Fröhliches Pflaster: Im Zeichen der Jungfrau
Die Galápagos-Inseln kennt jeder, Ecuador hingegen ist unbekannt. Dabei bietet kein Land Südamerikas auf so kleinem Raum eine solche Vielfalt an Landschaften, Flora und Fauna
Wie der Name schon nahelegt, liegt Ecuador auf dem Äquator, wobei der Großteil des Landes südlich davon liegt. Die Galápagos-Inseln gehören zu Ecuador und liegen etwa 1.000 km vor der Küste. Zu Ecuador gibt es von den einschlägigen Verlagen eine ganze Reihe guter Reiseführer: Reise Know-How, Michael Müller, Lonely Planet, Polyglott und selbst den alten Mais Weltführer. Das Internet in seiner alles verschlingenden Globalität ermöglicht es, sich nahezu jede bessere Hacienda, aber auch fast jedes einfachere Rucksackhotel zu ergoogeln (wobei man dann im hauseigenen Internetcafé die täglichen Digifotos gleich nach Hause schicken kann. Extratipp: Wer an maßgeschneiderten Freundesreisen nach Ecuador und Galápagos interessiert ist, sollte es bei Elly Beckman versuchen: ebeckman@interactive.net.ec
Auf dem Panecillo, dem "Brötchen"-Berg mitten in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito, steht in 3.000 Meter Höhe eine der merkwürdigsten Monumentalfiguren Amerikas. Die "Virgen de Quito" besteht aus über 7.000 Aluminiumblöcken, die der spanische Bildhauer Agustín de la Herrán Matorras 1976 dort zu einer seltsam verschraubt, fast spastisch wirkenden Jungfrau Maria zusammengenietet hat. Als eine gigantische Kopie der weitaus kleineren und viel schöneren "Immaculada" des Mestizo-Künstlers Bernardo de Legarda aus dem 18. Jahrhundert, die in der San-Francisco-Kirche in der Altstadt aufbewahrt wird, verfügt auch sie - über Flügel! Zudem hat sie den Mond unter ihren Füßen und steht auf einem Drachen, mit dem sie durch eine Kette verbunden ist.
Zwar behauptet der quitenische Volksmund, sie sei angekettet, damit sie nicht hinuntersteigt und sich den leichten Mädchen anschließt, die in dem Viertel zu ihren Füßen ihrem Beruf nachgehen. Doch das ist nur halb wahr. Es ist wohl eher so, dass de la Herrán wie de Legarda einer Strategie der Ordensbrüder Quitos im 18. Jahrhundert folgten. Die vermischten nämlich angesichts der sich ausbreitenden Sittenlosigkeit in der Audiencia von Quito das Bild der Jungfrau Maria mit dem jenes apokalyptischen Weibes aus dem 12. Kapitel der Offenbarung des Johannes, das angetan mit einem Sonnenkleid und einer Sternenkrone einem satanischen Drachen Paroli bietet, wozu ihr "zwei Flügel gegeben" wurden. Gelehrten Texten zur geflügelten "Virgen Apoclíptica" von Quito ist zu entnehmen, dass sie damals ein mächtiges Instrument zur Förderung der Frömmigkeit war. Wohl auch deswegen, weil ihr Versprechen weniger apokalyptisch als eher hoffnungsfroh, eben marienmäßig, war: das Versprechen der Errichtung einer neuen Ordnung, die begründet ist auf der Gerechtigkeit Gottes.
Dem Betrachter, der vor allem wegen des Ausblicks auf den Panecillo kommt und hier der Jungfrau direkt in die Flügelachselhöhlen blickt, kann es passieren, dass er angesichts des Wustes an Symbolik in der Figur plötzlich eine durchaus treffende Beschreibung der aktuellen ecuadorianischen Realität erkennt: Steht da nicht ein eigentlich unbeflecktes jüngferliches Land im Lichte der andinen Sonne und kämpft gegen den altbösen Feind, an den es so lange gekettet war und der "die ganze Welt verführt"? Und helfen nicht derzeit zwei Flügel - nennen wir sie einen neuen Präsidenten und eine neue verfassunggebende Versammlung - diesem Land hinter dem Mond, nun endlich hoffnungsfroh eine neue, gerechte Ordnung zu finden?
Gewiss, die christliche Symbolik hat gern etwas Zwanghaftes. Doch vielleicht hat das kleine Land am Äquator mit seiner geflügelten Jungfrau ja schon früh einen Weg gefunden, auch dem Kampf gegen den Teufel einen gewissen fröhlichen Charme zu geben. Vergleicht man den neuen, jugendlichen, fast milchgesichtigen Präsidenten Rafael Correa mit seinen doch eher bullig und keineswegs engelhaft wirkenden Kollegen Chávez in Venezuela und Morales in Bolivien, so möchte einem Ecuadors Weg in den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" im Moment jedenfalls als der beflügelndste erscheinen. Wenngleich auch durchaus Bedenken bestehen, vor allem angesichts Correas wachsenden "caudillismo", der sich etwa in einem ziemlich autoritären Umgang mit kritischen Journalisten ausdrückt. Doch bis jetzt überwiegt bei der Mehrzahl der Ecuadorianer die Hoffnung auf einen demokratischen Weg. Dass der Präsident auf dem demokratischen Teppich bleibt, könnte dadurch erleichtert werden, dass seine Partei bei den Wahlen zur neuen Constituyente gerade eine große Mehrheit bekommen hat. Nie in den letzten Dekaden hatte ein Präsident so viel Rückhalt in der Bevölkerung.
