Fußballgucken in Kroatien: "Fick deine Mutter"
Beim Public Viewing in Kroatien brechen dank Viertelfinal-Aus gegen die Türkei altbekannte Konfliktlinien zwischen Christen und Muslimen, Kroaten und Bosniaken auf.
TROGIR taz Die Jungs beim Public Viewing in der dalmatinischen Hafenstadt Trogir sind von ihrer Mannschaft überzeugt: "Wir werden Europameister", skandieren sie. Seit Tagen hat die Medienmaschinerie den Sieg Kroatiens vorbereitet. Nach dem Spiel gegen Deutschland gab es ohnehin keine Zweifel mehr: "Wir sind die Besten." Überall weht die Sahovnica, die weiß-rote Schachbrettfahne, Autos sind mit ihr geschmückt und selbst modebewusste jungen Frauen haben sich T-Shirts in den Landesfarben zugelegt. Nur die Höhe des Siegs gegen die Türken scheint noch fraglich.
Finn und Christina sind Iren. Sie wollen im mittelalterlichen Zentrum die Stimmung beim Spiel Kroatien - Türkei genießen. Und auch andere Ausländer haben sich unter die Menge der mit Fahnen, Tröten und anderen Lärminstrumenten ausgestatteten kroatischen Fans gemischt. So ein Paar aus Norwegen, einige Deutsche und ein paar Bosniaken, die sich aber nicht zu erkennen geben. "Für die Kroaten sind wir doch die Türken", flüstert einer von ihnen.
Der irische Computerspezialist Finn ist der einzige Ausländer in einem kroatischen T-Shirt. Als strammer irischer Katholik hält der 35-Jährige zu den Kroaten: "Wir kleinen Länder müssen zusammenhalten." Dann erzählt er von seinem Besuch in der zwischen Kroaten und Bosniaken (Muslimen) geteilten bosnisch-herzegowinischen Stadt Mostar. Unter dem beifälligen Nicken der umstehenden Kroaten zieht er über die muslimischen Bosniaken her, macht die üblichen Muslimwitze und leckt sich seine linke Hand. Schwerlich ist ihm beizubringen, dass es seine katholischen Kroaten waren, die 1993 die berühmte Brücke in Mostar mit Artillerie zerstört haben. Er bleibt dabei: "Nein, das waren die Amerikaner."
Das Spiel hat begonnen und Finn schmeißt eine Runde Bier. Das Oooh und Uuuh der Menge begleitet die vertanen Chancen der eigenen Mannschaft. Die Deutschen frotzeln und wünschen sich einen kroatischen Sieg: "Dann wird es endlich zur Revanche kommen." Was Gelächter hervorruft. Die Kroaten zeigen mit den Fingern nur 2:1 in Richtung der Teutonen. Die Verlängerung beginnt, und endlich schießt Ivan Klasnic das 1:0. Die Menschen liegen sich in den Armen und bekommen gar nicht mit, dass die Türken kurz danach ausgleichen. Nur die Bosniaken bleiben ruhig. Erst als beim Elfmeterschießen die Türken in Führung gehen, wagt es einer zu klatschen. Was böse Blicke zur Folge hat. Aber nicht nur: "Fick deine Mutter" ist noch der harmloseste Fluch, der dem Dissidenten entgegengeschleudert wird.
Auch Finn ist enttäuscht. Doch der Traubenschnaps Loza und reichlich Bier lassen die Niederlage erträglicher erscheinen. Die Nachrichten berichten von militanten Auseinandersetzungen zwischen Kroaten und Bosniaken in Mostar. Den Bosniaken macht es offenbar Spaß, die für Kroatien fiebernden bosnischen Kroaten mit türkischen Fahnen zu provozieren. Am Telefon berichtet ein befreundeter Journalist, aus Spaß wäre Ernst geworden, er habe sogar ein paar Schüsse gehört, doch die Polizei sei präsent.
Auf dem Parkplatz will eine Gruppe Jugendlicher ihre Wut an einem geparkten Auto mit bosnischem Nummernschild auslassen. Schon hat ein Junge einen Stein in der Hand. Nur der Ruf des zufällig zurückkehrenden Wagenbesitzers hindert ihn daran, ihn zu werfen. Und es stellt sich heraus, dass dieser ein bosnischer Kroate ist. Jetzt hat sogar Finn die Nase voll. Das geht ihm doch zu weit. Und die Norweger fragen: "Was wäre in Mostar passiert, wenn die Kroaten gewonnen hätten?"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!