Deutsche Mode für Olympia: Athleten im Zwiespalt

In der Düsseldorfer Stadthalle präsentieren Sportler ihre Klamotten für Olympia. Angesichts der Turbulenzen um Chinas Tibetpolitik wirkt der Laufsteg-Gang leicht gezwungen.

Die Olympiakollektion der deutschen Mannschaft. Bild: dpa

DÜSSELDORF taz Natascha Keller, die Welthockeyspielerin des Jahres 1999, ist nervös. Sie hat ihren Auftritt vor ein paar Stunden geprobt. Aber jetzt füllt sich der Saal, und es wird ernst. Am Ende des Laufstegs lauern 21 Fotografen, die ihre Objektive wie Bajonette auf die Bühne gerichtet haben. Hinter der Fotografenmeute stehen 14 Kameras auf einem Podest. Das Rotlicht blinkt bedrohlich. Die Journalisten warten auf die 30-jährige Keller. Und auf die anderen Models. 16 Sportler präsentieren 100 Tage vor den Olympischen Spielen Mode, olympische Mode. Eine "cranberryfarbene" Jacke und einen weißen "Trapezrock mit Kellerfalte" zum Beispiel, "matt silberne Ballerinas" und ein "ärmelloses Ajourstricktop mit Knopfleiste", wie es im Werbematerial der badischen Firma heißt. Natascha Keller, Deutschlands beste Hockeyspielerin, betritt die Bühne.

Sie schaut sehr ernst drein. Läuft einfach drauflos. Die Schultern lässt sie etwas lustlos hängen. Sie modelt ja zum ersten Mal, könnte man einwenden. Keller trägt das Outfit für die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele. Am 8. August soll die Party in Peking steigen. Aber wie die deutsche Mannschaft damit umgeht, steht noch nicht einmal fest. Viele Athleten wollen die Auftaktveranstaltung im Olympiastadion meiden - aus Protest gegen Chinas Politik. Auch Natascha Keller weiß noch nicht, ob sie mit ihrer Cranberryjacke und dem Faltenrock zur Eröffnung gehen soll, sie weiß nicht, ob sie überhaupt gehen soll. "Mal sehen, ich habe wirklich noch keine Entscheidung getroffen", sagt sie später, fast schon entschuldigend. "Es ist ja sehr, sehr schwierig für uns. Wie äußert man sich vor Ort? Was soll man machen?"

Der Zwiespalt der Sportler passt zum Veranstaltungsort. Kein Glamour: Der Sportbund hat den Laufsteg in der Düsseldorfer Stadthalle aufbauen lassen, an einem Ort, den Location Scouts weiträumig umfahren würden. Piefig, steril und ungastlich ist es hier. Man hat zwar versucht, den viel zu großen Saal mit Bahnen weißen Stoffs auszustaffieren, hat Videoleinwände aufgebaut und große Werbebanner entrollt, aber es nutzt nichts. Die Modenschau der Sportler ist kein Event, hier wird nur irgendwie Textil hergezeigt. Natascha Keller läuft trotzdem tapfer über den grellweißen Steg. Als die Schau vorbei ist, hat sie nicht nur ihren Auftritt gut überstanden, sondern auch die Moderation von Michael Antwerpes.

Der Fernsehmann gibt im Stile eines Steppdeckenverkäufers launige Kommentare ab. "Heidi Klum könnte hier ohne Weiteres eine Sportlerin herauspicken", kalauert er und kriegt gerade noch die Kurve, als es um "dieses heikle Thema" geht. Er sagt: "Die politische Situation soll heute eindeutig nicht im Mittelpunkt stehen." Pause. Stille im Raum. Blick zu Thomas Bach, Chef des Sportbundes und Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). "Äh, aber wir wollen sie natürlich nicht ausdrücklich verschweigen." Situation gerettet. Es kann weitergehen.

Düsseldorfs Oberbürgermeister, ein kleiner Mann, verschwindet fast hinterm Pult. Joachim Erwin zitiert den US-amerikanischen Kugelstoßer John Godina, der einmal behauptet hat, das Dopingthema werde doch nur unnötig aufgeblasen. Das ist ungefähr so stilsicher wie die Reaktion des IOC auf das heikle Thema, den Tibetkonflikt.

Anfangs schwieg das Komitee beharrlich. Sport und Politik seien verschiedene Metiers, hieß es. Erst als der Druck der Öffentlichkeit zu groß wurde, sagte IOC-Chef Jacques Rogge etwas zur Sache. China müsse eine friedliche Antwort finden, sagte der Belgier. Doch viel zu spät sei die Reaktion gekommen, ein großer Imageschaden sei entstanden, heißt es aus Kreisen des Sportbundes. Selbst Rogge habe einräumen müssen, dass die olympische Bewegung in einer Krise stecke. Namentlich zitiert werden will niemand.

Für die politische Meinungsäußerung waren in den vergangenen Wochen ohnehin die Sportler zuständig, "die mündigen Athleten", wie Thomas Bach sie ständig bezeichnet. Auch in Düsseldorf müssen die mündigen Athleten wieder ihren Mund aufmachen. Ob der hellgraue Leinenanzug toll zu tragen sei oder ob die Stützstrümpfe, die angeblich alle der 470 Olympioniken auf dem Flug nach Peking anziehen werden, etwas bringen etwa.