Kein Land Südamerikas bietet auf so kleinem Raum eine solche Vielfalt an Landschaften, Flora und Fauna: ein schnell zu erreichender Urwald, Humboldts berühmte "Straße der Vulkane" mit dem legendären Chimborazo und eine Küste, die nicht nur eine neblige Wüste ist, wie die am Pazifik südlich des Äquators. Dazu jede Menge hübscher Städtchen, farbenfrohe Märkte, Kraterseen, Thermalquellen, Dschungel-Lodges, alte Haciendas und ein Nachtleben, das es so vor zehn Jahren nirgendwo im Lande gab.
Das früher eher verschlafene Quito ist in diesen Tagen ein fröhliches Pflaster. Die Plaza ist neu renoviert, aus Altstadtgassen wie etwa La Ronda hat man hübsche Fußgängermeilen gemacht, wo Kunst, Theater oder Spiele für Kinder angeboten werden. Am Sonntag ist die gesamte Altstadt autofrei, und für Kulturveranstaltungen wird auch mal die Innenstadt gesperrt. Auf den Hausberg Pichincha, an dessen sanften Hängen 1822 Nationalheld Mariscal de Sucre die Entscheidungsschlacht gegen die spanischen Royalisten gewann, führt seit 2005 der "Teleférico". Die moderne Seilbahn bringt einen von knapp 3.000 auf weit über 4.000 Meter Höhe. Wer dann höher wandert, bei dem stellt sich bald eine gewisse Atemnot ein. Doch für matte Gringos gibt es eine Snackbar wie auf fast jedem schönen Alpengipfel.
Die Globalisierung hat in den Anden und am Pazifik ihre Schneisen geschlagen: Discos, moderne Cafés und Shopping-Malls findet man überall. In Guayaquil ist die neue Hafenpromenade zum "Malecón 2000" aufgebrezelt. Trotz eines feinen Museums versprüht er leider auch ein wenig McDonalds-Freizeitpark-Atmosphäre. Und das einst wilde und übel beleumundete Hafenviertel Las Peñas ist pazifiziert und touristisiert: Man fühlt sich sicher, trauert aber auch ein wenig den alten wilden Zeiten nach.
Globalisierung muss aber nicht nur McDonalds heißen. In der Asociacón Alejandro Humboldt (so nennt sich das Goethe-Institut in Quito zu Ehren des beliebtesten Deutschen in Südamerika) - heißt sie zum Beispiel Michael Sowa und Rudi Hurzlmeier. Die beiden komischen Maler aus Berlin und München bringen den Ecuadorianern eine ganz andere Seite der Deutschen nahe, als dies der große Reisende und Universalgelehrte vor 200 Jahren in Südamerika tat. Sie sind im Rahmen einer Reise von Freunden zur Eröffnung ihrer Ausstellung "Arte cómico de Alemania" nach Ecuador gekommen. Inzwischen sind die lustigen Bilder bereits nach Guayaquil gereist. Weitere Ausstellungen in ganz Südamerika sollen folgen.
Sowa und Hurzlmeier sind beide ausgezeichnete Tiermaler und versäumen es nicht, Galápagos zu besuchen, jene "Arche Noah im Pazifik", die auch heute noch eines jener Reiseziele auf der Erde ist, das nicht gesehen zu haben Grund genug für eine Wiedergeburt wäre. Auf der "Fragata", einer Yacht für 16 Passagiere, kreuzt die Freundesgruppe mit den Malern fünf Tage durch den Archipel und genießt jenes im Wortsinne "paradiesische" Gefühl, das diese Inseln so einzigartig macht: Die Tiere hier haben einfach keine Angst vor den Menschen.
Eine große Hilfe ist der Gruppe dabei ihr Naturführer Esteban. Der fröhliche, kenntnisreiche Guide, der im Nebenberuf Präsident der Naturführer von Galápagos ist (siehe Interview), steht mit allen Tieren der Inseln auf vertrautem Fuße und fördert nach Kräften das Zusammentreffen der neugierigen Deutschen mit so reizvollen Spezies wie Blaufußtölpeln und Meeresleguanen, Haifischen und Fregattvögeln, Riesenschildkröten und Seelöwen. So finden die Künstler immer wieder schöne Motive und können sie in aller Ruhe studieren. Ein Wunder, wenn sich das nicht in ihrem Werk niederschlüge.
Das Bild Ecuadors könnte also von europäischen Künstlern wieder einmal eine neue Facette verpasst bekommen. Es muss ja nicht immer die apokalyptische Jungfrau sein.
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