Die Briten spielen zwar nicht mit, aber: England wird Erster
EM-Favoriten sind diejenigen Mannschaften, die viele Spieler aus der Premier League im Aufgebot haben. Sie beherrschen den flinken Kombi-Kick.
SALZBURG taz Bei dieser Europameisterschaft kursiert unter Beobachtern eine aberwitzige These: Jenes Team gewinnt das Championat, das die meisten England-Legionäre in der Mannschaft hat. Damit wäre der Ausgang der Europameisterschaft vorherbestimmt. Portugals Kicker müssten den Pott relativ locker gewinnen, denn von ihnen spielen ab der kommenden Saison sieben Beteiligte auf der Insel - Trainer Luiz Felipe Scolari mit eingerechnet.
Vor allem der FC Chelsea London, den Scolari künftig betreuen wird, ist zu einer Filiale der Portugiesen geworden - mit Paulo Ferreira, José Bosingwa, Ricardo Carvalho und wohl auch Deco. Dazu kommen noch die Profis von Manchester United, Cristiano Ronaldo und Nani. Ergibt - den potenziellen Europameister.
Fakt ist, dass in der englischen Premier League der schnellste Fußball in Europa gespielt wird. Der Ball wird in Windeseile über das Spielfeld getragen. Das alte Kick and Rush, das spekulative Nach-vorn-Gebolze des Balles hat ausgedient, seit Jahren schon. In Mode ist ein flinker Kombinationskick; beim FC Arsenal London wird er in Perfektion inszeniert. Oder bei Manchester United und dem FC Liverpool, jenen drei Großvereinen, die die Liga nach Belieben dominieren. Sie tragen die Verantwortung für die Beschleunigung des Spiels, für die Gleichzeitigkeit von physischer Präsenz und technischer Raffinesse.
Kein Zweifel, in diesen Vereinen wird avantgardistischer Fußball gelehrt und zelebriert. Er ist der Maßstab für die (kontinental-)europäische Ballbewegung. Die Landesverbände können sich glücklich schätzen, wenn sie möglichst viele Insulaner in ihre Kader berufen können. Der deutsche Bundestrainer Joachim Löw kann da nur auf Michael Ballack als Feldspieler zurückgreifen. Zu wenig, um nach obiger These Europameister zu werden.
Waren es in den 90er-Jahren die Schule des AC Mailand und auch die von Ajax Amsterdam, die die kontinentalen Trends bestimmten, so ist es heute die Premier League mit ihrem Überangebot an europäischen Spitzenspielern, die eine bewundernswerte hegemoniale Stärke entwickelt. So ist England wenigstens ein bisschen präsent bei dieser Europameisterschaft.
Aber warum ist die englische Nationalmannschaft dann eigentlich nicht dabei, wenn doch die Liga so einzigartig ist? Ganz einfach: Die Engländer sind zu schwach, um gegen die Flut der Legionäre, die es des Geldes und der Meriten wegen auf die Insel zieht, zu bestehen. Der FC Arsenal beispielsweise hat in der vergangenen Saison immer wieder eine Startelf ohne einen einzigen Briten aufs Feld geschickt. Diese Verhältnisse tun der englischen Auswahl nicht gut.
Doch zurück zur These: Auf Platz zwei müsste nach unserer Rechnung die Niederlande landen, denn sie hat sechs Engländer nominiert: Edwin van der Sar (Manchester United), André Ooijer (Blackburn Rovers), Mario Melchiot (Wigan Athletic), Wilfried Bouma (Aston Villa), Robin van Persie (Arsenal London) und Dirk Kuyt (FC Liverpool). Mit Ruud van Nistelrooy und Arjen Robben gibt es noch zwei Kicker, die in England sozialisiert wurden - und das Gute des Fußballs in ihre Nationalteams tragen. Holland und Portugal sollten nach unserer These das Finale in Wien bestreiten, den besten Fußball haben sie ohnehin schon gezeigt.
Auf Platz drei landet übrigens Spanien. Fernando Torres, Xabi Alonso und Jose Manuel Reina (alle FC Liverpool) sowie Cesc Fabregas (Arsenal) setzen ein Zeichen der iberischen Öffnung nach außen. Spanien war sich oft selbst genug in der Vergangenheit, fußballerte solipsistisch dahin und kam nicht auf einen grünen Zweig. Die Infiltration mit "Engländern" könnte das entscheidend geändert haben.
Bleibt die Frage, was aus den Italienern wird? Aus im Viertelfinale. Sie kochen zu sehr im eigenen Sud. Kein italienischer Kicker betreibt aktuell auf der Insel Fußballspionage.
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