FDP-Hoffnung Philipp Rösler: Die Wunderwaffe

Philipp Rösler gilt als Hoffnung der Liberalen. Ist der Augenarzt, Bauchredner und Spitzenkandidat der Niedersachsen-FDP die Antwort auf Guido Westerwelle?

Mit 29 Fraktionschef, mit 32 im Präsidium der Bundes-FDP: Philipp Rösler. Bild: dpa

1973: Philipp Rösler wird in Khanh Hung, Vietnam geboren. Mit neun Monaten wird er von einem deutschen Ehepaar adoptiert, das bereits zwei leibliche Töchter hat. Rösler wächst in Hamburg, Bückeburg und Hannover auf, mit 18 Jahren wird er FDP-Mitglied und Sanitätsoffizieranwärter bei der Bundeswehr.

2003: Die FDP kommt nach neun Jahren Abstinenz in den Niedersächsischen Landtag. Philipp Rösler, Mitglied im Regionsparlament und Generalsekretär der Niedersachsen-FDP, wird mit 29 Jahren Chef von 14 FDP-Abgeordneten. Die Koalitionspartner von der CDU belächeln ihn anfangs als "Chinesen".

Drei Jahre später wird er Vorsitzender der 6.700 Mitglieder starken Landespartei. 12 seiner 16 MitarbeiterInnen sind Frauen, Rösler hat sogar eine Cheffahrerin.2007: Philipp Rösler wird erneut ins FDP-Bundespräsidium gewählt, hinter Schatzmeister Hermann Otto Solms bekommt er mit 88 Prozent der Delegiertenstimmen das zweitbeste Ergebnis. Die Landes-FDP kürt ihn mit 96 Prozent zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am 27. Januar 2008.

Überfall. Ein Kamerateam von "Stern TV" hat sich beim Seniorenstammtisch der FDP im Gasthaus Koop eingeschlichen. Nanotechnologie, Doppik, Kompetenzzentrum - das Kauderwelsch im FDP-Wahlprogramm verstehe doch kein Mensch, sagt der Reporter und hält dem niedersächsischen Spitzenkandidaten ein Mikrofon unter die Nase. Der drückt das Kreuz durch und sagt: "Zugegeben, alles komplizierte Begriffe. Aber nehmen wir nur mal Life Science. Wenn sich die Branche so nennt, kann man nix machen. Ich heiß doch auch Philipp Rösler."

Eins zu null für Rösler. Die blau-gelben FDP-Papierfähnchen in den Cola-Gläsern vibrieren vom Trampeln und Klatschen der 15 Alten vom FDP-Ortsverband Diepholz, mitten in der niedersächsischen Tiefebene. Am Sonntag soll hier ein neuer Landtag gewählt werden. "Der Philipp", schwärmt Helga Bode, ist "so intelligent und sooo liebenswert. Und er kann auch noch frei sprechen!" Die FDP-Frau mit den Goldkettchen ist Jahrgang 1944, Rösler könnte ihr Enkel sein. Aber sie beschreibt das, was viele in der zerstrittenen Partei derzeit denken, ziemlich genau. Unter den Blinden ist der Einäugige König.

Das weiß Philipp Rösler, der Partei- und Fraktionschef der Niedersachsen-FDP, nur zu gut: Vor seiner Politikkarriere war er Augenarzt.

Seine Partei hat es schwer, sich im großkoalitionären Berlin Gehör zu verschaffen. Wer fragt sie denn noch, die Westerwelles, Niebels, Brüderles? Die Personaldecke bei der FDP ist dünn wie Frühjahrseis. Rösler dagegen gilt als gelb-blaue Geheimwaffe aus der niedersächsischen Provinz.

Dr. med. Philipp Rösler ist erst 34 Jahre alt. Er ist smart, er ist gewitzt, er verströmt nicht den faden Geruch der alten Spaß-FDP. In Talkshows oder vor Kindern tritt Rösler gerne mit seiner Handpuppe auf: "Willi" hat eigene Autogrammkarten, mit "Willi" hat Rösler früher bauchredend rumgekaspert, um kleinen Patienten die Angst vor der Spritze zu nehmen. Am Anfang der Rösler-Show stellt "Willi" ihn vor: "Das ist Philipp, mein doofer Chef", quietscht er. Erst bespaßen, dann heilen - das Konzept hat Rösler in der Politik weiterentwickelt.

