Debatte Serbien: Serbien braucht Politik der Härte

UNO und Europäer verfolgen gegenüber Serbien eine Strategie der Beschwichtigung - was serbische Nationalisten als Schwäche deuten. Damit wird das Kosovo destabilisiert.

Die Serben sehen sich gern als Opfer der internationalen Gemeinschaft. So ist es auch im serbisch dominierten Nordmitrovica, das zum Kosovo gehört. Dort stilisieren sich die Serben jetzt zur entrechteten Minderheit und geben ihre jüngsten Attacken als eine Art Notwehr aus. Tatsächlich muss man jedoch staunen, wie nachgiebig die internationalen Institutionen gegenüber den serbischen Aktivisten sind.

Sehen wir uns die Fakten an: Schon vor der Besetzung des UN-Gerichts in Nordmitrovica kam es zu militanten Aktionen der serbischen Seite. Gleich nach der Unabhängigkeitserklärung brannten die Grenzstationen zwischen Nordmitrovica und Serbien. Serbische Mitglieder der Kosovopolizei wechselten die Seiten. Auch in anderen Landesteilen stiegen die Serben aus der von der UN aufgebauten gemeinsamen Polizei aus. Serbische Mitglieder der Gemeinderäte und anderer Institutionen in den noch gemischten Gemeinden sind den Gremien ferngeblieben. Das Büro der EU-Mission in Nordmitrovica wurde ebenfalls angegriffen. Die Besetzung der Eisenbahnlinie und dann des UN-Gerichts sind also nicht spontane Aktionen aufgebrachter Bürger, sondern eine geplante Eskalation, um die Lage im Kosovo zu destabilisieren.

Und die Reaktionen? Schon vor der Zerstörung der Grenzstationen waren UN und auch die internationalen KFOR-Truppen gewarnt. Doch sie unternahmen nichts. Heute gibt es keine Kontrollen an dieser Grenze mehr. Und obwohl sich die EU im Ahtisaari-Plan verpflichtet hat, eine begrenzte Unabhängigkeit des Kosovo umzusetzen, halten sich die Europäer in Nordmitrovica zurück. Zwar haben KFOR und UN-Polizei das Gericht drei Tage nach seiner Besetzung "zurückerobert". Doch die serbischen Demonstranten wurden wieder freigelassen, die während der Auseinandersetzungen festgenommen worden waren. Obwohl sie Molotowcocktails, Handgranaten und scharfe Munition eingesetzt hatten, wurde bisher keiner der militanten Serben zur Rechenschaft gezogen.

Als dagegen am 10. Februar 2007 einige hundert Albaner der "Bewegung Selbstbestimmung" in Prishtina demonstrierten und Farbbeutel und Eier auf das UN-Gebäude schleuderten, war die Reaktion eine ganz andere. Rumänische UN-Polizisten schossen mit metallummantelten Gummigeschossen in die Menge, zwei Demonstranten wurden getötet, Dutzende teils schwer verletzt. Der politische Führer der Bewegung, Albin Kurti, wurde zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, danach zu einem bis heute geltenden Hausarrest. Von der internationalen Gemeinschaft wird mit zweierlei Maß gemessen.

Dieses Vorgehen hat vor allem bei den Europäern Tradition. Im von den Europäern unterstützten Ahtisaari-Plan der UN werden der serbischen Minderheit im Kosovo Rechte eingeräumt, von der die anderen Minderheiten im Kosovo selbst und in Europa generell nur träumen können. Serbische Gemeinden dürfen direkte Kontakte zum Mutterland unterhalten; sie können über eigene Polizei- und Verwaltungsstrukturen, Schulen, Krankenhäuser sowie Medien verfügen; und mit rund 6 Prozent der Bevölkerung könnten sie mehr als 25 Prozent der Fläche des Kosovo kontrollieren. Diese Rechte kann man eigentlich nur allen Minderheiten wünschen.

