UnitedNationsplaza in Berlin schließt: Wie Berlin Nikosia wurde
Ein gutes Jahr hat die Ausstellung Schule gemacht. Als Manifesta 6 geplant, war sie in Zypern nicht willkommen und feiert jetzt zum Abschluss ein grosses Fest.
Ab dem kommenden Wochenende hat Berlin eine Ausstellung weniger. Eine Ausstellung, die eine Schule war, ursprünglich nicht für Berlin gedacht, sondern für Nikosia. Um eine kurze Chronik der Ereignisse zu geben: Für die Manifesta 6 planten die drei Kuratoren, parallel im türkischen und griechischen Teil der Hauptstadt Zyperns eine Schule einzurichten. Der politische Zwist, der sich um das Vorhaben entspann, kulminierte Anfang Juni 2006 in der Entlassung des Teams und der Absage der Ausstellung. Einer der Kuratoren, Anton Vidokle, wollte die zweieinhalb Jahre investierter Arbeit nicht ungenutzt lassen. Erstaunlich kurze drei Monate Krisenmanagement genügten, um den Plan einer Schule in Zypern in einen funktionierenden Betrieb in Berlin umzusetzen. Räume fanden sich im Seitengebäude eines Supermarktes am Platz der Vereinten Nationen, daher der Name unitednationsplaza. Dort begann am letzten Oktoberwochenende letzten Jahres UNP mit einer Konferenz zur "Geschichte des produktiven Scheiterns".
Warum Schule? In einem Papier, das noch für die Manifesta gedacht war, schreibt Vidokle: "Was genau meint der Wunsch, Kunst solle alle Aspekte des sozialen Lebens durchdringen? Will man Kunst aus ihren abgelegenen und privilegierten Räumen herausbringen oder ist es nur ein weiterer Schritt, die Kunstpraxis noch mehr zu instrumentalisieren? Vielleicht ist die Ausstellung nicht der richtige Ort, um etwas zu beginnen. Man sollte am Anfang anfangen. Also schlug das Manifesta-Team vor, zur Schule zurückzugehen."
Anfang ist in diesem Sinn durchaus historisch zu verstehen. Denn die Vorstellung, Kunst könne eine öffentliche und politische Rolle spielen, geht auf die Gründung ihrer wesentlichen Institutionen zurück. Von denen ist die Schule oder die Akademie nur eine, das Museum als Ausstellungsraum die große andere. Öffentlich wurde dieser Raum für Kunst nicht zuletzt als Ergebnis der Französischen Revolution, in deren Zug die feudalen Schatzkammern von der Republik angeeignet und umgewertet wurden.
Doch das damals erträumte Modell einer teilhabenden und aktiven Öffentlichkeit hat in den letzten Jahrzehnten stark gelitten. Über mögliche Gründe mag man spekulieren. Teils liegen sie einem Kunstbetrieb, der sich selbst hermetisch geschlossen hat und das Publikum nur noch als Projektionsfläche für Skandale und Irritation sehen wollte. Teils in einer politischen Situation des Postkommunismus, in der sich die sogenannte Öffentlichkeit nach dem Wegfall der Systemgegensätze von ideologischen Barrieren ungehindert dem Konsum und dem Spektakel hingibt.
Wo auch immer das Problem verortet wird, in der Schule die Lösung zu suchen, hat eine Tradition, die bis zur Französischen Revolution zurückreicht. 1795 wollte Schiller in seinen Briefen "Über eine ästhetische Erziehung des Menschen" Kunst als Schule in einem öffentlichen und politischen Sinn begreifen. Doch was ein politischer Romantiker vor der Moderne noch als Ausgreifen in eine Welt sehen konnte, stellt sich heute, nach dem Ende der Moderne, ganz anders dar. Die Öffentlichkeit, die Kunst zu Hochzeiten der Moderne mobilisieren konnte, hat sich weitgehend verflüchtigt. Dabei zählen nicht die oberflächlichen Erfolge, nicht die Umsätze der Galerien, nicht die florierenden Kunstmessen, nicht die vielen neu gegründeten Museen oder die Schlangen der Besucher vor den Schaltern. Verloren hat sich jene Art von Beteiligung, mit der Betrachter der Revolution und der Moderne die Kunst noch als etwas sehen konnten, das sie betrifft.
Was also macht die Ausstellung als Schule heute? Vidokle beschreibt die Einrichtung der Schule als den beinahe skulpturalen Prozess, eine soziale Umgebung zu formen. Es ging nicht zuerst um Unterricht, nicht um Ausbildung im landläufigen Sinn, sondern erst einmal darum, einen Raum zu öffnen und eine Situation der Beteiligung in Gang zu setzen. Was in den einzelnen Seminaren stattfand, blieb den geladenen Künstlern und Sprechern überlassen. Erstaunlicherweise drehten sich die Diskussionen kaum um das je eigene Werk, wie bei Künstlern sonst notorisch üblich.
Stattdessen wurden Texte gelesen, Filme gesehen, Thesen vorgestellt und debattiert. Der Zuspruch kam in Berlin überraschend. In der Regel waren die Seminare und Events gut besucht, wenn nicht überfüllt. Und das, obwohl sich manche Ankündigung wie eine Drohung las - "von allen Teilnehmern wird erwartet, die vollen 4 Stunden anwesend zu sein" -, obwohl Englisch durchgehende Sprache war und obwohl das Ganze über der Kunstlandschaft vor Ort wie eine Dropsculpture abgeworfen wurde.
Gerade darin liegt vielleicht ein Grund für den Erfolg. Ohne Rücksicht auf die etablierten und hinreichend segmentierten Berliner Kunstkreise hat UNP einen internationalisierten Kulturimport seltener Intensität erreicht. Situationen vergleichbarer Dichte glücken nicht häufig. Von Dauer können sie kaum sein. An diesem Wochenende endet die Ausstellung als Schule. Im nächsten Jahr werden Folgeprojekte in New York und Mexiko stattfinden. In Berlin gibt es es noch ein letztes Mal ab dem 16. 11. Programm für drei Tage: Vorträge, Screenings, ein Konzert, eine Party. Am Samstag und Sonntag werden die verbliebenen Besitztümer verscherbelt: Büromaterial, Küchengeräte, Rechner, Bücher, Tische und Stühle.
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