Doch das will kein Journalist wissen. Sie fragen: Gehen Sie zur Eröffnungsfeier, oder rechnen Sie mit einem Boykott der Show? Planen Sie in Peking eine Aktion, eine Minidemo? Werden Sie das Armband mit der Aufschrift "For a Better World" oder "Sports for Human Rights" tragen - oder das T-Shirt von "Reporter ohne Grenzen" mit den olympischen Handschellen drauf? Was ist Ihre Meinung zum Tibetkonflikt, zur Pressefreiheit in China? Fragen, die eigentlich nicht zur Präsentation von Mode passen.

Aber Natascha Keller wirkt jetzt gewandter. Sie antwortet gern darauf, obwohl sie nicht zum ersten Mal gelöchert wird. Die Olympiasiegerin von 2004 sagt: "Sport und Politik kann man derzeit nicht trennen." Sie findet es gut, dass die Menschenrechte in den Mittelpunkt rücken. "Vielleicht kommt in China etwas ins Rollen." Es ist die Hoffnung, dass durch die Sommerspiele das Gastgeberland ein bisschen demokratischer wird, offener und liberaler. "Viel mehr Menschen reden jetzt über Tibet, das ist doch nicht schlecht."

Wie weit die persönliche Freiheit des Olympioniken geht, steht in einem Paragrafen der IOC-Charta. In Absatz 53 wird "jede politische, religiöse oder rassische Demonstration an den olympischen Stätten untersagt". Aber was bedeutet das für die Tage in Peking? Ist damit auch das Tragen eines Gummibändchens am Handgelenk gemeint? Oder das Schwenken eines kleinen Tibetfähnchens im olympischen Dorf?

Das IOC will jetzt "Guidelines" herausbringen, Richtlinien, die festlegen, was ein Sportler darf und was nicht. "Auf dem Sportplatz werden wir keine Plakate hochhalten", sagt Natascha Keller. Aber sonst? Der Beachvolleyballspieler Christoph Dieckmann findet, dass die Sportler nicht diejenigen sein sollten, "auf deren Rücken das Ganze ausgetragen wird, vor allem wenn man sich anschaut, wie die Wirtschaft seit Jahrzehnten gute Geschäfte mit China macht". Auch die Politik sei in der Pflicht, fordert der hoch aufgeschossene Schmetterkünstler. "Warum sollen nur wir, die Sportler, eine Vorreiterrolle spielen?", fragt er, warum nicht eine Firma wie die BASF, deren Vorstandsvorsitzender unlängst dazu aufrief, sensibler mit China umzugehen, weil sonst die Geschäftsbeziehungen des Chemieunternehmens zum künftigen Exportweltmeister gefährdet sein könnten.

Der Sport ist politisch, und das Politische ist olympisch geworden. Das hat Michael Vesper in den vergangenen Wochen viele Überstunden beschert. Er ist Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes. "Ich arbeite so viel wie noch nie", gesteht Vesper, erfahrener Politiker der Grünen und jahrelang Minister in Nordrhein-Westfalen. "Ich habe Garzweiler II überstanden, da werde ich das ja wohl auch noch schaffen", sagte der müde Funktionär. Er ist vor allem damit beschäftigt, IOC-Vize Thomas Bach den Rücken freizuhalten. Das ist keine leichte Aufgabe in diesen Tagen, da Bachs Name auch im Zusammenhang mit der Korruptionsaffäre um den Siemens-Konzern auftaucht.

Fackellauf, IOC-Charta, Athleten-Guidelines - Vesper ist permanent als Krisenmanager gefragt, "aber dafür hat man mich ja geholt". Ein bisschen wundere er sich schon, sagt er, dass "dieses Thema Tibet" so breitgetreten werde, dass "plötzlich alle Journalisten zu Chinaexperten werden, vor allem die aus der Sportbranche". Und dass "die Fackel nur noch als chinesisches Hoheitszeichen interpretiert" werde. Hätte es die Unruhen in Lhasa nicht gegeben, da ist Michael Vesper sich sicher, "wäre doch Doping heute das große Ding". Und um zu belegen, wie inszeniert die Tibetdebatte sei, verweist er darauf, dass bei der Frauenfußball-Weltmeisterschaft in China im vergangenen September doch auch kein Hahn nach dem Dalai Lama gekräht habe.

Thomas Bach geht da gewievter vor. In Düsseldorf gibt er sich - ein halbes Dutzend Mikrofone ist nach ihm ausgerichtet - höchst diplomatisch. Auf die Athleten dürfe kein Druck ausgeübt werden. Es dürfe keine "Sprachregelung", also einen Maulkorb, geben. "Das hätte ich mir als Aktiver damals auch verbeten." Thomas Bach wurde 1976 in Montreal Olympiasieger im Fechten, mit dem Florett.

Die feine Klinge zu führen, darauf versteht er sich noch immer. Natascha Keller ist von seinen Ausführungen aber nur mäßig beeindruckt. "Wir Sportler sind Botschafter", sagt sie, "auch im politischen Sinne."

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