piwik no script img

Schengen Raum wird größerFestung Europa schottet sich ab

Die Slowakei rüsten die neue EU-Außengrenze zur Ukraine auf: Ein elektronischer Schutzwall und bürokratische Hürden sollen unerwünschten Gästen die Einreise erschweren.

Mit Hilfe der EU gebaut: Der neue slowakisch-ukrainische Übergang Vysne Nemecke. Bild: dpa

PRAG taz Am Donnerstag wird gefeiert in der slowakischen Hauptstadt Bratislava: um Punkt 11 Uhr zertrümmern Ministerpräsident Robert Fico und sein österreichischer Amtskollege Alfred Gusenbauer einen Schlagbaum am Grenzübergang Petrzilka-Berg. Richtig steigt die Party ab Mitternacht, wenn die Grenzen nicht nur symbolisch fallen und die Slowakei offiziell dem Schengen-Raum beitritt.

Dieser erweitert sich um insgesamt neun Staaten. Neben der Slowakei gehören ab Freitag Tschechien, Ungarn, Polen, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen und Malta dem Schengen-Klub an. Paradox ist, dass Europa einerseits durch den Wegfall der Grenzkontrollen enger zusammenrückt, sich andererseits durch die Verschiebung der Schengen-Aussengrenzen zweiteilt. Ein Schengen-Graben entsteht, der Unions- und Resteuropa, arm und reich voneinander trennt.

Wie in der Slowakei: Während im Westen des Landes, wo die Slowakei nicht nur an Österreich, sondern auch an Ungarn und Tschechien grenzt, Barrieren und Grenzkontrollen verschwinden, rüstet man im Osten auf. Hier, an der 97 Kilometer langen Grenze zur Ukraine, entsteht Europas neuer Schutzwall. Ein elektronischer Vorhang ist es, der die Festung Europa schützen soll - vor Schmugglern, Schwarzarbeitern und den armen Verwandten aus der Ukraine, die bereit sind für wenig Geld fast alles zu machen. Es wird geschätzt, dass sieben der 46 Millionen Ukrainer im Ausland ihr Glück suchen.

Mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 7800 Dollar gehört die Ukraine zu den Armenhäusern Europas. Zum Vergleich: in der Slowakei beträgt das Durchschnittseinkommen 18 200 Dollar, in Tschechien 22000 und in Deutschland 31 900 Dollar.

Wo die Armut so nahe ist, wird Europa zu Festung. Und die Slowakei ist ihr Wächter. Insgesamt 250 Kameras, teils ausgerüstet mit Infrarot und Nachtsicht, beobachten die Grenze. Thermokameras, die je nach Bedarf an Transporter oder Wachtürmen angebracht werden können, sollen über unübersichtliches Terrain wachen. Wer von den Kameras erfasst wird, hat Pech gehabt. "Auf der Landkarte leuchtet auf, wo, und per Hilfe von GPS senden wir die nächstliegende Streife hin," erklärt der Chef der Grenzpolizei Miroslav Uchnar.

Für jeden Kilometer der slowakisch-ukrainischen Grenze stehen neun Polizisten zur Verfügung. Rund eine viertel Million Euro hat Brüssel der Slowakei zur Befestigung ihrer Grenze beigesteuert. Wer ab Freitag die Grenze passiert, ist nicht nur in der Slowakei sondern eigentlich auch schon in Spanien, Belgien oder Deutschland. Deshalb wurde jenseits der hohen Tatra nicht nur ein elektronischer Vorhang hochgezogen, sondern auch ein bürokratischer. Insgesamt 18 verschiedene Bestätigungen, 35 Euro und zwei Wochen Zeit sind nötig, um ein so genanntes Schengen-Visum zu bekommen.

Die Bürokratie beeinträchtigt vor allem den kleinen Grenzverkehr. Und der war zwischen der Slowakei und der Ukraine recht rege. Nicht nur, wegen billigem Alkohol, Zigaretten oder Benzin, sondern auch wegen familiärer Bande oder alten Freundschaften. Denn die Grenze zwischen beiden Ländern ist eine künstliche. Sie wurde 1945 gezogen, als die Sowjetunion sich die Karpathoukraine als Kriegsbeute einverleibte. Früher endete dort die Sowjetunion, heute die EU.

Jetzt hofft man, das Schengen-Regime zu lockern, um den kleinen Grenzverkehr nicht wieder einzufrieren wie zu Sowjetzeiten. Die Slowakei und die Ukraine verhandeln über Möglichkeiten, die Bewohner des Grenzgebiets von der Visapflicht zu entbinden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!