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die wahrheitDer Himmel weinte Bälle

Die Schnapsidee des Jahres, Teil zwei: ein Granatenrückspiel in Frankfurt.

Am 14. Juli des vergangenen Jahres hatten wir (Die Wahrheit berichtete am 3. 8. 2007) unter den allerskandalösesten Umständen das "Spiel des Jahres um den leeren Gallus-Pokal" mit 7:8 gegen "Apollo 11", die durch und durch fadenscheinige Mannschaft von Apollo, meinem Stammwirt im Frankfurter Gallusviertel, verloren. Seither war kein Tag ins Land gegangen, an dem rund um die Zapfhähne des schönsten Frankfurter Stadtteils nicht über die Modalitäten einer Revanche debattiert worden wäre.

Schließlich nahmen es Horst, Martin und ich, die wir für das gesamte Desaster ja in gewisser Weise die Verantwortung trugen, sogar hin, dass auch die Gaststätte "Lokalteil" unter der Ägide der topintegeren Wirtsdamen Claudia und Elke ein Team ins Rennen zu schicken gedachte - den "AC Lokalteil", wie wir bald hörten. So, so, irgendwie Italiener. Mit denen hatten wir ohnehin noch einen gallischen Hahn zu rupfen.

Da es sich nun also um ein waschechtes Turnier handeln würde, konzentrierten Horst und ich unsere Zauberkräfte um so inständiger auf die Rekrutierung unserer Toptruppe "Hermann United". Doch nach und nach, weil der Weltgeist ein Arschloch ist, sprangen unsere Granaten und Garanten für jenen Sieg, der zur Wiederherstellung unseres Rufes im Viertel unverzichtbar sein würde, aus haarsträubenden Gründen ab. Nia Künzer hatte sich sittenwidrig für das DFB-Pokal Finale qualifiziert, Daniel Meuren behauptete, sein Interrail-Ticket für die Malediven aufbrauchen zu müssen, Rudi Brückner schob einen "Schafschertermin" vor, obwohl er auf seiner Ranch bei München nur Schreiadler und Sumpfdotterblumen hält, und Ali, unser Ailton, ließ durch meinen Erzfeind Berry kurzfristig ausrichten, er habe "einen Termin" - wahrscheinlich bei Sepp Blatter.

Am Vorabend des 19. April machte Apollo am Tresen des Kyklamino plötzlich auf Humanist. Er habe davon abgesehen, Zweitligaspieler zu verpflichten, er wolle uns eine Chance einräumen. Außerdem laufe bei ihm Effi auf - ein 82-jähriger Kettenraucher. Horst beklagte zum Ausgleich und prophylaktisch die Verletztenmisere in unseren Reihen (Bandscheibeneinriss, Seelenschmerz, Kater), während ich mich auf die Rolle des Technischen Direktors verlegte und unseren Neueinkauf Christian Jöricke pries, einen Marathonläufer, der bei mir für den nächsten Tag umgehend einen Champagnerkühler voller Altbier einforderte, sonst werde er bloß drei Tore schießen.

Apollo lachte wie Godzilla und gab Jöricke Ouzo aus, mit dem er unseren Scorer zerstören wollte. "Es werden keine Gefangenen gemacht, wir haben drei Iraner!", schrie er dann, und als ich protestierte, brüllte er mich an: "Halt die Klappe! Das hier ist ein soziales Lokal, du Sau!" und spendierte mir einen Teller saurer Gurken, die von den zarten Händen 101-jähriger Jungfrauen geerntet worden seien.

Ich schlief schlecht, und am nächsten Morgen erbrach sich über Frankfurt, einer der "wärmsten und niederschlagsärmsten Großstädte in Deutschland" (frankfurt-interaktiv.de), der Himmel. Nein, der Himmel weinte. Bitterlich. Nun gut, dachte ich, Frankfurt, Stadt der Wasserschlachten, WM 1974, Polen gegen BRD, und Uli Hoeneß hatte vor dem Endspiel gegen die Niederlande auch kein Auge zugetan.

Dann klingelte das Handy. Apollo und Elke wollten absagen: "Da draußen ist ja die Sintflut!" - "Fußball ist kein Taschenbillard!", erwiderte ich und verließ das Haus.

