Kirche aus der Nazi-Zeit: Schwieriges Erbe unterm Glockenturm
Die Martin-Luther-Gedächtnis-Kirche in Mariendorf ist ein einzigartiges Denkmal nationalsozialistischer Symbolik im Kirchenraum. Das baufällige Gotteshaus soll nun einem nichtkirchlichen Träger übergeben werden. Historiker fordern ein Dokumentationszentrum
Nur die Spitze des Kirchturms der Mariendorfer Martin-Luther-Gedächtnis-Kirche mit Kreuz und offenem Glockenstuhl ragt aus dem Baugerüst hervor. Die Glocken aber haben vor fünf Jahren schon aufgehört zu läuten. Der Turm ist baufällig und durch Stahlträger gestützt, der Haupteingang wegen der Gefahr, dass Fassadenteile herabfallen, geschlossen. "Eine Komplettsanierung würde um die 3,5 Millionen Euro kosten", sagt Pfarrer Hans-Martin Brehm. Die könne die Gemeinde unmöglich allein aufbringen. Um das denkmalgeschützte Gebäude vor dem Verfall zu bewahren, hat die Evangelische Kirchengemeinde Mariendorf gemeinsam mit der zuständigen Landeskirche beschlossen, das Gotteshaus öffentlich auszuschreiben und einen nichtkirchlichen Träger zu finden.
Eine ungewöhnliche Vorgehensweise für einen ungewöhnlichen Bau: Die Martin-Luther-Kirche ist ein einzigartiges Denkmal nationalsozialistischer Symbolik im Kirchenraum. Auf einem Relief an der Kanzel, das die Bergpredigt darstellt, mischen sich ein SA-Mann und ein Soldat mit Stahlhelm unter das abgebildete Volk. Die hölzernen Kacheln des sogenannten Triumphbogens zwischen Kirchen- und Altarraum zeigen neben christlichen Symbolen Soldatenköpfe und Reichsadler. Angeblich sollen sich auch Hakenkreuze darauf befunden haben, die nach dem Krieg entfernt wurden.
"In der Vorhalle soll statt der Lutherbüste einmal der Kopf Adolf Hitlers geprangt haben", fügt Pfarrer Brehm hinzu. Dies sei aber nicht belegt. Augenscheinlich nationalsozialistisch geprägt ist dagegen die Christusfigur am Altar. Kein Leidender ist dort am Kreuz zu sehen, sondern "ein muskelgestählter Heldenchrist", so Brehm. Gemeinde und Pfarrer sind sich des schweren Erbes ihrer Kirche durchaus bewusst. "Wir versuchen, Gedenkarbeit zu leisten, und setzen uns insbesondere für die Versöhnung zwischen Deutschen und Polen ein", erzählt Brehm, der sich seit 25 Jahren in der Gemeinde engagiert. Jedes Jahr wird am Holocaust-Gedenktag in der Kirche ein Gottesdienst für die Opfer abgehalten. Und seit über 20 Jahren schmücken düstere Bilder des polnischen Malers Pawel Warchol, die sich mit den Schrecken der Konzentrationslager auseinandersetzen, den Raum.
Seit Ende Januar ist dort nun die Wanderausstellung "Das ,Paradies' der Volksgemeinschaft" über Arbeitsleben und Freizeitgestaltung im Dritten Reich zu sehen. Dokumentiert werden NS-Institutionen wie die "Deutsche Arbeitsfront" (DAF) und "Kraft durch Freude" (KdF). Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem KdF-Seebad Rügen in Prora.
Die im Rahmen eines EU-Projekts entstandene Ausstellung wurde bereits im Dokumentationszentrum des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg gezeigt. Veranstalter in Berlin sind der Kirchenkreis Tempelhof und die Otto-Bartning-Arbeitsgemeinschaft Kirchenbau.
