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die wahrheit"Servus, alte Wursthaut!"

Tages des geheimnisvollen Brauchtums: Authentisches gegen die Importfolklore.

Wurstfoto. Bild: ap

Es ist ihm sichtlich peinlich. "Wenn man nicht regelmäßig isst, dann vertrocknet sie eben", sagt Franz Tillmannshöfer und macht eine resignierende Geste. "Auch wenn es mir noch so gut schmeckt", fügt er hinzu, "kann ich doch nicht jeden Tag Weißwurst essen." Franz Tillmannshöfer steht in der Küche seiner Wohnung im Münchner Stadtteil Hasenbergl und nimmt ein braunes, verschrumpeltes Etwas von der Wand. "Vor zwei Wochen", sagt er, "hat sie noch ganz gut ausgesehen." So lange ist es also schon her, dass der Vorsitzende des Vereins Alte Wursthaut München keine Weißwurst mehr in süßen Senf getaucht hat. Und das, obwohl er einer der letzten in der Landeshauptstadt noch aktiven Rautenschneider ist.

Für Franz Tillmannshöfer ist das Rautenschneiden der einzige authentische Brauch, den es in München gibt. Nur noch den Schäfflertanz, bei dem die Fassbinderzunft der Stadt in ihren rot-schwarzen Gewändern zum Todestag des Filmemachers Rainer Werner Fassbinder alljährlich eine Art Ringelreihen aufführt, lässt er noch als typisch münchnerisch durchgehen. Schuhplatteln, Geißelschnalzen, Jodeln oder auch das derzeit wieder so populäre Tragen von Trachten verabscheut Tillmannshöfer dagegen. "Das ist doch alles von außen in die Stadt hineingetragenen worden", sagt er und schimpft auf die "alpenländische Importfolklore". Als er noch jung war - heute ist Tillmannshöfer Mitte 40 - sei es schon einmal vorgekommen, dass er durch die großen Gaststuben der Brauereiwirtschaften geschlichen sei und alle Gamsbärte von den Hüten geschnitten hätte. "Ja, da war ich halt noch ein bisschen anarchistisch", meint er in der Rückschau. "Aber irgendwie war das schon richtig so." Auch Lodenmäntel, "diesen Trachtenexzess für Patrizier", hat er seinerzeit regelmäßig mit einem Messer aufgeschlitzt. Viele Münchner können sich noch an den Prozess erinnern, der Tillmannshöfer seinerzeit gemacht wurde. Als "Lodenmantelreißer" war er Anfang der 80er-Jahre fast so etwas wie eine lokale Berühmtheit. Die 18-monatige Bewährungsstrafe, zu der ihn "irgend so eine verbitterte Amtsrichterseele" verurteilt hat, bezeichnet er heute noch als "Auszeichnung". Die Münchner Abendzeitung zeigte Tillmanshöfer am 16. April 1984 auf ihrer Titelseite. "Was hat dieser Mann nur gegen das Bayerische?", lautete die Schlagzeile. - "Die haben einfach nichts kapiert damals", sagt der Kämpfer von einst, als er den vergilbten Ausschnitt in die Kiste zurückpackt, in der er sammelt, was die Presse über seine Brauchtumsarbeit verbreitet hat. "Ich habe doch nichts gegen Bayern, aber mit München hat dieser Lederhosenfaschismus einfach nichts zu tun."

Tillmannshöfer packt die frischen Weißwürste, die er in der Schwabinger Metzgerei Geil, seinem Lieblingsfleischfachgeschäft gekauft hat, aus seiner Einkaufstasche und legt sie in den vorbereiteten Topf. "Über den ganzen Trachtenwahn geraten die echten Münchner Bräuche mehr und mehr in Vergessenheit", klagt er.

Jetzt wird seine Stimme mild. Endlich darf er über das reden, was ihm Freude bereitet. Der Hass auf die Importbräuche schwindet schnell, als er beginnt zu erzählen, wie er zum Rautenschneiden gekommen ist. Er war gerade 18 Jahre alt, als er Mitglied bei den Alten Wursthäuten wurde. Die große Geschichte des Vereins sei damals mit Händen zu greifen gewesen, erinnert er sich. Über 400 Mitglieder hatte der Verein, dessen Name in München bis heute sprichwörtlich ist. Sagt man in anderen Landesteilen Deutschlands: "Na, altes Haus!", so sagen die Münchner: "Servus, alte Wursthaut!" Dass das der alte Gruß der Rautenschneider ist, wisse heute kaum noch einer, erläutert Tillmannshöfer, als er die fertig gegarten Würste aus dem exakt 75 Grad warmen Wasser nimmt. Er doziert: "So lässt sich die Wurst am besten häuten." Nun macht er sich ans Werk.

Sorgfältig legt er eine Weißwurst vor sich auf den Teller. Mit der Gabel drückt er sie auf das Porzellan, ohne sie einzustechen. Nun greift er zum Messer und ritzt den Schweinedarm acht Mal kreuzweise ein. Er schiebt das gegarte Innere der Wurst aus der Haut. Die spannt er nun zwischen die zwei Nägel, von denen er vorhin den vertrockneten Darm abgenommen hat. Stolz zeigt er auf sein Werk. Ein Rautenmuster aus Weißwurstdarm hängt an der Wand. "Sechs Mitglieder sind wir noch, und ich bin immer noch der Jüngste."

Franz Tillmannshöfer beschönigt nichts. Doch ganz hat er die Hoffnung noch nicht aufgegeben. "Die Weißwurst", sagt er, "ist international immer noch ein Begriff." In der neuesten Auflage der Backpackerbibel "Lonely Planet" ist seinem Lieblingsschmankerl ein ganzer Absatz gewidmet. Auch dass man es unbedingt bis zwölf Uhr mittags essen muss, ist vermerkt: "The white saussage may not hear the twelve oclock ringing bell." Irgendwann, so Tillmannshöfer, stehe vielleicht auch einmal etwas über das Rautenschneiden drin. Und wenn der Brauch dann über Japan, Australien und die USA zurück nach München kommt, dann solle ihm das recht sein. Hauptsache, er stirbt nicht aus.

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