piwik no script img

Theaterstück "Fordlandia"Die Ford-Playback-Show

Kommentar von Jochen Becker

Auto-Clans, Aufstand im Amazonas und Streik in Köln: Jürgen Kuttner und Tom Kühnel inszenieren "Fordlandia - Eine Fließbandproduktion" am Schauspiel Köln.

Jürgen Kuttner in "Fordlandia - eine Fließbandproduktion" Bild: David Baltzer/ Schauspiel Köln

K ÖLN taz "Ist das das Auslandsjournal?", fragt die legendäre Reality-Fernsehfamilie Fussbroichs, als der nachgestellte "Türken-Streik" auf ihrem Wohnzimmertisch Stellung nimmt. Da hat die grandiose Theaterinszenierung "Fordlandia" am Kölner Schauspiel schon volle Fahrt aufgenommen. Die zwischen Puppenspiel und Agitation pendelnde Inszenierung von Jürgen Kuttner und Tom Kühnel spannt aber auch thematisch einen großen Bogen und knüpft vom antisemitischen Gründer der Ford Motor Company, dem verlustreichen Kollaps der Fordlândia bezeichneten Kautschuk-Kolonie im brasilianischen Regenwald 1933 bis hin zur Niederschlagung des "wilden Streik" in den Kölner Ford-Werken 1973 ein reiches Geflecht.

"Wir zeigen Deutschland, wie es heute aussieht", so die neue Intendantin Karin Beier im Interview. Daher heißt ihre Stadt, skandinavisch anmutend, KØLN, und deshalb ist ihr Ensemble absolut international zusammengesetzt. Nimmt man in der Halle Kalk auf roten Multiplex-Sesseln Platz, ertönt Industriesound vom Band. Schatten des legendären Ford T huschen an der Brandmauer entlang, an der Decke ist eine doppelte Schleife für den Fließbandtransport der Bühnenteile und Vorhänge zu erkennen. Die revolutionäre Idee des Fließbands stammt vom Schlachthof ab. Star des Abend ist die durch Suse Wächter grandios geführte Puppe von Henry Ford, der als grantelnder Zombie die Reformideen seines Zöglings Ford II (Hilmi Sözer) zu hintertreiben sucht. Niemand im fünfköpfigen Ensemble hat eine fixe Rollenzuweisung oder "eigenen" Text, sondern jeder spricht in Zungen. Rasch wird sich hinterm Bühnensofa umgezogen, um eine Vorstandssitzung oder anatolisches Bauerntheater abzuliefern. In einer Teestubenszene werden Interviews mit den damals, 1973, Streikenden als Playback nachgespielt. Noch die eingespielte TV-Reportage ist ein lip service. "Junge, komm bald wieder" mit stockendem türkischem Voiceover bildet den Emotionsschatz des tränenreichen Abschieds künftiger Gastarbeiter. Die zwischen Jägerzäunen von der Decke hängende Postkarte aus Anatolien wandelt sich rücklings in eine Deutschlandfahne. Kuttner referiert die Studie "Arbeitsplatz Deutschland", einen Deutsch-am-Fließband-Sprachkurs und Erziehungsfilme des Goethe-Instituts für "Gastarbeiter".

"Schön, aber anders" ist das Fazit eines verständnisvoll-kritischen Dialogs der legendären, vom WDR 1979 bis 2000 langzeitbeobachteten Fernsehfamilie Fussbroichs mit den türkischen Nachbarn. Das Land zu Gast bei Fremden kennen sie ja vom Urlaub: Ob sie Kaffee wollten, nein, da trinkt man ja Tee. Wieder unter sich, werden im Rollenspiel die Vor- und Nachteile einer neu erworbenen Sitzgarnitur abgewogen. Der Postfordismus ausdifferenzierter Lebensstile, welche sich die Mehrheitsgesellschaft leisten kann, bricht sich mit dem Old-School-Fordismus der Gastarbeiter, die zuerst Herd und Kühlschrank brauchen.

Dr. Kuttner unterbricht dankenswerterweise für eine Art Publikumsschulung. "Warum Couch" fragt er, mäanderte zum rheinischen Kapitalismus, dem das Rheinische genommen wurde, und nennt Streikende outgesourcte Arbeitslose. Um kurz vor Ende des Referats noch ein überzeugendes Plädoyer für das Fußnoten-Theater loszuwerden.

"Ihr seid Arbeiter, was?", fragt eine Hartz-IV-Proll-Puppe, deren Blaumann nur mehr Dekor scheint. Lieber geht er auf Spritztour mit der tanzschulengeschulten Chorus-Line, die aus Einzelteilen einen Ford Mustang zusammenträgt. Dazu singt Serge Gainsbourg mit Brigitte Bardot im Duett. Im Hintergrund steht urplötzlich ein weißes Pferd. Auftritt Lee Iacocca, Bestsellerautor und reformwütiger Präsident, der - als "Itaker" vom Fatih-Akim-Darsteller Baki Davrak gespielt - mit der Ford-Dynasty nicht zurande kommt und 1978 gefeuert wird. Da driftet das Stück in schöner, aber auch etwas langatmiger Crazyness ab.

Gegen Ende wird es wieder konkret, wenn drei IG-Metaller an der Streiktonne überholte Strategiediskussionen führen. Als Kabuki-Theater tritt der Toyotismus und sein "permanenter Verbesserungsprozess" auf und nimmt dank Gruppengesprächen und Kaizen-Workshops die neu zu motivierenden Genossen gefangen. Ironie der Geschichte: Deutschlandsitz der weltweit ungemein erfolgreichen Toyota Company ist Köln. Die abschließende Schlacht-Beschreibung des historischen Streiks markiert das Ende der fordistischen Ära und ist zugleich physischer Höhepunkt des Abends. Dagmar Sachse schreitet das Spielfeld ab, gibt rasend Report, spricht in diversen Stimmen von den Fronten, ist parteiisch und entsetzt, am Ende körperlich so mitgenommen und erschöpft, dass sie selbst beim Schlussapplaus noch neben der Rolle steht. Da stehen alle schon zwischen Palmen und Hängematten. Die Bühnenarbeiter von Kalk sind hier die letzten Malocher.

Schon 1958 kamen die "Heuss-Türken" auf Einladung des damaligen Bundespräsidenten in die Kölner Ford-Werke. Die Gewerkschaften verdächtigten die herangeholten "Gastarbeiter" als fügsame Lohndrücker. Nachdem 300 türkische Arbeiter die durch lange Anfahrtswege verknappte Urlaubszeit eigenmächtig verlängerten und ihre Entlassung drohte, setzten sie sich im August 1973 gegen die schlechten Arbeitsverhältnisse zur Wehr. Einvernehmlich streikte die gesamte Endmontage-Halle.

Doch von internationaler Solidarität war bald schon nichts mehr zu erkennen, denn die IG Metall bekämpfte den "wilden Streik". Die Spaltung zwischen deutscher und migrantischer Arbeiterschaft führte letztlich zur Niederlage. Baha Targün, als Erster in das Streikkomitee gewählt, wurde bald abgeschoben. "Seine Spur verliert sich in der Türkei", wie der Sozialwissenschaftler Serhat Karakayali schreibt. Der "wilde Streik" von Köln markiert das Ende des fordistischen Kompromisses im Wohlfahrtsstaat. Das Sozialpartnermodell, von dem migrantische Arbeitskräfte meist ausgeschlossen blieben, geriet in eine Wachstumskrise. Bei BMW setzt sich der Streik der migrantischen Kollegen bald schon fort.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!