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Ein Zücher Professor über"Das Ende der Schweiz"

Steht Blochers SVP in der Tradition des europäischen Faschismus? Zumindest sollte es keine friedliche Konkordanz mit dieser Partei geben, meint der Zürcher Professor Jakob Tanner

König der Schweiz: der rechtskonservative Justizminister Christoph Blocher Bild: dpa

taz: Herr Tanner, warum kann der Rechtspopulismus, den Sie auch als "bauernschlaue Taktik der Selbstbereicherung" bezeichnen, so dauerhaft Fuß fassen in der Schweiz?

Jakob Tanner: Die Schweiz hatte während des Kalten Krieges ein vergleichbar stabiles Orientierungssystem. Seit Beginn der Neunzigerjahre muss sie sich neu positionieren. Die SVP war die Partei, die als erstes und sehr erfolgreich nationalistische Argumente ausspielte und einen latenten Alltagsrassismus mobilisierte.

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Jakob Tanner, geboren 1950, ist seit 1997 Professor für Geschichte der Neuzeit an der Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Zürich in der Schweiz.

Lässt sich dies als ein Bildungsproblem beschreiben?

Nein.

Warum nicht?

Weil Bildung nicht vor politischen Fehlentscheidungen versichert. Außerdem haben die durchaus gebildeten Unternehmer ein ambivalentes Verhältnis zur sogenannten Ausländerfrage, schon allein aus ökonomischen Gründen. Die Tendenz, billige Arbeitskräfte zu importieren und gleichzeitig Propaganda gegen "kriminelle Ausländer" zu machen, nimmt zu.

Was ist das Besondere am Schweizer Rechtspopulismus?

Die Schweiz war ja nie ein linkes Land. Zudem gab es im ganzen 20. Jahrhundert eine enorme Angst vor der sogenannten Überfremdung. In den Sechzigerjahren haben Schweizer Nationalisten europaweit eine Avantgarderolle bei der Verbreitung einer fremdenfeindlichen antibürgerlichen Propaganda übernommen. Aber die konnte damals noch in die Schranken gewiesen werden. Neu ist, dass die bürgerliche Politik, die von Staatsseite immer auf Ausgleich angelegt war und liberale Werte hochhielt, seit den 1990er-Jahren durch die SVP systematisch ausgezehrt wird.

Wie kommt es zu dieser Auszehrung?

Der Umstand, dass man als kleiner neutraler Nationalstaat mit der EU auf bilateraler Ebene verhandeln kann und sich nur das rauspickt, was für die Schweiz nützlich ist, führt zur Ansicht, die Schweiz könnte ihren Wohlstand ausbauen, indem sie seine parasitäre Nischenfunktion sichert. Nehmen wir etwa das "Wunder von Obwalden". Obwalden ist ein kleiner, sehr katholischer Kanton, in dem sich völlig überraschend ein SVP-Kandidat durchsetzen konnte.

Vor kurzem haben die 35.000 Einwohner beschlossen, ihren Kanton zum internationalen Steuerparadies umzubauen. Inzwischen wurde die Verfassungswidrigkeit dieses Versuchs festgestellt. Das Beispiel zeigt, dass versucht wird, ausländisches Steuersubstrat abzuwerben. Gleichzeitig ist man gegen Ausländer, die nicht mit großen Vermögen winken können. Die Vorstellung, mit dem Festhalten am Franken könne man für vermögende Menschen so eine Art alpines Offshore-Zentrum werden, findet seit Jahren immer mehr Anhänger.

Wie sieht es mit der Gegenwehr aus?

Die Lage ist disparat. Es gibt eine beträchtliche Anzahl von Intellektuellen, die sich klar gegen SVP-Chef Christoph Blocher geäußert haben. Die Ausstellung "Fascho! berichte aus dem alltag", die diesen August in der Shedhalle in Zürich zu sehen war, fragte, ob Blocher nicht der Tradition europäischer Faschisten zuzurechnen wäre. Und der Wirtschaftsminister Pascal Couchepin (FDP) erklärte kürzlich, dass Blocher ihn an Mussolini erinnere.

Finden Sie das auch?

Die SVP knüpft - anders als Österreichs Haider - weniger an die angeblich "guten Seiten" des Nationalsozialismus an. Es gibt keine Appelle zur Gewaltanwendung, auch wenn bei SVP-Aufläufen regelmäßig gewaltbereite Rechtsextreme auftauchen und die SVP-Computerspiele vertrieb, bei denen man zum Beispiel Grüne spitalreif fahren konnte. Betrachtet man aber die Ideologie des Fremdenhasses und die Absolutsetzung des Volkes, dann sehe ich historische Parallelen.

Schweizer Künstler wie Thomas Hirschhorn halten das Schweizer Konkordanz-Prinzip für obsolet. Was meinen Sie?

Mit der SVP kann man keine Regierungspolitik machen, die demokratischen Standards genügt. Insofern ist das Konkordanz-Prinzip als politisches Projekt faktisch an sein Ende gekommen. Die Frage lautet: Wird sich eine zukunftstaugliche Mitte-links-Koalition ohne SVP herausbilden oder kommt das ganze System durch die Obstruktionspolitik Blochers vollends ins Stottern? Das wäre dann das Ende der bürgerlich-liberalen Schweiz.

Akademiker, die an Schweizer Universitäten arbeiten, beklagen, dass sich das Ressentiment gegen Deutsche als qualifizierte Lohndumper zunehmend verstärke.

An Hochschulen gibt es kein Lohndumping. Sehr wohl aber in anderen, weniger Qualifikation voraussetzenden Bereichen, wo Schweizer Arbeitskräfte fehlen und man auf ausländische angewiesen ist.

Trotzdem hat das Ressentiment zugenommen?

Ja. Auch insofern es medial Resonanz findet. Ein Beispiel: Im Zuge der Bologna-Reform wurde 2005 an der Universität Zürich das Studienfach "Schweizer Geschichte" abgeschafft. Von 1.300 Studierenden hatten nur drei dieses Fach belegt. Der Clou aber war, dass der Tagesanzeiger titelte: "Schweizer Geschichte abgeschafft - sind deutsche Professoren daran schuld?" Es wurde also ein vollkommen absurder Zusammenhang konstruiert. Ich finde aber nicht, dass es sich hier schon um eine Bewegung handelt. Die Stimmung im Bildungsbereich scheint immer noch ganz gut zu sein.

Hilft die teilweise scharfe Kritik aus dem Ausland den liberalen Kräften in der Schweiz?

Die ausländischen Medien haben eine Beobachterfunktion und können Denkprozesse in der Schweiz unterstützen.

INTERVIEW: INES KAPPERT

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