Kommentar Kardinal Lehmann-Rücltritt: Ein Brückenbauer geht

Als der Leiter der Bischofskonferenz war Lehmann eine wichtige Stimme im Zwischenfeld von Politik und Gesellschaft. Mit seinem Rücktritt ist die alte Bundesrepublik wirklich vorbei.

Ein Kardinal gibt die Leitung der Deutschen Bischofskonferenz in andere, wohl jüngere und sicher konservativere Hände. Nach fast 21 Jahren. Der Gesundheit wegen. Ist dieser Schritt von Kardinal Lehmann nicht normal und kaum der Rede wert? Und warum soll das politisch wichtig sein?

Zunächst, weil der Leiter der Bischofskonferenz schon von Amts wegen eine der wichtigsten Stimmen im Zwischenfeld von Politik und Gesellschaft darstellt. Zudem ist der Vorsteher der mit 26 Millionen Mitgliedern größten Glaubensgemeinschaft hierzulande immer dann, wenn es um verzwickte ethische Fragen ging, aufs große Ganze gegangen.

Es ist kein Zufall, dass die streitbare (katholische) Kirche etwa bei der Auseinandersetzung über die Schwangerenberatung, beim Streit über die Stammzellen-Forschung oder im Armutsdiskurs stets gefragt wurde und Einfluss nehmen konnte. Und das zu Recht, auch wenn nicht allem zuzustimmen war. Wo, wenn nicht hier, hatte die Kirche etwas zu sagen, musste sie etwas sagen?

Andererseits ist der Rücktritt Lehmanns politisch bedeutsam wegen der Person, die da geht: Der Mainzer war nicht nur kirchenpolitisch ein Mann des Ausgleichs. Er verkörperte darüber hinaus - selbst in seiner Physiognomie, könnte man sagen - die guten, wenn auch manchmal arg konservativen Seiten der alten Bundesrepublik. Schon der Zeitpunkt seiner Wahl, 1987 noch, sprach dafür. Lehmann umgab etwas Unaufgeregtes, Weiches und Kompromissbereites, also manches, an dem es der aufgeregten, harten und brutalstmöglichen Berliner Republik derzeit mangelt. Die kluge Bedachtsamkeit Lehmanns wird fehlen, es gibt nicht viele Frauen und Männer, die den politischen Diskurs ähnlich positiv prägen können.

Nun ist die alte Bundesrepublik bald 20 Jahre tot. Es wäre daher so dumm wie geschichtsvergessen, ihr zu viele Tränen nachzuweinen. In einer Gesellschaft aber, die sich immer tiefer in Gewinner und Verlierer spaltet, wäre der Erhalt der altbundesrepublikanischen Tugenden des Kompromisses, des Ausgleichs und der gegenseitigen Verantwortung erwünscht - und ein Brückenbauer wie Lehmann bitter nötig.

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