Der 1,79-Meter-Mann wirkt schmächtig, trotz Muckitraining. In seinem Büro in Hannover steht ein Pult, an dem übt er seine Reden. Die hält Doc Rösler stets ohne Zettel. Manche empfinden diesen Fleiß als Strebertum, aber nach einem fulminanten Auftritt auf dem Berliner Parteitag würde Rösler vor drei Jahren erstmals mit 95 Prozent der Stimmen ins FDP-Präsidium gewählt. Das war nicht nur das beste Ergebnis aller Kandidaten, sondern auch sein Entree in die Personaldebatte über die Zeit nach FDP-Chef Guido Westerwelle.

Der bot ihm damals sogar den Posten des Generalsekretärs an. Rösler winkte ab. Damals. Ist er die Alternative zur vom Exparteivorsitzenden Wolfgang Gerhardt kritisierten "One-Man-Show" der FDP? In einem Thesenpapier hatte der einst von Westerwelle aus der Bundespolitik geschasste Gerhardt Anfang dieses Jahres die Dominanz Westerwelles und die Positionierung der Liberalen attackiert. Die FDP brauche frische Leute, präsentiere sich zu gefühlskalt.

Verrat wird geliebt, nicht der Verräter. Wer FDP-Fußvolk oder Funktionäre in diesen Tagen nach dem Gerhardt-Papier befragt, spürt Erleichterung. "Endlich hat jemand Tacheles geredet", sagen sie, "Westerwelle erreicht die Herzen nicht", oder: "Es müsste viel öfter mal bei uns rappeln" - aber nur hinter vorgehaltener Hand. Rösler hingegen wiegelt ab. Toll, wie "der Guido" den Aufmucker Gerhardt in die parteiinterne Debatte eingebunden habe, die FDP sei eben die "Mutter aller Diskussionen", zitiert er seinen Vorsitzenden. Allerdings war Rösler wohlweislich nicht beim Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart, wo Westerwelle das gesagt hat. Ärzte sind sehr schweigsam, wenn es um die Malaisen anderer geht.

Das Witten Deel, ein Bauernlokal im norddeutschen Nirgendwo zwischen Diepholz und Sulingen, ist proppenvoll. Es gibt Orangensaft und Rührei mit Würstchen. Aber die rund 70 Liberalen sind an diesem Morgen nicht zum Frühstücken hergekommen, sie wollen Rösler sehen. Der Doc plaudert über privatisierte Landeskrankenhäuser und Spielbanken. Über Bäckereien, in denen dank der FDP jetzt auch Kaffee ohne getrennte Toiletten für Männlein und Weiblein getrunken werden kann. Um alles ein bisschen anzudicken, legt der Mann im Maßanzug noch einen drauf. "Ich", sagt Rösler, "kenne keinen, der sich seitdem in die Hose gemacht hat!"

Das gibt Lacher. Überhaupt lässt sich nun leichter die blau-gelbe Story vom Bürokratieabbau und den 2.000 Vorschriften, die FDP und CDU in Hannover gestrichen haben, verkaufen. Wer noch nicht die Röslerschen Pillen geschluckt hat, hört jetzt die Story von der vor anderthalb Jahren verstorbenen FDP-Größe Heinrich Jürgens: "Von ihm habe ich den Grundwortschatz Landespolitik auf Plattdeutsch gelernt", sagt Rösler: "Moin, jau, watt, Tach und Korn. Wichtig für den Bundesrat: Schiet und nee." Anschließend, beim Autogrammeschreiben, gibts Gedrängel, ein Mittsiebziger sahnt eine Unterschrift ab, dann entschuldigt er sich: "Muss leider los, Plakate kleben."

Wo ist die Staatsrechtspartei FDP geblieben, warum kommen die Liberalen nicht aus dem Koalitionsghetto mit den Christdemokraten heraus? Das fragen sich derzeit viele Liberale. In den 70er- und 80er-Jahren hat Otto Graf Lambsdorff aus der FDP eine Wirtschaftspartei geformt, später machte Westerwelle sie zur Steuersenkungspartei. Die Freiheitlichen, die Baums, die Leutheusser-Schnarrenbergers, die Hirschs sind in der inneren Emigration oder zu alt, die FDP ist längst zu einem Wurmfortsatz der CDU geworden - überflüssig. Das meint jedenfalls Fritz Goergen.