Würde der Plan aber umgesetzt, müssten die noch existierenden gemischten Gemeinden ebenfalls aufgelöst werden. Der Ahtisaari-Plan kommt also der Forderung der nationalistischen Kräfte in der serbischen Regierung nach, die ethnische Trennung im Kosovo durchzusetzen - obwohl die internationale Gemeinschaft gleichzeitig auf den Aufbau eines multiethnischen Kosovo drängt.

Dennoch haben die Regierung und die radikalnationalistische Opposition in Serbien dem Ahtisaari-Plan bisher nicht zugestimmt, denn bis heute ist Serbien nicht kompromissfähig. Dort beharrt man auf Maximalforderungen, obwohl das Kosovo schon seit der Nato-Intervention für Serbien verloren ist.

Mit den serbischen Aktionen in Mitrovica wurden sogar die verbündeten Russen irritiert. Denn das Serbien unterstützende Russland beharrt auf der Umsetzung der Resolution 1.244 des Weltsicherheitsrates aus dem Jahre 1999, die das Kosovo einer UN-Verwaltung unterstellt, es aber auch gleichzeitig völkerrechtlich im damaligen Jugoslawien beließ. Russland möchte also die UN-Mission im Lande halten, während es gleichzeitig versucht, die EU ohne Einfluss zu lassen. Die Angriffe der serbischen Demonstranten auf die UN-Polizei können also nicht im Interesse Russlands gewesen sein.

Doch auf diese diplomatischen Finessen wollten manche in Belgrad offensichtlich keine Rücksicht nehmen. Schließlich ist in Serbien Wahlkampf, und die nationalistischen Kräfte wollen sich als Kämpfer für das Kosovo präsentieren. Nach ihrem Willen soll das Kosovo ein noch länger währender Unruheherd sein - eine Art Palästina Europas. Die ständigen Kämpfe würden zudem die proeuropäischen Kräfte in Belgrad paralysieren, hoffen die nationalistischen Extremisten bis hin zum Regierungschef Kostunica.

Diese Rechnung der Nationalisten scheint aufzugehen - zumindest was das Verhältnis zu Europa angeht. Denn Europa ist bereit, ständig nachzugeben. Vor wenigen Wochen wollte Brüssel die Vorbedingung für die Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens SAA fallen lassen. Sie lautet, dass Serbien die Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic verhaften und an den internationalen Gerichtshof in Den Haag ausliefern soll. Lediglich die Niederlande legten ihr Veto ein. Und Frankreich schlug sogar vor, freien Visaverkehr für Serbien einzuführen. Welche Politik. Man stelle sich vor, die Mörder aus Srebrenica erhielten Visa, deren Opfer, die überlebenden Frauen von Srebrenica, aber nicht.

Europa war sich seit dem Beginn der Balkankriege der 90er-Jahre meistens einig darin, eine Politik des Appeasements gegenüber Serbien durchzusetzen. Doch diese Politik ist schon in den 90er-Jahren gescheitert. Sie wurde vom damaligen Milosevic-Regime als Ermutigung angesehen, die Politik des Krieges in Bosnien und Herzegowina fortzuführen. Erst mit dem durch die USA forcierten Nato-Eingreifen wegen des befürchteten neuen Genozids im Kosovo und der zu erwartenden Flüchtlingsströme wendete sich kurzzeitig das Blatt. Nach dem Bombenkrieg gegen Serbien zeigte sich, dass die Politik der Härte funktioniert: Kurz darauf wurde Milosevic gestürzt.

Heute käme eine Nato-Aktion natürlich nicht infrage. Aber es geht darum, klare Positionen zu beziehen und den nach der diplomatischen Anerkennung des Kosovo eingeschlagenen Weg konsequent beizubehalten. Die Erfahrung zeigt, dass jedes Zurückweichen, wie zum Beispiel die Aufgabe des Büros der EU-Mission in Mitrovica oder der Grenzkontrollen, wiederum in Serbien als Schwäche verstanden wird. Und damit nur den nationalistischen Kräften Auftrieb gibt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.