Interview Berliner Foto-Projekt: "Mauern als Beweis der Unfähigkeit"
Der Fotograf Kai Wiedenhöfer will Bilder von der israelischen Mauer an der East Side Gallery zeigen. Es gehe ihm um eine Debatte über das Völkerrecht.
taz: Herr Wiedenhöfer, provozieren Ihre Bilder Antisemitismus?
Kai Wiedenhöfer: Nein, ich denke nicht.
Manche Mitglieder des Kulturausschusses in Friedrichshain-Kreuzberg befürchten das aber. Sie sind dagegen, dass Ihre Fotos von der israelischen Mauer an der East Side Gallery gezeigt werden, weil Antisemiten dort Kommentare hinterlassen könnten.
Ich glaube nicht, dass es zu irgendwelchen Ausschreitungen kommen wird. Und selbst wenn jemand etwas Antisemitisches hinschmieren würde, könnten wir das am nächsten Tag überplakatieren. Ich sehe da kein Problem.
Sie wurden wegen Ihres Projektes "Wall on Wall" angefeindet. Warum ist Ihnen die Ausstellung so wichtig?
Ich möchte eine Diskussion anregen über das Völkerrecht. Das ist eine zentrale Sache. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat die israelische Sperranlage im Westjordanland als völkerrechtswidrig erklärt, weil sie zu großen Teilen durch palästinensisches Gebiet verläuft. Ich will mit den Fotos die Menschen anregen, über dieses Thema nachzudenken.
Brauchen Sie dazu die Berliner Mauer?
Ich möchte sie als Projektionsfläche nutzen. Wenn man vor der Mauer in Jerusalem steht, ist der physische Eindruck enorm. Sie ist neun Meter hoch. Diese Größe vermittelt sich auf der East Side Gallery viel besser als auf einem kleinen Foto. Die Berliner Mauer ist außerdem ein gutes Omen: Hier gab es eine friedliche Lösung. Es wäre sehr wünschenswert, wenn es anderswo ähnlich laufen könnte.
Wenn Sie die eine Mauer auf die andere kleben, setzen sie beide Grenzanlagen gleich. Dabei waren die Gründe für ihren Bau ganz unterschiedlich. Die DDR hat ihre Bevölkerung eingesperrt. Die Israelis schützen sich vor Anschlägen.
Ich bringe die Mauern in ein Verhältnis zueinander, ich will sie nicht gleichsetzen. Solche Dinge sind nie deckungsgleich. Aber der Geist, der dahintersteht, der ähnelt sich.
Die DDR war eine Diktatur, Israel ist eine Demokratie.
Mir geht es nicht um die beiden Staaten, sondern um das Prinzip des Mauerbaus. Wenn solch massive Grenzanlagen errichtet werden, funktioniert oft die Kommunikation nicht. Mauern sind ein Stein gewordener Beweis für die Unfähigkeit, sich zu verständigen. In Belfast reden Katholiken und Protestanten nicht miteinander. Im Nahen Osten sind es die Palästinenser und die Israelis. Man schottet sich ab. Das ist das Grundkonzept, dass alle Mauern gemeinsam haben.
Sie schlagen dem Bezirk jetzt einen Kompromiss vor. Es sollen auch Bilder von anderen Mauern gezeigt werden.
Wir könnten die Ausstellung mit Fotos von der Grenze in Belfast und zwischen USA und Mexiko ergänzen. Dann würde das Projekt noch deutlicher auf das Wesen der Mauer abheben. Eventuell sollen die Bilder auch auf der Flussseite gezeigt werden. Dann sehen es nicht so viele Leute.
Das kann doch nicht Sinn einer Ausstellung sein.
Es gibt im Bezirk eben die Angst anzuecken. Kritik an israelischer Politik ist in Deutschland nach wie vor ein schwieriges Thema. Das ist stark zu spüren. Die Leute werden sehr schnell emotional. Zwischenzeitlich hatten Einige auch gefordert, die Bilder in einem geschlossenen Raum zu zeigen. Aber das will ich nicht.
Warum?
Ich will Kunst im öffentlichen Raum, um Menschen zu erreichen, die normalerweise nicht in Gallerien gehen. Die Ausstellung soll ein Funke sein, um eine Debatte zu entfachen.
Die auf Bezirksebene jetzt bereits läuft. Insofern passt Ihnen die Aufregung voll ins Konzept.
Stimmt. Ich finde gut, dass über die Ausstellung diskutiert wird. Es wäre nur schön, wenn sie am Ende auch stattfinden könnte.
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