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Hessen vornDie erste lesbische Kreationistin

Eine Stadträtin, die gerne trinkt. Eine Ministerin, die eine Frau liebt. Verliert die CDU wegen ihrer Frauen?

Neulich in Frankfurt. Nach einem harten Arbeitstag studiert Daniela B. noch Akten. Dazu trinkt sie ein paar Gläser Wein. Plötzlich merkt sie, dass in ihrem Haus etwas fehlt. Was genau fehlt, weiß Frau B. nicht, dass etwas fehlt, weiß sie ganz sicher. Wurde sie bestohlen? Sie ruft die Polizei an. Um Anzeige zu erstatten, muss sie persönlich erscheinen. Gegen 23 Uhr fährt sie mit ihrem Auto zum nächsten Polizeirevier. Dort wundern sich die Beamten über ihr Verhalten. Ein Alkoholtest ergibt 2,0 Promille.

Eigentlich ein Fall für die "Gurke des Tages". Und ein Fall für den hessischen Wahlkampf. Denn Frau B. heißt Birkenfeld und sitzt für die Frankfurter CDU im Stadtrat: Jugend, Sport und Soziales. Die Opposition feixt. Aber auch in der eigenen Partei gerät die Rechtsprofessorin unter Beschuss. Die lokale FAZ zitiert einen, "der in der CDU-Fraktion etwas zu sagen hat": "Was wird, wenn die Sozialdezernentin in den Haushaltsberatungen mehr Geld für ein Suchtprogramm fordert?" Als "überaus ehrgeizig" wird die 48-Jährige bezeichnet, gar als Angehörige des linken CDU-Flügels. Frau, Professorin, ehrgeizig, linker Flügel - da reagieren die Beißreflexe der Christenherren. Mal einen trinken, okay, aber sich so blöd erwischen lassen? War sie nicht auch beim Empfang der deutschen Fußballdamen im Frankfurter Römer angeschickert? Da rief Frau Professor volksnah in die Runde: "Hurra, hurra, die Weltmeisterinnen sind da!" Das Mitgefühl in der christlichen Partei hält sich also sehr in Grenzen. Zumal Birkenfeld schon die zweite CDU-Politikerin ist, die mit Verstößen gegen den parteieigenen Wertekanon den Wahlsieg in Hessen gefährdet.

Bis vor einem halben Jahr war Karin Wolff noch eine unauffällige Kultusministerin in Hessen. Doch dann wird sie binnen Stunden doppelt berühmt. Zunächst schafft sie es auf die Titelseite der Bild-Zeitung. "Ministerin liebt eine Frau! Beim Bild-Sommerfest in Frankfurt zeigte Karin Wolff stolz ihre Lebensgefährtin: Marina Fuhrmann, eine Heilpraktikerin." Während die einen noch damit beschäftigt sind, um die Wörter mutig und Respekt herum einen anerkennenden Satz zu formulieren, und die anderen zum x-ten Mal fragen, wie eine Lesbe einer Partei beitreten kann, die schwules Leben mit Benachteiligung bestraft, legt die Ministerin nach: Die Schöpfungslehre solle ab sofort im Biologie(!)unterricht behandelt werden, so ihr Vorschlag. Schon ist der postmoderne Soziotypenzoo um ein schillerndes Exemplar reicher: die lesbische Kreationistin. Hessen vorn!

PolitikerInnen aller Parteien reagieren zurückhaltend auf das Outing, die seriösen Medien demonstrieren demonstrative Seriosität - was die Ministerin privat macht, geht uns nichts an (aber Bild? ). Dabei hätte man schon mal fragen dürfen, ob lesbische Liebe im intelligent design des Schöpfers vorgesehen ist. Roland Koch warnt noch davor, Homosexualität "zum Kult" zu erklären, aber da ist es schon zu spät. Karin Wolff hat Tabula rasa gemacht: die christlichen Traditionsmilieus aus dem ideellen Gesamtbistum Fulda mit ihrer lesbischen Freundin verschreckt. Und die liberal-pragmatische Klientel mit ihrem Plädoyer für die Schöpfungslehre irritiert. Einmal bekannt geworden, bringt Wolff ganz Hessen gegen sich auf, gilt sie doch als geistige Mutter der G 8. So lautet das Kürzel für die gymnasiale Schulverkürzung auf acht Jahre. Unter hessischen Schülern und Eltern ist das Leistungshochdruck-Projekt G 8 so beliebt wie ein G-8-Gipfel unter Autonomen.

Sollten am Ende aus der Rolle gefallene Weiber schuld sein, dass Roland Koch gehen muss? Ausgerechnet der Strippenzieher aus der mächtigen CDU-Burschenseilschaft "Andenpakt"? Geschlagen von einer SPD-Frau namens Ypsilanti?

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