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Wahlpartys in HessenYpsilanti hat es allen gezeigt

Andrea Ypsilanti holt die Hessens SPD aus ihrer Depression. Roland Koch stürzt mit seiner Kriminalitätskampagne dramatisch ab.

Gewinnerin des Abends: Andrea Ypsilanti. Bild: ap

WIESBADEN taz "Andreaaaa, Andreaaaa, Andreaaa!" Es ist 18.50 Uhr, als die Siegerin des Abends im Wiesbadener Landtag vor ihre jubelnde Fraktion tritt. Der Saal tobt, Andrea Ypsilanti, strahlend, ist anfangs kaum zu verstehen. "Wir sagen heute Abend", ruft sie in ihr Mikrofon, "die Sozialdemokratie ist wieder da!" Und: "Wir haben für eine andere politische Kultur in diesem Land gekämpft, und wir haben gewonnen!" Die SPD habe gezeigt, dass man mit dem Thema soziale Gerechtigkeit Wahlen gewinnen könne, und das, fügt sie mit Blick auf die kommende Bundestagswahl hinzu, gelte auch für die Bundesebene. Der Saal feiert Ypsilanti, rote Grütze mit Vanillesoße wird gereicht, aus den Lautsprechern dröhnt die Ypsilanti-Hymne "Die Zeit ist reif", die die Rockband Crackers für die hessische SPD-Spitzenkandidatin komponiert hat. Die wenigsten interessiert in diesem Moment, dass zu diesem Zeitpunkt noch völlig unklar ist, ob sie tatsächlich Ministerpräsidentin einer wie auch immer gearteten Koalition werden kann.

Wenn man von 29,1 Prozent kommt, dann sieht sowieso alles über 30 ziemlich gut aus. Wenn einem bis vor kurzem die eigenen Genossen nichts zugetraut haben, ist so ein Ergebnis gigantisch. Wurde Andrea Ypsilanti, die erst 1986 mit 29 Jahren in die SPD eintrat, also als Politikerin notorisch unterschätzt? Ist ihre Strategie aufgegangen, als personifiziertes Gegenbild zu Koch zu punkten? Sicher auch. Dass sie es so weit geschafft hat, aber auch zwei andere, banalere Gründe: Da ist zum einen das Vorgehen von Roland Koch, der das Land schon immer in Verehrer und Hasser spaltete. Damit spitze er die Wahl zum Kandidatenduell zu.

In den kommenden Wochen wird Ypsilanti das neue Selbstvertrauten brauchen. Vorausschauend hat sie zwei Männer eingebunden, auf deren Verhandlungsgeschick sie nun zählen dürfte: Jürgen Walter, ihren parteiinternen Widersacher, dem nachgesagt wird, er könne die zugeschlagene Tür zur CDU im Notfall wieder öffnen. Sowie Gernot Grumbach, der innerhalb der hessischen SPD als Strippenzieher gilt.

Wenn man von 48,8 Prozent kommt, zumal 48,8 Prozent, die man vor fünf Jahren als "ganz ordentlich" tiefgestapelt hat wie Roland Koch, dann liegt die Messlatte ziemlich hoch. Dann ist alles unter 40 blamabel. So ist das an diesem Sonntagabend in Wiesbaden und so ist es für seine Anhänger.

Sie drängen sich im Saal der CDU-Landtagsfraktion, vom Buffet riecht es nach Hackepeter und Zwiebelringen, auf den Tischchen stehen Gläser mit Licher-Bier und Riesling vom Bruder des Bundesverteidigungsministers Jung. Es ist kurz vor 18 Uhr, und einer von Kochs Ministern murmelt etwas davon, dass man nicht so schnell die Flinte ins Korn werfe nur wegen erster Prognosen. Als das erste Mal der schwarze CDU-Balken auf der Videoleinwand zu sehen ist, hört man nur ein Handy klingeln. Kein Klatschen, kein Hurra, natürlich nicht.

Der Geschäftsführer der Jungen Union bläst die Luft aus den Backen. Dann telefoniert er mit dem Handy andere Zahlen ran. Er flüstert das Ergebnis weiter, immerhin die ZDF-Prognose reicht knapp für Schwarz-Gelb. Sie richten sich aufs Zittern ein. Auf der Videoleinwand ruft der Generalsekretär der Hessen-CDU zum Durchhalten auf und sagt etwas von der "Diffamierung unseres Ministerpräsidenten".

