchmesse im Frankfurter Fotografie-Forum-International (FFI) hängen würde.
Das tut es aber schon seit dem 5. Oktober, und mit ihm die Bildunterschrift für all jene, die ihren Augen nicht trauen: "Das Foto wurde mittels einer Fotomosaik-Freeware modifiziert, die mit der Google-Bildersuche gekoppelt wurde. Das resultierende Bild setzt sich aus zehntausenden Fotos zusammen, die im Internet aufzufinden sind, wenn die Namen aller nationalsozialistischen Konzentrationslager als Suchkriterien angewandt werden." Dann folgen in alphabetischer Reihenfolge Namen wie Auschwitz oder Bergen-Belsen.
Man muss kein Kunsthistoriker sein, um zu begreifen, dass hier jemand den Sperrzaun mit deutschen Vernichtungslagern in ein gestalterisches Verhältnis setzt - und damit andeutet, in israelischer Politik einen neuen Holocaust erkennen zu können. Warum aber hängt das Bild dann seit Tagen im Fotografie-Forum? Die Kuratorin des FFI, Celina Lunsford, war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Die aktuelle Jungle World schreibt allerdings, Lunsford habe betont, das Bild solle lediglich die Diskussion anregen, antisemitisch sei es keineswegs.
Doch das Bild hängt nicht nur, es ist auch gedruckt worden. Und zwar als eines von zwei Beispielbildern im offiziellen Begleitprogrammheft der Buchmesse, das im Internet abrufbar ist.
Der Fall ist umso brisanter, weil es erst vor drei Jahren bei der Buchmesse zu einem vergleichbaren Skandal kam. Damals, im Jahr 2004, gastierte die "arabische Welt", und das Grußwort zur Eröffnung verlas ausgerechnet Mohammed al-Salmawy, ein Anhänger antisemitischer Verschwörungstheorien und Unterstützer bekannter Holocaust-Leugner wie David Irving oder Roger Garaudy. Daran kann sich auch Shimon Samuels vom Simon-Wiesenthal-Zentrum in Paris noch erinnern. Seine Institution führte vor dem Hintergrund der fragwürdigen Einladung in den letzten Jahren mehrere Gespräche mit dem Messe-Führungszirkel, um, wie er sagt, "den Hass von der Buchmesse fernzuhalten".
In einem Beschwerdebrief an Messe-Direktor Jürgen Boos forderte Samuels diesen am Mittwoch auf, das Bild umgehend zurückzuziehen, eine öffentliche Entschuldigung auszusprechen und juristische Maßnahmen gegen Kuratorin Lunsford einzuleiten. "Wir hätten kein Problem mit dem Bild an sich - wenn die Mauer in der Montage nicht aus kleinen Auschwitz-Bildchen bestehen würde", sagte Samuels der taz. "Aber so ist das nicht zu akzeptieren."
Die Reaktion des Direktors ließ nicht lange auf sich warten. Am Donnerstag übergab er den Fall dem Frankfurter Staatsanwalt Jörg Claude. "Der sieht nach erster Prüfung allerdings keinen Anlass zum Handeln", sagte Boos der taz gestern. Auch sein Mitarbeiter habe sich das Bild angeschaut, ohne dabei allerdings kleine Krematorien oder Deportationswaggons erblicken zu können. Und die Kopie, die ihm selbst vorliege, sei zu klein, um die von Samuels beklagten Assoziationen nachvollziehen zu können: "Ich kann das auf dem Foto nicht erkennen."
Das Bild ist nicht das einzige Ausstellungsstück im Rahmen der Buchmesse, das von Samuels beanstandet wird. Auch das Literaturangebot der Messe müsse wesentlich stärker kontrolliert werden. Bereits letztes Jahr habe er an den Ständen einiger arabischer Verlagshäuser zweifelhafte Literaturangebote durchblättern können. "Und auch dieses Jahr habe ich wieder Bücher über die jüdische Weltverschwörung gesehen."
Zwei Länder würden besonders brisante Lektüre anbieten: "Ägypten und Libanon sollten von der Buchmesse in den nächsten Jahren ausgeschlossen werden." Jürgen Boos soll entsprechendes Material heute von ihm bekommen. Doch bis das geprüft ist, dürfte die Messe bereits vorüber sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pro und Contra zum Ampel-Streit
Sollen wir jetzt auch wählen?
US-Präsidentschaftswahlen
Die neue Epoche
Trump erneut gewählt
Why though?
Harris-Niederlage bei den US-Wahlen
Die Lady muss warten
US-Präsidentschaftswahlen
Warum wählen sie Trump?
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala