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Freiraum-AktionstageWas tun, wenns brennt?

Kreuzberg erlebt eine Renaissance: Es gibt Randale und Randalentourismus. Es gibt Tränengas, Alkohol und brennende Barrikaden. Steine werden geworfen und rasende Reporter kommen dazu.

Es brannte mal wieder in Kreuzberg Foto: DPA

Mit freundlicher Unterstützung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, des Quartiersmanagements Berlin und des Quartiersmanagements Wrangelkiez war in der Nacht von Samstag auf Sonntag zur "1. Langen Nacht der Oranienstraße" geladen worden. "Alle Anwohner" sollten sich "in ihrer eigenen Art und Weise an dem Straßenfest beteiligen". Dabei seien "Verkaufsstände" ebenso willkommen wie "Tisch und Stühle auf der Straße". Auf dem Fest war dann jedoch nicht viel los, böse Zungen behaupten gar, es fand nicht statt. Einem gleichzeitigen Aufruf, seinen Sperrmüll zum Samstag rauszustellen, kamen jedoch viele Kreuzberger "rund um die Oranienstraße" gerne nach.

Noch Freitagnacht bauten einige Künstler aus dem derart bereitgestellten Material Installationen auf verschiedenen Verkehrsinseln. Dabei überzeugte insbesondere die Matratzen-Arbeit "StattBett" einer Künstlerinnengruppe aus dem Umfeld des "Möbel Olfe" - einer Szenekneipe. Und was dann am Morgen für die Kinder als Trampolin und Ritterburg herhielt, fand am Abend zu Barrikaden geschichtet Verwendung - etwa in der Naunyn- und Muskauer Straße.

Pünktlich zu Beginn des Oranienstraßenfestes um 21 Uhr rückte die Polizei mit schwerem Räumgerät an - darunter Lkw-Pritschen mit Greifbagger. Polizisten in Kampfuniformen schleppten Couchen, Elektronikschrott und Kacheltische über die Straße. Die Einsatzleitung ordnete Mülltrennung an: "Weil die BSR vielleicht noch mit Spezialfahrzeugen kommt."

Die Anwohner diskutierten derweil am Straßenrand in Grüppchen den Sinn und Zweck dieses ungewöhnlich bürgerfreundlichen Polizeieinsatzes im "Problembezirk". Kenner der Szene glaubten an einen Zusammenhang zwischen den zwei Oranienstraßen-Aufrufen und der Räumung des vorigen Dienstag besetzten Ver.di-Gebäudes am Michaelkirchplatz zum Auftakt der bundesweiten "Aktionstage für Freiräume"; nach dessen Räumung waren 14 Autos in der Stadt "abgefackelt" worden. Einige Beobachter sahen zudem eine Verbindung zum Farbattentat auf das KaDeWe. Dabei wurde die gesamte Schaufensterfront mit grüner Farbe aus Feuerlöschern besprüht. Passanten dachten, es handele sich um eine Werbeaktion. Erst als die Sprüher überstürzt aufbrachen, wurde ein Rentner misstrauisch und alarmierte die Polizei. Inzwischen ist bekannt, dass der Streetart-Künstler Brad Downey, der von Lacoste eingeladen war, sich etwas zur Jubiläumsfeier der Modemarke zu überlegen, die Schaufensterfassade grün besprüht hat - als seine Form der Kommerzkritik (taz berichtete).

Jedenfalls: Höhepunkt der Aktionstage sollte am Samstagabend das gemeinsame Fest der acht Freiräume Köpi, Bethanien, Rauchhaus, New York 59, Wagenplatz Schwarzer Kanal, Wagenburg, X-Dorf und A28 werden. Auf dem Köpigelände feierten etwa 1.200 Leute. Dabei kam es erneut zur Barrikadenbildung - auf der Köpenicker Straße. Wieder rückte die Polizei an. Um 0 Uhr 11 setzte die Köpi via Indymedia eine Hilfsmail ab: "aktuell sind vor der köpi mehrere hundertschaften mit schwerem gerät (wasserwerfer/räumpanzer) aufgefahren, es gab schon einen ersten angriffsversuch auf das tor, der abgewehrt werden konnte. es wird dringend unterstützung gebraucht."

In den Köpihof wurden Tränengasgranaten geworfen, woraufhin der Schwarze Block mit Steinen konterte. Eine Barrikade ging in Flammen auf. Schließlich standen und staunten in der Köpenicker Straße mehr neugierige Berlintouristen als Militante. Es gab Festnahmen und Verletzte. Am Ende wurde der ganze Straßenabschnitt vor der Köpi polizeilich geräumt.

Inmitten des tumultösen Geschehens, das in Wellen die Köpenicker Straße auf und ab wogte, standen wie ein Fels die drei Jungs von der Springerpresse in ihren weißen Hemden. Um drei Uhr rückte die BSR an; flankiert von zwei Reihen müder Einsatzkräfte säuberten sie die Straße von Scherben und Steinen.

Um vier Uhr zwanzig standen noch immer etwa fünfzig Angetrunkene ebenso vielen Polizisten Aug in Aug gegenüber. Das morgendliche Vogelgezwitscher legte einen lieblichen Klangteppich über ihre letzten Beschimpfungen und Schubsereien.

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