Schweizer SVP-Politikerin Widmer-Schlumpf: Sie hats tatsächlich getan
Nach einer Bedenkzeit nimmt die SVP-Politikerin Eveline Widmer-Schlumpf ihre Wahl in den Schweizer Bundesrat an. Nun wird sich die Partei spalten
Die Spannung war mit Händen zu greifen. Lange hat nichts mehr die 7,6 Millionen SchweizerInnen derart interessiert wie diese Entscheidung. Die Menschen warteten am Donnerstagmorgen vor dem Fernseher, am Radio oder über das Internet auf den Auftritt der SVP-Politikerin Eveline Widmer-Schlumpf. Um 8.06 Uhr war es schließlich so weit: Widmer-Schlumpf verkündete, dass sie die am Mittwochmorgen durch die beiden Kammern des Berner Bundesparlaments - den Nationalrat und den Ständerat - erfolgte Wahl als neues Mitglied der siebenköpfigen eidgenössischen Bundesregierung, des Bundesrats, annimmt.
Bei den meisten Schweizerinnen und Schweizern machten sich Erleichterung und Freude breit, in der Hauptstadt feierten gar anderthalb tausend Menschen die politische Wende. Denn damit war entschieden, dass der seit 2003 amtierende Justizminister Christoph Blocher und heimliche Führer der Schweizerischen Volkspartei aus der Regierung ausscheiden muss. Auch im Parlament machten nicht nur Grüne und Sozialdemokraten keinen Hehl aus ihrer Genugtuung über diese Entwicklung, sondern sogar die der bürgerlichen Mitte. "Die Mehrheit des Parlaments wollte keinen Bandenchef mehr in der Regierung haben", freute sich der liberale Abgeordnete Claude Ruey.
Wenn der bekannteste Politiker eines Landes nach langen Jahren stürzt, könnte er sich durch einen staatsmännischen Abgang selbst bei parteipolitischen Gegnern in positiver Erinnerung halten. Christoph Blocher, 67, nutzte diese Chance nicht. Er bewies mit seiner Parlamentsrede nach seiner Abwahl als Schweizer Justizminister, dass er nicht nur ein schlechter Demokrat, sondern auch ein ganz schlechter Verlierer ist. Wie zur Bestätigung all der Gründe, die die parteiübergreifende Allianz zu seiner Abwahl zusammengebracht hatten, kündigte er prompt eine "Totalopposition" an.
Die vier Jahre seit seiner Wahl waren gekennzeichnet vom Personenkult um den Milliardär und dem von ihm ständig wiederholten Mantra, ohne ihn werde die Schweiz untergehen. Legendär sind seine Verächtlichmachung Andersdenkender, seine Respektlosigkeit vor den politischen Institutionen der Schweiz sowie seine ständige Missachtung des Kollegialprinzips im Bundesrat.
Ohne all diese negativen Eigenschaften hätten allein die zahlreichen Meinungsunterschiede in politischen Sachfragen, die Abgeordnete nicht nur aller anderen Parteien, sondern selbst so manche in der SVP mit Blocher haben, wohl kaum zu seiner Abwahl gereicht. Am meisten gewurmt hat viele Abgeordnete die Doppelrolle, die Blocher gespielt hat: als Mitglied der Regierungsexekutive in einem wichtigen Ressort und zugleich als Volkstribun, der die vermeintlichen "Interessen des Volkes" gegen Regierung und Parlament artikulierte. Zumindest diese Doppelrolle wird Blocher in den nächsten vier Jahren nicht mehr spielen können.
Blocher wurde am 11. Oktober 1940 als siebtes von elf Kindern im Kanton Zürich geboren. Der ehrgeizige Jurist trat mit 29 Jahren in die Rechtsabteilung der Emser Werke ein, drei Jahre später war er Direktionsvorsitzender und Verwaltungsratsdelegierter. Nach dem Tod des Firmeninhabers Oswald übernahm Blocher 1983 das Unternehmen mit einem 20-Millionen-Franken-Kredit. Immer wieder wurde ihm vorgeworfen, mit gezinkten Karten gespielt zu haben. Aber das Unternehmen florierte. Blocher übergab seine 73-Prozent-Beteiligung an der Ems-Chemie-Gruppe am 31. Dezember 2003, dem Tag vor seinem Amtsantritt, an seine Kinder. Das Familienvermögen wird auf drei bis vier Milliarden Franken geschätzt.
