Mindestlohn: Berlin zahlt allen 7,50 Euro
Das Land vergibt künftig nur noch Aufträge an Firmen, die einen Mindestlohn zahlen. Das Parlament beschließt ein neues Vergabegesetz. Örtliche Unternehmen finden das teilweise gar nicht schlecht.
Man muss sie nur lassen. Wenn SPD und Linkspartei wie in Berlin zusammen regieren, können sie durchaus linke Politik im regionalen Rahmen machen. Am Donnerstag verordnete sich Berlin als erstes Bundesland einen Mindestlohn: Mit rot-roter Mehrheit stimmte das Landesparlament für ein neues Vergabegesetz. Senat, Bezirke und landeseigene Unternehmen dürfen künftig nur noch Aufträge an Firmen vergeben, die ihren Beschäftigten dafür mindestens 7,50 Euro pro Stunde zahlen.
Einen flächendeckenden Mindestlohn, um den sich derzeit die große Koalition streitet, ruft das Land Berlin damit zwar nicht aus. In der Privatwirtschaft kann nach wie vor gezahlt werden, was der Markt hergibt. Für Wachschützer sind das tariflich vereinbarte 5,25 Euro pro Stunde. Doch mit einem Auftragsvolumen von vier bis fünf Milliarden Euro im Jahr ist die öffentliche Hand ein wichtiger Partner für die ansässigen Unternehmen. "Die Änderung des Vergabegesetzes wird keine direkten Folgen für private Auftraggeber haben, wir erhoffen uns aber eine Signalwirkung", sagte Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) zur taz.
Unterdessen haben sieben führende Wirtschaftsinstitute, darunter das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, die Bundesregierung aufgefordert, ihre Pläne für einen Ausbau von Mindestlöhnen fallen zu lassen. "Ein gesetzlicher Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze", schrieben die Experten am Donnerstag im Handelsblatt.
Berliner Unternehmensvertreter prognostizieren dem Senat außerdem rechtliche Schwierigkeiten: "Es ist arbeitsrechtlich nicht möglich, dass ein Unternehmen seinen Mitgliedern zwei verschiedene Löhne zahlt - einmal den öffentlichen Mindestlohn und den branchenüblichen", sagt Thorsten Eltholtz, Sprecher der Unternehmensverbände Berlin und Brandenburg (UVB). Der UVB entdeckt zudem die Gewerkschaften als Bündnispartner - mit dem Vergabegesetz würden die Rechte der Tarifpartner ausgehebelt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht das weniger eng: "Wichtig ist, dass dieser schändliche Unterbietungswettbewerb gestoppt wird", meint Dieter Pienkny, Sprecher des Berliner DGB.
Unterstützung erhalten SPD und Linke aber auch aus der Wirtschaft. Von den Betrieben, die sich in der örtlichen Handwerkskammer zusammengeschlossen haben, sind zwei Drittel für einen Mindestlohn per Gesetz: "Das sorgt für fairere Bedingungen, die Unternehmen können in einen Qualitätswettbewerb treten", hofft der Präsident der Handwerkskammer, Stephan Schwarz. Für seine eigene Branche, die Gebäudereiniger, gilt seit 2007 ein Mindestlohn von 7,80 Euro. Arbeitsplätze seien, anders als die Wirtschaftsinstitute voraussagen, bisher nicht abgebaut worden, so Schwarz.
Auch der Bundesverband der Wachschützer unterstützt die rot-rote Linie: "Bisher wird der Wettbewerb nur über den Preis geführt, Ausbildung und Qualifikation der Mitarbeiter spielen gar keine Rolle", meint der stellvertretende Geschäftsführer Martin Hildebrandt. Wie viele andere Branchen fürchten die Wachschützer die Konkurrenz aus Osteuropa, die mit der vollständigen Öffnung des Arbeitsmarktes für EU-Ausländer zu erwarten ist, und schlagen daher einen staatsnahen Kurs ein. "Ein Wachschützer in Polen verdient etwa 1,50 Euro, da kann kein deutsches Unternehmen mithalten", meint Hildebrandt. Er begrüßt es, dass das Land Berlin, der bei weitem wichtigste Auftraggeber für die Branche, jetzt eine untere Grenze einzieht. Allerdings müsse das effektiv kontrolliert werden.
Und das ist eine der Schwächen des Berliner Gesetzes: Eine unabhängige Kontrollstelle existiert bisher nicht, das notwendige Personal ist nicht im Haushalt von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) vorgesehen. Die Vergabestellen selbst sollen über die Einhaltung der Mindestlöhne wachen - Ausführung und Kontrolle liegen also in einer Hand. Misstrauen, ob das funktioniert, ist angebracht: Denn entgegen der Hoffnungen des Senats prognostiziert Hildebrandt vom Wachschutzverband, dass es für die öffentlichen Auftraggeber teurer wird. "Die Preise werden ganz klar steigen."
Die Grünen bedauerten, dass nicht auch soziale und ökologische Kriterien für den Einkauf ins Vergabegesetz eingeflossen sind. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin Lisa Paus rügt: "Die Chance für einen rot-rot-grünen Mindestlohn wurde vertan."
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