Im "Lokalteil" tranken sie eine halbe Stunde vor dem Anpfiff Konterbiere. Ich ernannte Elke zum Platzwart und verwirrte ihr Team durch die Mitteilung, aus strategischen Erwägungen selber nicht zu spielen. Ich sei "der Joker" und würde durch "treffende Bemerkung vom Platzrand" den Sieg herbeiführen. Alex, der tatsächlich das Originaltrikot trug, das Katsche Schwarzenbeck 1974 während der Wasserschlacht angehabt hatte, guckte in den Regen und sagte: "Wieso haben die Bäume keine Blätter?"

Das von hohen Bäumen gesäumte Kleinfeld auf der Frankenallee sah aus wie die Miniaturausgabe des Indischen Ozeans inmitten der Mecklenburgischen Seenplatte. "Haben wir ein Glück, dass es heute nicht ganz so heiß ist!", meinte Martin Maria Schwarz, unsere Geheimwaffe auf der Position des Sechsers. Horst, Christian, Rainer, Daniel, Peter und Keeper Martin II., eine Mischung aus Radenkovic und der Katze von Anzing, lauschten bibbernd der Ansprache unseres genialen Trainers Hermann, der eine herrliche Schiebermütze trug: "Die Hauptaufgabe ist: Gewinnen! Alle Mittel sind erlaubt!"

Das war lupenreiner Malcolm X, also knüppelten wir, die Mannschaft der Kritischen Theorie und Laktatwerte, in einer irrwitzigen Schlammschlacht den AC Lokalteil mit 1:1 nieder - aber nur deshalb, weil ich Katja, unserer Co-Trainerin, im Verlauf der ersten Hälfte die Anweisung gegeben hatte: "Wenn sie schon 1:0 führen, trinken wir ihnen wenigstens das Bier weg." Das tat sie dann auch.

Irgendeiner von Elkes Edellumpen trat kurz vor Spielende Peters Rippen und Knie zu Brei. Peters Bein vergoss rote Tränen. Aus purem sportlichem Hass intonierten wir daher während der Begegnung AC Lokalteil-Apollo 11 vorsorglich: "Alleeez, allez, allez, alleeez, Apollo 11, Hurensööhöönee!"

Das half. Apollos Schurken kassierten noch das 2:2, so reichte uns ein einfacher Sieg gegen die Elf des Bösen. Peter rüffelte seine Rippen und fiel aus, ich musste mich aufgrund taktischer Weisheit weiter schonen. Die anderen trumpften indessen auf wie die Giganten von 1974. Grabowski, Müller, Beckenbauer & Co. hatten - ebenfalls bei übelsten Regenbedingungen - die Schwedenschweine nach 0:1-Rückstand mit 4:2 nach Hause gejagt, Jöricke, Martin, Schwarz & Co. taten es ihnen gleich - nicht zuletzt, weil ich mich in einem extrem beschissenen Mützen-Outfit aufwärmte und dabei rauchte.

Am Ende hatte ich sanduhrgestoppte 4,37 Minuten auf dem Platz gestanden. "Man kann schon sagen: Wir sind eine Turniermannschaft", sagte ich, und Martin I. sagte: "Das war heute ein heiliger Moment des Fußballs."

Zehn Meter entfernt spielte Effi für die Verlierer auf der Mundharmonika das "Lied vom Tod". Horst rauchte wieder - wie ein Hammel. Hermann wurde später im "Lokalteil" mit Standing ovations empfangen, die Frauen tranken Prosecco aus Dosen, und Ali schnürte herein, um den Pokal, den ich eigenhändig aus dem Regal im Kyklamino gerissen hatte, in die vor Gewinnerlust vibrierende Luft zu wuchten.

Jetzt laufen die Verhandlungen über eine Fortsetzung dieser wahnsinnigen Veranstaltung. Über eine Erweiterung des Teilnehmerfeldes auf vier oder siebzehn Mannschaften wird ernsthaft diskutiert, für die Anschaffung eines Sauerstoffzeltes bereits gesammelt. Wo soll das bloß alles enden?

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