Kommentar Taiwan-Wahl: Ein taiwanischer Dalai Lama fehlt

Taiwans Wahl eines neues Präsidenten kümmert die Welt wenig - alle schauen nach China und Tibet. Doch Aufmerksamkeit wäre angebracht, denn China sagt: Taiwan gehört uns.

Die Insel Taiwan wählt sich einen neuen Präsidenten - und niemand schaut hin. Viel interessanter und beängstigender scheint, was gerade am anderen Rand Chinas geschieht, in Tibet, wo Armee und Paramilitärs Ruhe schaffen sollen.

Dass sich in dieser Situation im Rest der Welt kaum jemand für die 23 Millionen Taiwaner interessiert, ist verständlich: Da treten in Taipeh zwei Kandidaten an, die eigentlich so unterschiedlich nicht sind. Beide sind Rechtsanwälte. Beide haben langjährige politische Erfahrungen. Beide waren einmal Bürgermeister einer Millionenmetropole. Beide sind es gewohnt, Kompromisse zu schließen und ihre politischen Gegner am Leben zu lassen. Keiner von ihnen gilt als persönlich besonders korrupt. Keiner von ihnen gilt als besonders unfähig. Und keiner droht, mit seiner Politik das ganze Land ins Unglück zu stürzen. Kurz: eine ganz zivile Wahl mit ganz zivilen Kandidaten. Ihr Ausgang ist noch offen, weil die Taiwaner frei entscheiden können und das auch tun. Was so normal scheint, ist es keineswegs. Und deswegen wäre es viel besser, wenn die Welt schon heute genauer hinschauen würde auf das, was auf der kleinen Insel geschieht:

Denn die Regierung des großen Nachbarn Volksrepublik ist fest überzeugt, dass nicht die 23 Millionen Taiwaner, sondern die 1,3 Milliarden Chinesen auf dem Festland über das Schicksal der Insel bestimmen dürfen. Pekings Premier Wen Jiabao hat das erst in dieser Woche bekräftigt. Taiwan gehöre den Chinesen, daran sei nicht zu rütteln.

Dass dies keine Formalität und keine symbolische Erklärung ist, wissen alle ausländischen Politiker und Diplomaten, die in Peking empfangen werden: Sie müssen ein ums andere Mal laut und öffentlich erklären, dass Taiwan kein eigener Staat sei. Da ist verrückt, weil alle es besser wissen, weil die Taiwaner sich seit über einem halben Jahrhundert selbst regieren und weil sie, wie sich zeigt, das auch ganz gut können.

Einen Dalai Lama oder eine andere charismatische Figur, die die Welt auf ihre Seite bringen könnte, haben die Taiwaner nicht. Manchmal würde man ihnen so jemand wünschen.

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Bis Anfang 2012 Korrespondentin der taz in China, seither wieder in der Berliner Zentrale. Mit der taz verbunden seit über zwanzig Jahren: anfangs als Redakteurin im Auslandsressort, zuständig für Asien, dann ab 1996 Südostasienkorrespondentin mit Sitz in Bangkok und ab 2000 für die taz und andere deutschsprachige Zeitungen in Peking. Veröffentlichung: gemeinsam mit Andreas Lorenz: „Das andere China“, wjs-verlag, Berlin

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