Blocher, seit vielen Jahren der bekannteste und umstrittenste Politiker der Schweiz, war am Mittwoch seiner moderaten Parteikollegin Widmer-Schlumpf in zwei Wahlgängen unterlegen. Die Konkurrentin ist seit 1998 in der Regierung des Kantons Graubünden für das Finanzressort zuständig und seit 2003 auch Präsidentin der Finanzkonferenz aller 26 Kantone. Wegen ihrer sachorientierten, erfolgreichen Politik genießt sie in allen politischen Lagern Respekt. Bei der Wahl zur Bundesrätin am Mittwochmorgen erhielt Widmer-Schlumpf nicht nur sämtliche Stimmen der Sozialdemokraten und der Grünen. Auch fast alle Abgeordneten der katholischen Christlichen Volkspartei (CVP) sowie etwa ein Drittel der Fraktion der wirtschaftsliberalen FDP votierten für Blochers Gegenkandidatin.
Blocher sowie die Partei- und Fraktionsführung der SVP ließen anschließend nichts unversucht, um die neugewählte Bundesrätin aus der eigenen Partei zum Amtsverzicht zu bewegen - man warf ihr "Verrat" an der SVP und am "Volkswillen" vor. Mit der Drohung, Blocher werde den Sitz seines Unternehmens Ems-Chemie - mit Abstand der größte Steuerzahler in Graubünden - in einen anderen Kanton verlegen, sollte die Graubündner SVP-Sektion von ihrer Unterstützung für Widmer-Schlumpf abgebracht werden. Zudem stellten die Parteioberen der neugewählten Bundesrätin in Aussicht, sie werde ein Regierungsmitglied "ohne Fraktion im Parlament" sein.
Mit derselben Drohung hatten Blocher und seine Strategen bereits versucht, den moderaten Berner SVP-Politiker und bisherigen Verteidigungsminister Samuel Schmid zu nötigen, sich nicht als Regierungsmitglied vereidigen zulassen. Schmid war am Mittwoch vom Parlament mit glänzendem Resultat wiedergewählt worden. Hätte er dieser Erpressung nachgegeben, wäre möglicherweise auch Widmer-Schlumpf während der 18-stündigen Bedenkzeit, die sie sich unter dem massiven Druck der Partei- und Fraktionsführung am Mittwochmittag ausgebeten hatte, umgefallen. Dann wäre Blocher gestern Morgen in einem weiteren Wahlgang erneut angetreten.
Nun aber geht Blocher mit seiner SVP in die "Totalopposition". Mit Referenden, Kampagnen und anderen Instrumenten außerparlamentarischer Politik wollen er und seine Parteifreunde notfalls auch gegen Parlament und Regierung den "Volkswillen" durchsetzen, der durch die Abwahl angeblich "missachtet" wurde.
Nach Auffassung nahezu aller gestrigen Schweizer Zeitungskommentare ist Blochers Abwahl allerdings in erster Linie seine eigene Schuld und die seiner Partei. Die Argauer Zeitung spricht von einer "oft provozierenden, überheblichen, mal auch unflätigen oder erpresserischen Art, zu politisieren". Die SVP habe ihren durch den Sieg bei der Parlamentswahl vom Oktober legitimierten Machtanspruch "selbstherrlich mit der Person Blocher verknüpft und damit die Niederlage selber provoziert", kommentiert die Basler Zeitung. Und viele Medien erinnern daran, dass die SVP vor vier Jahren erstmals in der Geschichte der Schweiz die Abwahl einer amtierenden Bundesrätin durchgesetzt hat, außerdem mehrfach seit den 70er-Jahren die offiziellen BundesratskandidatInnen der SP verhindert und statt ihrer konservativen Sozialdemokraten zum Amt verholfen hat.
Von der "Totaloppositions"-Drohung des Blocher-Flügels zeigen sich Sozialdemokraten und Grüne unbeeindruckt. Sie meinen, seit seiner Wahl zum Justizminister im Herbst 2003 habe Blocher bereits permanent eine Doppelrolle gespielt - als Mitglied der Exekutive und zugleich als Volkstribun, der Opposition gegen die Regierung betreibt, finanziert und artikuliert.
Im Frühjahr soll Blocher auch ganz offiziell zum Parteichef gewählt werden. Vorher wird sich die SVP aber wahrscheinlich spalten. Von ihren derzeit 62 Abgeordneten im Nationalrat werden möglicherweise bis zu 20 - unter anderem aus den moderaten Parteigliederungen in Graubünden und Bern - eine neue Fraktion gründen. Oder sie schließen sich der Christlichen Volkspartei an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!