Eskalation in Südbrasilien: Blutiger Streit um genmanipuliertes Saatgut
Der Konflikt um das Gentech-Areal des Schweizer Agrarmultis Syngenta in Brasilien fordert zwei Tote - darunter ein Aktivist, der gegen das genmanipulierte Saatgut kämpfte.
PORTO ALEGRE taz "Wir sind überzeugt, dass wir mit unseren hervorragenden Produkten weltweit zu einer besseren Ernährung beitragen können". Diese "Vision", mit der die Schweizer Saatgutfirma Syngenta auf ihrer Website wirbt, erscheint den Mitgliedern der brasilianischen Landlosenbewegung MST zynischer denn je. Denn ihr langjähriger Aktivist Valmir Mota de Oliveira (34) hat seinen Einsatz gegen den Gentechmulti mit dem Leben bezahlt.
Am Sonntag vor einer Woche hatte die MST zum dritten Mal in 19 Monaten das 127 Hektar große Syngenta-Versuchsgut besetzt, das im südbrasilianischen Santa Tereza do Oeste liegt, unweit der berühmten Iguaçu-Wasserfälle. Stunden später stürmten rund 25 bewaffnete Wachleute das frisch errichtete MST-Zeltlager, erschossen Mota und verwundeten weitere fünf Aktivisten. Auch ein Wachmann wurde getötet. Die Ermittlungen über den genauen Tathergang laufen noch. Sieben Angehörige der von Syngenta verpflichteten Sicherheitsfirma sitzen in Untersuchungshaft, der Chef ist wegen Mordes angeklagt. Auf einer ökumenischen Gedenkfeier forderten die Landlosenaktivisten am Samstag, Syngenta solle Brasilien verlassen.
Danach sieht es gar nicht aus: Erst im September hatte der Multi die Zulassung seines Genmaises Bt11 feiern können. Topmanager Michael Mack kündigte "viele weitere Syngenta-Lösungen für die brasilianischen Pruduzenten" an. Den Genmais ICP4 soll die zuständige "Nationale Technische Kommission für Biosicherheit" als nächstes freigeben. Vor 10 Tagen wurde jedoch die Zulassung für Bt11 von einem Bundesgericht wieder ausgesetzt, ebenso wie die früheren Genehmigungen des Bayer-Maises "Liberty Link" und der Monsanto-Sorte MON810, denen Präsident Lula da Silva bereits im März den Weg geebnet hatte.
Gegen Syngenta, Bayer und Monsanto richtet sich die "Kampagne für eine gentechfreies Brasilien" vor allem, die von einem breiten NGO-Bündnis von Umweltgruppen, Verbraucherverbänden bis hin zu Kleinbauernorganisationen vorangetrieben wird. "Diese Firmen kümmern sich weder um die nationale Umweltgesetzgebung mit dem Vorsorgeprinzip noch um mögliche Schäden für die Gesundheit oder die Umwelt", sagt der Aktivist Gabriel Fernandes. "Außerdem beeinträchtigen sie die nachhaltige Landwirtschaft, indem sie den Kleinbauern die Autonomie entziehen, ganz zu schweigen von der Kontaminierung nicht-transgener Kulturen".
Im brasilianischen Repräsentantenhaus bereitet die Lobby der Großagrarier Gesetze voran, durch die die Rechte von Kleinbauern und Indigenen auf ihr Saatgut zugunsten der Gentechriesen ausgehöhlt werden sollen. Von 513 Abgeordneten werden 116 der Agrolobby zugerechnet, 68 davon gehören zum Regierungslager.
Auch die Gentechgegner haben noch einigen Rückhalt in Lulas Arbeiterpartei. Ihr wichtigster Verbündeter ist jedoch der linksnationalistische Gouverneur Roberto Requião aus dem Bundesstaat Paraná, wo der Konflikt um das Syngenta-Areal seit März 2006 eskaliert. Vor einem Jahr enteignete Requião das von der MST besetzte Versuchsgut, auf dem Syngenta mit Gensoja und Genmais angebaut hatte stattdessen sollte dort ein Forschungszentrum für einheimisches Saatgut entstehen. Doch im Juli gab ein Gericht dem Einspruch des Multis statt. Die Landlosen schlugen ihre Zelte in den Nachbarschaft auf.
"Syngenta hat sich mit den reaktionären Großbauern zusammengetan", sagt MST-Koordinator João Pedro Stedile. Die wiederum hätten die Wachleute dazu gedrängt, vier MST-Anführer umzubringen. Mitverantwortlich sei aber auch die Regierung Lula, die die Landreform als "Randproblem" betrachte, meint Stedile: "Das haben die Konservativen ausgenutzt. Hätten wir eine Agrarreform, wäre es nicht zur Konfrontation gekommen".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!