Auf dem Seeweg: Ab nach Helsinki
Wochentags im Hafen von Travemünde. Gähnende Leere. Ist er überhaupt geöffnet?
Schließlich soll hier um 19 Uhr das Schiff nach Helsinki ablegen. Immerhin: In der Cafeteria sitzt jemand und hält sich an der Kaffeetasse fest. Ich setze mich an den Nebentisch, bestelle Kaffee. "Josef", stellt sich der Wartende vor, nachdem wir Brigitte gegen Bild und Zucker gegen Milch getauscht haben. Er komme aus Ungarn und fahre mit dem Schiff nach Helsinki, erzählt er. Das verschaffe ihm die nötigen Ruhepausen bei der Fahrerei mit dem Lastwagen. Er ist Fernfahrer. Er warte seit gestern. Und langweilt sich.
Wer baut die angesagtesten Handys der Welt? Wo leben die besten Schüler? Und wer hat gerade den Song Contest 2006 gewonnen? Richtig: Finnland, Finnland, Finnland. Es ist irgendwie etwas Magisches an diesem Land im hohen Norden, das beinahe unbemerkt eine europäische Spitzenposition nach der anderen erobert. Vor allem die Hauptstadt Helsinki steht weltweit für moderne Architektur - wie z. B. die berühmten Alvar-Aalto-Bauten - und für Design der Avantgarde. Kontrastreich und reizvoll ist die Kombination des Helsinki-Städtetrips mit einem Tagesausflug nach Estland ins mittelalterliche Tallinn. Nach knapp anderthalbstündiger Fahrt über den finnischen Meerbusen befindet sich die berühmte Altstadt der Hansemetropole nur zehn Gehminuten vom Terminal entfernt. Das Unesco-Weltkulturerbe gehört zu den am besten erhaltenen Bau-Ensembles aus dem 13./14. Jahrhundert: vom gotischen Rathaus und den mittelalterlichen Stadtmauern über die Toompea-Burg mit dem Turm "Langer Hermann" bis hin zur Alexander-Newski-Kathedrale mit ihren Zwiebeltürmen.
Der Frau am Tresen hat er schon alle Bilder seiner Tochter gezeigt, alle Ehedramen erzählt, die magere Speisekarte rauf und runter probiert. Die Schiffsreise nach Finnland mache er regelmäßig, berichtet er weiter. Das sei die reine Erholung vom monotonen Fahren. Er schätze die Abende mit Kollegen, Gespräche, Kartenspielen, Ausruhen.
In dem nach Helsinki fahrenden Schiff der luxuriösen Hansa-Klasse mit ihren Außenbordkabinen fahren neben einigen Touristen vor allem Trucker wie Josef mit. Sie treffen sich an der Bar, im Restaurant oder sitzen im Wohnzimmer der Trucker mit riesigem TV, Kaffee- und Waschmaschine. Das Essen an Bord mit reichlich Fisch, Obst, Salat und verschiedenen warmen Gerichten ist ausgesprochen gut, der Fitnessbereich schlicht mit obligatorischer Sauna und Sportrad.
Auch der finnische Filmemacher Aki Kaurismäki, bislang mein einziger Bezugspunkt zum unbekannten Helsinki, setzt meistens im Schiff zum Deutschlandbesuch über, wie er in einem Interview gestand. Die Atmosphäre hier an Bord passt zumindest in seine Filme: unaufgeregt, bodenständig, ganz normal ganz anders. Beim Einlaufen im Hafen von Helsinki, das wir beim Frühstück morgens um sechs Uhr beobachten, grüßt Josef ein letztes Mal und steckt mir eine Tüte türkischen Pfeffer zu.
Tipp: Im Rahmen einer 4-tägigen Seereise mit Finnlines bleiben immerhin 12 Stunden Zeit, um Helsinki zu besichtigen und abends wieder zurückzufahren.
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