"Bisher waren schon über 1.000 Besucher aus allen Himmelrichtungen da", freut sich Pfarrer Brehm. Die Kirche brauche Öffentlichkeit, um weiterbestehen zu können. Auch Monika Geyler, Geschäftsführerin des Berliner Forums für Geschichte und Gegenwart (BFGG), würde das begrüßen. "Es gibt viel mehr Kirchen aus dieser Zeit, als man weiß", sagt sie. Aber ein so geschlossen erhaltenes Bildensemble wie in Mariendorf sei einzigartig in Deutschland.
Die Martin-Luther-Gedächtnis-Kirche wurde 1933 bis 1935 nach den Plänen des naziregimetreuen Architekten Kurt Steinberg erbaut. Bei dem expressionistischen Bau handelt es sich allerdings nicht um ein Bauwerk der Nazizeit, da der Entwurf bereits Ende der 20er-Jahre fertiggestellt wurde. So konnte der Machtwechsel in Staat und Kirche nur noch die Innengestaltung des Gotteshauses beeinflussen. "Ebenso gegensätzlich wie die Architektur des Gebäudes war auch das Gemeindeleben", betont der Pfarrer. Trotz der Nazisymbolik habe sich der damalige Pfarrer Max Kurzreiter gegen die Vorstellungen der "Deutschen Christen" in der Gemeinde gewehrt. 1938 sei sie Traukirche des Schriftstellers Jochen Klepper und seiner jüdischen Frau gewesen, die sich beide 1942 unter dem Druck des Naziterrors das Leben nahmen.
Die BFGG, die 2006 das Nutzungsgutachten für den Sakralbau erstellt hat und mit einer Bauzaunausstellung Geschichte und Zukunft der Kirche dokumentiert, wünscht sich daher ein Nutzungskonzept, das den Ort als Zeugnis der deutschen Vergangenheit einbezieht. "Ich könnte mir ein Dokumentationszentrum vorstellen, das sich mit dem relativ unbekannten Thema der Materialisierung von NS-Symbolik in Kirchen auseinandersetzt", sagt Geyler. Der Verein "Denk mal an Berlin", der die Kirche im Januar zum "Besonderen Denkmal" gekürt hat, kann sich Ähnliches vorstellen. "Das Gebäude ist einmalig und sollte seiner Geschichte entsprechend genutzt werden", sagt Geschäftsführerin Stefanie Peitzmeier.
Wie das Geld für die nötige Sanierung zusammenkommen soll, ist aber noch unklar. Kirchenkreis und Landeskirche sehen sich ebenso wie die Gemeinde nicht imstande, die Kosten zu übernehmen. "Wir suchen nach einem Projektentwickler, der sich Gedanken über Finanzierung und Sanierung der Kirche macht", sagt Isolde Böhm, Superintendentin des Kirchenkreises. Die Ausschreibung soll voraussichtlich Anfang Mai veröffentlicht werden. Mit einer endgültigen Entscheidung über die Zukunft der Kirche rechnet Böhm aber frühestens in zwei Jahren.
Neben den Kirchengremien interessieren sich auch das Landesdenkmalamt und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz für die Zukunft des Baus. Auslöser war die Debatte über einen eventuellen Abriss der Kirche vor eineinhalb Jahren. Das kirchliche Bauamt schließt diese Lösung mittlerweile angeblich aus.
Einen Abriss kann sich auch Peter Schabe, Repräsentant der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in Berlin, nicht vorstellen. Seiner Meinung nach kann die Kirche nur mit Mitteln aus dem kürzlich aufgestockten Etat von Kulturstaatsminister Bernd Neumann oder aus einem bisher nur für den Ostteil Berlins bestehenden Topf für Städtebauförderung gerettet werden. "Man muss einen Träger mit Mischförderung finden", ist er überzeugt.
Pfarrer Brehm dagegen wünscht sich eine Stiftung, die die Kirche übernimmt und mit der eine religiöse und kulturelle Nutzung möglich wäre. "Ich würde mir eine möglichst große Vielfalt an Veranstaltungen und Kooperationen wünschen, mit der wir es schaffen, von der Geschichte in die Gegenwart zu kommen", sagt er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!