"Die Linke wärmt den Bauch vieler Menschen. Die Grünen wärmen das gute Gewissen. Und die FDP kämpft für Steuersenkungen für die Besserverdienenden, die überwiegend grün wählen", sagt der einstige FDP-Bundesgeschäftsführer, Möllemann- und Westerwelle-Berater. Der promovierte Philosoph, der für die FDP die 18-Prozent-Kampagne erfand, von der heute nur noch die Schuhsohlen des Vorsitzenden in Erinnerung sind, hat nach öffentlichem Knatsch mit Westerwelle das Parteibuch abgegeben. Heute sagt Goergen, echte Opposition betreibe Alleinherrscher Westerwelle in Berlin nicht - trotz Talkshow-Tingelns. Die Grünen würden demnächst die alte FDP-Rolle des Königsmachers übernehmen. Goergen hat eine strukturelle linke Mehrheit im Land ausgemacht; derentwegen werde die FDP nach der Bundestagswahl erneut nicht mitregieren können. Wenn nicht schon nach Pleiten bei den nun anstehenden Wahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg, spätestens 2009 sieht er Westerwelles Parteifreunde die Messer zücken: "Der wird sich wundern", meint Goergen, "wie viele Feinde er schon immer in seiner eigenen Partei hatte: Die sitzen rund um ihn herum."

Doc Rösler würde das öffentlich so nie sagen. Dennoch diagnostiziert auch er Blutleere bei der FDP: Der Wechsel in die Kohl-Regierung 1982 habe viele Anhänger im Bürgertum, ja eine ganze Politikergeneration gekostet. Stichwort: Umfallerpartei. Der "Häuserkampf mit den Grünen" in den Städten müsse her, wo Zahnärzte und Unternehmer heute lieber bei Künast & Co. ankreuzten als bei der alten Tante FDP. Wie Goergen meint Rösler, die FDP habe ein ganzes Milieu an die grünen Netzwerker mit ihren Bio-, Eine-Welt- und Kinderläden verloren. "Die Auseinandersetzung", schrieb er bereits vor vier Jahren, "ist keine zwischen grünen Fundis und liberalen Realos, sondern zwischen sympathisch und unsympathisch." Eine klares Hakeln gegen Westerwelle. Noch ist es offenbar jedoch zu früh zum Putschen: Als "Guidos" Büro Röslers Blackberry anklingelt, ruft er umgehend zurück.

2003 ist die FDP aus dem parlamentarischen Nichts mit 8,1 Prozent in den Niedersächsischen Landtag gezogen. Die Umfragen trauen ihr am Sonntag ein ähnliches Ergebnis und damit eine Fortsetzung der Koalition mit Christian Wulff zu. Dabei hat dessen CDU die Landesliberalen oft blass aussehen lassen. In der Innen- und Justizpolitik ließen sie sich vorführen, in der aktuellen Jugendstrafrechtsdebatte kommt Rösler praktisch nicht vor, weil seine FDP vor Jahren eine Bundesratsinitiative mit CDU-Handschrift abgenickt hat. Hans-Heinrich Sander, einziger FDP-Umweltminister der Republik, ist bei Umweltschützern im Land als Öko-Rambo verschrien. Röslers Ziehvater, Wirtschaftsminister Walter Hirche, wird seit einem Jahr in Untersuchungsausschüssen von der Opposition mit Rücktrittsforderungen überzogen.

Hirche ist fast 67, vor zwei Jahren hat er den Vorsitz der Landespartei an Rösler übergeben. Der schmökert gern im Wissenschaftsteil der FAZ, würde wohl gerne Hochschulminister werden. Eigentlich muss die FDP jedoch ihr Kernressort Wirtschaft behalten. Fest steht: Wenn die Wulff-Truppe weiter auf die Liberalen angewiesen ist, wird Rösler nicht mehr lange Fraktionschef bleiben. Davon gibt es zwölf in bundesdeutschen Parlamenten, aber sechs FDP-Minister. Das ist, sagt ein Parteifreund, ein Unterschied wie zwischen Chef- und Oberarzt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.