Nach Tod von Farc-Chef Marulanda: Neue Hoffnung auf Frieden in Kolumbien
Nach dem Tod des alten Guerillachefs Manuel Marulanda bauen in Kolumbien viele auf ein politisches Umdenken der "Revolutionären Streitkräfte" - und friedliche Lösungen.
Am Sonntagnachmittag gab sich Álvaro Uribe moderat im Stil, aber unerbittlich in der Sache: "Die Regierung muss jetzt daran denken, hart für das kolumbianische Volk zu arbeiten", sagte der kolumbianische Präsident, als der Tod von Farc-Chef Manuel Marulanda feststand. "Sonst tauchen wieder Verbrecher auf, die so tun, als würden sie das Volk verteidigen", fügte er hinzu.
Marulanda, der dienstälteste Guerillero der Welt mit dem Spitznamen "Tirofijo" ("Sicherer Schuss"), erlag am 26. März offenbar einem Herzinfarkt. Damit verloren die Farc ("Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens") innerhalb eines Monats drei ihrer obersten Anführer: Am 1. März wurde Vize Raúl Reyes bei einem Angriff der kolumbianischen Armee auf ein Rebellencamp in Ecuador getötet, wenige Tage später starb Iván Ríos durch die Hand seiner eigenen Leibwächter.
Die mächtigste Guerillagruppe Lateinamerikas, die am Mittwoch ihr 44-jähriges Bestehen feiert, steckt in der größten Krise ihrer Geschichte. Seit 2002 drängt der konservative Präsident Uribe mit milliardenschwerer Unterstützung aus Washington die Rebellen militärisch in die Defensive. Marulanda, das belegen die Dokumente der am 1. März beschlagnahmten Computer und Festplatten der Farc eindeutig, hielt bis zuletzt höchstpersönlich die Zügel in der Hand. Dabei blieb er in seiner bäuerlichen Vorstellungswelt befangen. "Er war ein aufgeklärter Campesino, er kannte sich mit Buchhaltung, Geschichte und regionaler Geografie aus wie die Händler in den Dörfern", sagt der Soziologe Alfredo Molano.
Menschenrechtsaktivisten wie Iván Cepeda von der "Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen" hoffen jetzt darauf, "dass sich politische Optionen gegenüber den militärischen durchsetzen". Die Chancen dafür dürften etwas gestiegen sein. Denn Marulandas Nachfolger, der 59-jährige Alfonso Cano, kommt aus der Hauptstadt. Bei der kommunistischen Jugend und als Studentenführer sozialisiert, stieß der bärtige Anthropologe in den 70ern zu den Farc. Einer seiner sechs Brüder sitzt im Stadtrat Bogotás. Expräsident Andrés Pastrana sieht Cano als Vertreter des politischen Farc-Flügels.
Neuen Mut schöpften die Angehörigen der gut 700 Verschleppten, die sich in der Gewalt der Farc befinden. Yolanda Pulecio und Astrid Betancourt, die Mutter und die Schwester der kolumbianisch-französischen Politikerin Ingrid Betancourt, forderten in Paris den "kultivierten und fortschrittlichen" Cano auf, Betancourt und drei weitere Geiseln freizulassen. Damit könne er mit internationaler Hilfe "Kolumbien auf die Friedensstraße" bringen, hoffen die Frauen. "In der Geiselfrage wird Cano intern womöglich einen größeren Verhandlungsspielraum haben", meint der Politologe Alejo Vargas. "Aber er steht auch vor der Aufgabe, den Zusammenhalt der Kämpfer zu garantieren."
Camilo González Posso, ein bekannter linker Publizist und Friedensaktivist, appellierte an die Aufständischen: "Werden Sie endlich wieder politisch aktiv, hören Sie mit der Erpressung durch Entführungen auf." Nur so könnten die Rebellen das Etikett "Terroristen" wieder loswerden, sagte González Posso auf einem Friedensforum in San José del Guaviare, ganz nahe am Kriegsgebiet südöstlich von Bogotá.
Für eine gewachsene Konzessionsbereitsschaft der Regierung gibt es keinerlei Anzeichen. Anfang Mai machte sich Uribe, dem Umfragen nach wie vor eine hohe Popularität bescheinigen, über Cano als "Philosophen des Terrorismus" lustig und fügte hinzu: "Richten Sie ihm aus, wir sind hinter ihm her."
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