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Grünen-Politikerin Bilkay ÖneyZwischen Petra Kelly und Roland Koch

Groß aufgefallen war Bilkay Öney im Berliner Abgeordnetenhaus bislang nicht. Jetzt hat die Grüne Verständnis für Kochs Brachialwahlkampf geäußert - und ist auf einmal in aller Munde.

Engagiert sich seit Jahren für Sozialprojekte: Die Berliner Grüne Bilkay Öney Bild: Andreas Schoelzel

Es waren nur wenige Worte, aber sie brachten alles ins Rollen. Seither ist für die Berliner Landtagsabgeordnete Bilkay Öney von den Grünen nichts mehr, wie es war. Ihre Worte sind in einen medialen Sturm geraten, und die 37-Jährige mit ihnen.

Im Gespräch mit einer Nachrichtenagentur sagte Öney zur Wochenmitte, sie habe Verständnis für die Forderung des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch nach härteren Strafen für junge Kriminelle: "Wir müssen ihm auch mal zuhören und nicht gleich alles abwehren, nur weil er ein CDU-Hardliner ist." Eine türkischstämmige Grüne zeigt Verständnis für Kochs Brachialwahlkampf? Der Sturm brach los. Gestern frohlockte die Bild-Zeitung über die vermeintliche Wahlkampfhilfe und titelte: "Deutsch-türkische Grüne wollen Koch zuhören."

Für Zwischentöne war es da zu spät. Ihre eigene Landtagsfraktion rückte in Panik von Öney ab und stempelte ihre Worte zur "Einzelmeinung". Eilig verkündete die in der Türkei geborene Politikerin, was nur in einer Medienhysterie überhört werden konnte: dass sie Kochs Abschiebephantasien für Unfug hält und stattdessen auf Prävention bereits im Elternhaus setzt.

Damit kennt sich Öney aus. Zwar beargwöhnen Parteifreunde die Ex-Moderatorin des türkischen Fernsehsenders TRT zuweilen als politisches Leichtgewicht, das seinen Parlamentssessel vorrangig seinem guten Aussehen verdankt. Doch darin mag eine gehörige Portion Neid gegenüber der Migrationsexpertin mitschwingen. Immerhin engagiert diese sich in Kreuzberg seit Jahren in Sozialprojekten, die Migrantinnen Beratungen anbieten. Die Diplom-Kauffrau und politische Quereinsteigerin traut sich auszusprechen, was den meisten ihrer Berufskollegen als Scharfmacherei ausgelegt würde. Mit Blick auf den Überfall auf einen Rentner in München sagte sie: "Wenn so etwas in der Türkei passiert wäre und ein Deutscher einen Türken fast totgeprügelt hätte, ihn auch noch mit 'Scheiß Türke' beschimpft hätte, dann wäre er vermutlich gelyncht worden."

Diese Chuzpe hat Öney im Elternhaus gelernt. Wie ihr Parteifreund Cem Özdemir entstammt sie der gebildeten türkischstämmigen Mittelschicht. Die Opferrolle ist ihr fremd. Als Kind bestaunte die Berlinerin ihren Vater, einen linken Kemalisten und Lehrer, wenn der die damalige Grünen-Ikone Petra Kelly bei Fernsehdebatten anspornte: "Ja, Petra, gib's ihnen, hau ihnen auf die Fresse!" Kellys öffentliche Auftritte sind Öney unvergesslich: "Für die einen mag das hysterisch gewesen sein, ich fand es kämpferisch und cool." Ein Foto der Ur-Grünen steht heute auf ihrem Schreibtisch.

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4 Kommentare

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  • C
    Carlo

    Ihr Daddy war ein linker Kemalist.

    Klingt gut.

    Soweit klar, was das bedeutet?

     

    "Seit über fünf Jahrhunderten haben die Regeln und Theorien eines alten Araberscheichs und die unsinnigen Auslegungen von Generationen schmutziger und unwissender Pfaffen in der Türkei (bzw. Osmanisches Reich) sämtliche Einzelheiten des Zivil- und Strafrechts festgelegt. Sie haben die Form der Verfassung, die geringsten Handlungen und Gesten im Leben eines jeden Bürgers festgesetzt, seine Nahrung, die Stunden für Wachen und Schlafen, den Schnitt seiner Kleidung, was er in der Schule lernt, seine Sitten und Gewohnheiten und selbst die intimsten Gedanken.

     

    Der Islam, diese absurde Gotteslehre eines unmoralischen Beduinen, ist ein verwesender Kadaver, der unser Leben vergiftet. Er ist nichts anderes als eine entwürdigende und tote Sache.

     

    Die Bevölkerung der türkischen Republik, die Anspruch darauf erhebt, zivilisiert zu sein, muss ihre Zivilisation beweisen, durch ihre Ideen, ihre Mentalität, durch ihr Familienleben und ihre Lebensweise."

     

    - Mustafa Kemal Pâscha "Atatürk" (Jacques Benoist-Méchin, "Mustafa Kemal. La mort d'un Empire", 1954)

  • Z
    zimona

    Nur ganz am Rande: Berlin hat keinen "Landtag", sondern - wie im Teaser erwähnt - ein "Abgeordnetenhaus". Demnach auch keine "Landtagsabgeordneten".

     

    Tut inhaltlich nix zur Sache - ist für mich allerdings symptomatisch für mangelnde Trennschärfe und schlechte Recherche, leider immer mehr auch bei der taz.

  • D
    D.Krüger

    Herzlichen Dank, Frau Öney

    Ich und meine Familie finden es sehr mutig von Ihnen, sich zu dem Thema in dieser Form zu äußern.

    Es zeigt uns, dass der weit überwiegende Teil von Migranten und Ausländern von uns mit Recht geschätzt und geachtet wird.

    Wir zählen in unserem Bekannten- und Freundeskreis sehr viele (eigentlich ehemalige) Ausländer, ohne deren Beitrag zu unserem Leben wir vieles vermissen würden.

    Mit Ihrer Botschaft vermitteln Sie uns eine grundehrliche Meinung, die abseits aller Parteiinteressen zum Maßstab genommen werden sollte.

    Ein verschwindend kleiner Teil der deutschen Bevölkerung ist gegen Zuwanderung jeder Art, nutzt aber gern die Vielfalt der Kultur und meist noch mehr das kulinarische Angebot.

    Es wäre wirklich schade, wenn Ihre Partei sich der üblichen Methoden bedient und Sie kaltstellt.

    Sie haben ein größeres Forum, als im Chor der Abservierten zu singen, verdient

    mit freundlichen Grüßen D. Krüger

  • MM
    Marc Müller

    Bravo Frau Öney,

     

    es kann nicht sein, daß wir, nur weil auch Migranten involviert sind bei Gewalttaten, einfach wegsehen.

    Endlich spricht das jemand aus der Reihe der Migranten aus und bestätigt somit, das der überwiegende Teil unserer türkischstämmigen Mitbürger friedlich mit den Deutschen zusammen leben möchte.

    Danke taz!