piwik no script img

HAUSTIERE (III)Das Silberfischchen

Sechs Beinchen und eine archaische Zange

Das Licht fällt plötzlich aus. Die Sicherung? Ein Wackelkontakt? Meine Blase schlägt trotzdem an. Ich schleiche mich langsam ins Bad, taste im Dunkeln mit der Rechten nach dem Lichtschalter. Klick. Die fünf Quadratmeter, die vor mir liegen, sind auf einmal gleißend hell. Ist das Zufall? Oder eine vom Netz unabhängige Insel?

Das Panorama, das sich vor mir auftut, hat seine schwarzen Flecken: Am Boden starrt mich ein winziger, aber forscher Wurm an: sechs Beinchen, Fühler am Kopf und eine archaischen Zange am Schwanz. Ich bin angeekelt, meine Phobien kommen hoch. Aber das Viech, das die ganze Dynamik erzeugt hatte, war, schneller als ich blinzeln konnte, schon verschwunden – unter dem Bord, dem Schrank oder einer Tapetenspalte.

Später, eingeklemmt zwischen Computer und Küchenbord, finde ich mittels Suchmaschine heraus, dass dies hellgrau schillernde Getier ein Silberfischchen gewesen sei. Ein uraltes (schon vor dem Zeitalter des Klimawandels stark bedrohtes, gleichwohl intelligentes) Gliedertier. Ein flinkes, lichtscheues und flügelloses Ur-Insekt, das seinen Namen durch seinen silbergrauen, stromlinienförmigen Körper erhalten hat.

Aber es geht hier ja nicht um genaue biologische Bestimmungen. Ich erinnere mich an meine Kindheit: Wir wohnten in einem Mehrgenerationenhaus, lange bevor es so etwas offiziell gab oder unter Polizeieinsatz dafür vorgesehene Häuser freigeprügelt wurden. Ich, als Kleinkind, lebte im siebzehnten Stock, so erinnere ich mich, kann es aber nicht bezeugen. Weiß nur, dass in jeder Etage ein anderer Schädling hauste. Bei uns ein dahinsiechender Schleierschwanz, weiter unten die Hunde und ebenerdig die Perserkatzen. Manchmal flitzte das Silberfischchen mit auf die Waage. Komischerweise waren er und ich zusammen nicht mal halb so schwer wie ich alleine. TIMO BERGER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen