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Rechte Ecken in Berlin (Teil 3): Das BlumenviertelVorstadtparadies mit verlorener Unschuld

Das Einfamilienhausviertel in Neukölln ist ein Idyll. Mitten hinein haben zwei mutmaßliche Neonazis Brandsätze auf zwei von türkisch- und bosnischstämmigen Familien bewohnte Häuser geworfen. Die Nachbarn sind geschockt.

Rechte Ecken

Rechtsextremismus ist überall in Berlin anzutreffen. Einige Ecken der Stadt sind jedoch besonders betroffen. Das zeigt eine Studie über "Rechte Gewalt", die der Berliner Verfassungsschutz vorgelegt hat. Demnach gibt es vor allem in Lichtenberg, dem südlichen Neukölln, aber auch in Prenzlauer Berg Kieze, in denen sich Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund häufen. Auch weil dort viele Täter wohnen.

Die taz hat sich vor Ort umgesehen. Der dritte Teil unserer Serie "Rechte Ecken" führt nach Rudow. Es ist laut der Studie eine der vier Gegenden in Berlin, in der sowohl besonders viele rechte Taten registriert werden als auch überdurchschnittlich viele Neonazis wohnen.

Eigentlich ist das Blumenviertel in Rudow als Garten Eden gedacht. Zumindest den Namen nach. Nach Goldlack, Seidelbast, Löwenzahn wurden die Straßen benannt, nach Ranunkel, Eibisch und Ehrenpreis. Fenchel, Kornblumen und Margeriten, Akelei, Distel und Eisenhut kommen dazu. Wunderbare Blumen sind es: farbstark, geruchsintensiv, formenreich. Zwar signalisieren sie mehr Hausgarten als Paradies, aber was macht das? In der Sprache der Blumen ist klar, was gemeint ist: Hier geht es ruhig zu, friedlich, harmonisch. So wirkt das Viertel mit seinen Einfamilienhäusern auch. Nur die Deutschlandflaggen, hie und da, und nicht nur als Wimpel, sondern als große Fahnen an Stangen, stören das Bild.

Auch Bayram Yildirim hat sein Haus im Orchideenweg geflaggt. Vom frisch gestrichenen Balkon hängt eine Deutschlandfahne. Daneben hat er die Flagge der Türkei gehisst. Die eine in ihrer schwarz-rot-goldenen Triade, die andere in Rot mit weißem Halbmond und Stern. Die Fahnen sind ein Bekenntnis - nicht nur zum Fußball. Farblich harmonieren sie gut.

Die Straßen im Blumenviertel sind von Vorgärten gesäumt. Hinter den Lebensbäumen und Koniferen, den Holunder- und Jasminbüschen stehen die Häuser. In ihrer Höhe unterscheiden sie sich kaum, in ihrer Bauweise schon. Die Träume vom eigenen Heim können schlicht oder schlossähnlich sein, mediterraner Üppigkeit oder brandenburgischer Einfachheit frönen, penibel gepflegt sein - oder auch nicht. Vorstadt, Kleinstadt, ja fast noch ein Dorf ist es. Nur ohne Marktplatz, Bäcker und Wirtshaus.

Es ist zwei Monate her, als die Idylle im Blumenviertel gestört wurde. Auf Yildirims Haus und das einer bosnischen Familie im Fenchelweg wurden Molotowcocktails geworfen. Es brannte. Verletzt wurde niemand. Die Brandspuren an der Hausfassade der Yildirims sind mittlerweile übermalt, die am Haus der bosnischen Familie nicht.

Am vergangen Mittwoch endlich wurden zwei Verdächtige festgenommen. Der eine ist 16 Jahre alt, der andere 18. Sie kommen aus dem Blumenviertel; sind dort aufgewachsen. Ein dritter Verdächtiger, der der Polizei wegen rechter Gewalttaten bekannt ist, soll an den Vorbereitungen der Feuerattacken beteiligt gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, denn fremdenfeindliche Motive schließt sie nicht aus. Der Vorwurf lautet auf versuchten Mord: "Wer Brandsätze gegen ein Haus schleudert, in dem Menschen schlafen, nimmt ihren Tod zumindest in Kauf."

Die Sonne hat das Gras vor den Häusern im Blumenviertel verbrannt. In manchen der Gärten hat die Trockenheit eine Spur hinterlassen; braun und kraftlos ist die Vegetation. Auch im Garten der evangelischen Dreifaltigkeitskirchengemeinde, die am Orchideenweg ein kleines Zentrum mit Kita hat, sieht der Rasen so aus, als sei man am Ende des Sommers.

Linus D. und ein Freund von ihm sind am späten Freitagnachmittag noch im Zentrum. Die beiden 16-Jährigen organisieren eine Party der Konfirmandengruppe. Ja, auch Leute, die nicht religiös sind, könnten kommen, sagt Linus D. Und klar, manche brächten ihre muslimischen Freunde mit - man kenne sich doch von der Schule. Der Gymnasiast ist Vorsitzender des Gemeindejugendrats. "Der Brandanschlag, das war ein Schock", sagt der junge Mann. Zum ersten Mal hätten sich Rechte so etwas im Blumenviertel, das im nördlichen Rudow liegt, getraut. "Natürlich, man weiß, in Rudow gibt es Nazis."

Rund um den U-Bahnhof Rudow weiter im Süden haben die ihren Treffpunkt. Auch im Blumenviertel kleben sie ihre Aufkleber an die Laternenpfähle. Er und seine Freunde kratzten sie ab, sagt Linus D. Seit klar ist, dass die Verdächtigen direkt von hier kommen, seien die Leute noch geschockter. Linus D. hat schon versucht, mit Jugendlichen, die eine rechte Gesinnung haben, zu sprechen, man kenne sich ja. "Aber erklären, was sie gegen Ausländer haben, können sie einem nicht."

Die Kirchengemeinde wird am kommenden Sonntag einen Gemeindespaziergang machen. Man sucht das Gespräch miteinander, will sich zeigen, sich bekennen. "Ich bin überzeugter Antifaschist", sagt der Jugendliche. Und: "Man guckt jetzt halt schon mehr in die Gesichter der Leute als vorher." Sein Freund nickt. Auf dessen T-Shirt steht groß die Geburtsdekade der Jungen: "Made in the 90ies."

Nur wenige Menschen sind auf der Straße im Blumenviertel. Zum Spazierengehen lädt es nicht ein. Zum Einkaufen muss man sich ins Auto setzen und rausfahren. Im Seidelbastweg, die parallel zum Orchideenweg verläuft, spricht aber doch eine Frau, die mit Kinderwagen unterwegs ist, mit einem Mann, der den Zaun vor einem Haus streicht. Es ist ihr Haus, wie sich schnell zeigt. Dort wohnt sie mit ihren Kindern, Enkeln und nun auch dem Urenkel zusammen. "Ich bin Urgroßmutter", sagt sie und sieht jung dabei aus. Erst 68 sei sie. "Wir haben immer früh angefangen."

Das mit den Molotowcocktails findet sie furchtbar. Einer der Verdächtigen wohnt im Nachbarhaus. Sie macht eine Kopfbewegung in die Richtung. Die Polizei sei da gewesen, habe ihn abgeholt. "Mein Enkel hat oft mit dem gespielt." Er sei ein ruhiger Junge. "Jetzt hat er sich sein Leben versaut", meint sie. Nein, Ausländer wohnten kaum in der Nachbarschaft. Nur eine jugoslawische Familie. "Da sind immer so viele Leute, da haben sie sich wohl nicht rangetraut." Schlimm sei, dass man sich kenne und doch nicht hinter die Fassaden sehe. Einen Reim auf das Ganze macht sie sich trotzdem: Die Mutter des Jungen sei früh gestorben, sagt sie, und der Vater soll auch nicht so ohne gewesen sein. Mehr sagt sie nicht.

Am Sonnenschirm sind die Spuren des Brandanschlages bei den Yildirims noch zu erkennen. Das Feuer hat ein Loch ins Segeltuch gebrannt. "Mein Bruder sagt, wir hätten besser gucken sollen, bevor wir vor sechs Jahren das Haus in Rudow gebaut haben, was das für ne Gegend ist", sagt Yildirims Frau. Sie trägt Kopftuch. "Das macht sie den Leuten fremd", sagt ihr Mann. Seit dem Brandanschlag allerdings hat sich die Familie einen Hund zugelegt. Einen türkischen Hirtenhund. Die seien besonders wachsam. "Yaman" heißt er - frecher Kerl. Er ist noch so jung, dass er nur spielen will. Frau Yildirim geht nun täglich mit ihm Gassi. "Das bringt mich ganz anders mit den Leuten hier in Kontakt." Demnächst werden die Yildirims auch in der Kirchengemeinde bei einem Fest mitmachen. "Wir bringen unser Essen, unsere Speisen mit. Wir wollen uns zeigen."

Yildirim war neun, als er nach Deutschland kam, seine Frau kam mit zehn. Die beiden haben sich in Berlin kennengelernt. Der 46-Jährige hat in Mariendorf einen CNC-Dreherbetrieb mit 20 Angestellten. Seine Tochter, die ein Ingenieurstudium macht, soll ihn mal übernehmen.

Vor zehn Jahren hat Yildirim ein Angebot für einen Job in der Türkei bekommen, erzählt er. "Ein Super-Top-Angebot." Aber die drei Kinder wollten nicht aus Berlin weg. Da hat die Familie entschieden, ihr Haus in der Türkei zu verkaufen und sich in Berlin eins zu bauen. "Wir sind doch dort auch schon fremd", sagt Yildirim. An seiner Haut, an seiner Art zu gucken, erkennen die Einheimischen in der Türkei, dass er anderswo wohnt, sagt er. Auch daran, dass er nicht mehr gut handeln kann. "Wenn einer zehn Euro sagt, zahl ich zehn Euro. Das bin ich so gewohnt."

Die Molotowcocktails haben das Lebensgefühl der Yildirims, die längst deutsche Pässe haben, erschüttert. "Ich versteh mich doch gut mit den Nachbarn. Mit dem Oliver. Mit dem Bernd." Jetzt ist das Haus mit Eisengittern gesichert. Und mit Kameras. "Internetkameras", sagt Bayram Yildirim. "In der Zeitung haben wir immer wieder solche Sachen gelesen", sagt seine Frau. "Aber wenn man selbst betroffen ist, ist das kein schönes Gefühl.

Später, ganz in der Nähe der U-Bahn, dort wo die Hochhaussiedlungen anfangen, meint ein Mann in kurzen Hosen, Sandalen und weißen Strümpfen mit Bulldogge neben sich: "Nein, wir haben nichts gegen Ausländer. Aber zu viele dürfen es nicht werden." Einen, der so was sagt, findet man immer.

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