Ein Mann mit Bürstenhaarschnitt aus der CDU-Fraktion sagt: "Das Problem ist, dass man so ein bisschen den Glauben an die Menschheit verliert." Einmal baut sich auf einem kleinere Fernsehschirm ein schwarzer CDU-Balken auf 42 Prozent auf. Eine Runde Koch-Fans schaut sich kurz an, dann merken sie, dass es Zahlen von einer anderen Landtagswahl sind. Sie werden den Applaus noch oft ertragen müssen, der aus dem Fernseher kommt, und die Bilder aus Hannover, wo das niedersächsische Honigkuchenpferd sich feiern lässt.

Es muss so einen tief verunsichern, so einen Bessermüsser wie Roland Koch, der mit Eifer und gegen alle Ablehnung den Aufstieg aus Eschborn bei Frankfurt erzwungen hat. Meistens hat er doch noch gewonnen. Er ist Risiken eingegangen, ist seinem Instinkt gefolgt und war kaltblütig. Manchmal halfen auch einfach das Glück oder Helmut Kohl. Er ist Jurist und hat früher kurze Zeit mit einer Anwaltskanzlei ordentlich Geld verdient. Aber der Hesse hat Politik gemacht seit er 14 ist, sein ganzes Leben ist darauf ausgerichtet - wie soll so einer von vorn anfangen?

Könnte Brass brennen, hätte bei der FDP alles in Flammen gestanden. Der designierte und jetzt wohl verhinderte Wirtschaftsminister Dieter Posch reagierte auf Fragen nach Koch nur mit einer unwirschen Handbewegung. Der Kreisvorsitzende der FDP in Kassel nahm dagegen kein Blatt vor den Mund. "Koch hat mit seiner blödsinnigen Gewalt- und Ausländerkampagne alles versaut", wetterte Björn Sänger. Das habe neben der "armseligen Bilanz der Alleinregierung Koch" den Ausschlag für den Absturz der Union gegeben.

"Zufrieden" war Tarek Al-Wazir von den Grünen mit dem Hochrechnungsstand. "Es könnte reichen für Rot-Grün". Die SPD sei "geradezu explodiert" und die Grünen hätten unter diesen Umständen ein "ordentliches Ergebnis" erzielt. Die Linkspartei hatte sich in dem ihr zugewiesenen Raum im Landtag eingeschlossen - und kam bis Redaktionsschluss dort nicht wieder heraus.

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3 Kommentare

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  • ND
    Nadile Dogan

    Es gibt in Deutschland eine starke Bewegung nach Links. Die SPD konnte in Hessen davon profitieren, weil die Spitzenkandidatin über Zweifel erhaben war. Wolfgang Jüttner hatte sich zurückgehalten, wollte das Thema soziale Gerechtigkeit indirekt angehen und hat damit sich nicht profilieren können. Roland Koch hat einen klassischen Lagerwahlkampf ausgelöst, aber der Ausgang ist anders. Plötzlich ging es um etwas in Hessen und da haben alle Parteien indirekt von profitiert.

  • ND
    Nadile Dogan

    Es gibt in Deutschland eine starke Bewegung nach Links. Die SPD konnte in Hessen davon profitieren, weil die Spitzenkandidatin über Zweifel erhaben war. Wolfgang Jüttner hatte sich zurückgehalten, wollte das Thema soziale Gerechtigkeit indirekt angehen und hat damit sich nicht profilieren können. Roland Koch hat einen klassischen Lagerwahlkampf ausgelöst, aber der Ausgang ist anders. Plötzlich ging es um etwas in Hessen und da haben alle Parteien indirekt von profitiert.

  • ND
    Nadile Dogan

    Es gibt in Deutschland eine starke Bewegung nach Links. Die SPD konnte in Hessen davon profitieren, weil die Spitzenkandidatin über Zweifel erhaben war. Wolfgang Jüttner hatte sich zurückgehalten, wollte das Thema soziale Gerechtigkeit indirekt angehen und hat damit sich nicht profilieren können. Roland Koch hat einen klassischen Lagerwahlkampf ausgelöst, aber der Ausgang ist anders. Plötzlich ging es um etwas in Hessen und da haben alle Parteien indirekt von profitiert.