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Die gute alte GratispostkarteAlles drauf - bis auf die NPD

Der eine lebt von Gratispostkarten, der andere dafür: Ein Kartenverleger und ein Sammler erzählen eine Erfolgsgeschichte. Und die der Wandlung von der Kunst- zur Werbekarte.

... Rente geht. Gratispostkarten kann man auch online verschicken. Bild: cypost.de/culturtraeger.de

GRATISKARTENGESCHICHTE

Der Legende nach lag die erste Gratispostkarte Mitte der 80er auf der Theke eines Schuhgeschäfts in Barcelona. Inhaber Xavier Baque wollte damit für seinen Laden werben. Über Paris erreicht die grandiose Idee Anfang der 90er Berlin, dann die anderen deutschen Großstädte. Heute gibt es die Karten auch in China, Argentinien, den USA - überall die gleichen Ständer, überall Werbung und Kunst, manchmal auch Werbekunst. In Italien bringt Absolut Vodka pro Woche drei neue Werbemotive auf Postkarte heraus. Absolut-Karten sind die Sonderbriefmarken der Kartensammler.

Der Mann mag keine Postkarten. Michael Berninger sitzt an einem großen Kirschholztisch in seinem Büro im Leipziger Osten, streckt das Kreuz durch und sagt: "Ansichtskarten gehen gar nicht." Mit seinen rissigen Händen schubbert der 46-Jährige über die glatte Tischplatte und schiebt dabei ein paar Postkarten zu einem Haufen zusammen: "Und ich mag auch keine Sammler."

Jetzt ist es aber so, dass Michael Berninger, der irgendwann mal Bauingenieur studiert und bei der NVA gedient hat, Mitteldeutschland Woche für Woche mit Postkarten überschwemmt. Man muss sich über seine Sätze also einigermaßen wundern. Man stelle sich vor, der Chefredakteur einer Tageszeitung posaunte im Fernsehen heraus, er verachte Zeitungsabonnenten. Oder Hartmut Mehdorn verkündete, alle Bahn-Card-100-Inhaber seien ihm schnurz. Imageschaden, Kundenverlust, Rausschmiss, Skandal.

Michael Berninger macht sich über so etwas - wie man in Leipzig sagt - "keene Bladdä", keine Gedanken. Das Hauptprodukt seiner 1993 gegründeten Firma culturtraeger kostet ja schließlich nichts. Und was nichts kostet, kann man auch nicht nicht kaufen. Berningers Geschäft sind Gratispostkarten, Sammler die Kunden seiner Kunden. Verlieren wird er beide so schnell nicht.

Das Geschäft mit den Karten, die die Eingangsbereiche und Gänge zu den Toiletten in Bars, Restaurants und Clubs säumen, ist in Deutschland ein ziemlich einträgliches. Der Verband für Gratispostkartenverlage, City Cards, beherbergt unter seinem Dach 24 Einzelverlage, die in 81 Städten wöchentlich 300.000 Karten "stecken". So nennt die Branche das Einsortieren in die Kartenständer. Allein in Leipzig werden von culturtraeger an 600 Stellen 30.000 Karten pro Woche gesteckt. Für 223 Euro bekommt man bei Berninger eine Woche lang 1.500 Postkarten plus Verteilung plus Fotodokumentation der Steckung. So läuft das bei allen Anbietern.

Ein Mitarbeiter Berningers pirscht sich an den Kirschholztisch heran und schiebt einen grauen Notizzettel quer darüber. Als man ihn weiterreichen möchte, schießt Michael Berningers Hand über den Tisch: "Der ist für mich", bestimmt er, wirft schnell einen Blick auf das Papier und schiebt es unter den Haufen Postkarten vor sich. "35 Tonnen!", sagt er, "35 Tonnen Papier haben wir im Jahr 2007 verbraucht für unsere Postkarten - 7.782.000 gesteckte Karten." Und weil Berninger ein großer Seher ist, weiß er auch, was er nun sagen muss, um sein Gegenüber zu beruhigen: "Nein, ein ökologisches Gütesiegel haben wir nicht. Aber wir sammeln alles wieder ein, was nicht mitgenommen wurde, und führen es der Wiederverwertung zu." Die Jahresproduktion von Gratispostkarten allein von Berningers Firma würde reichen, um die 1.137 Kilometer lange Strecke von München nach London auf einer Breite von 10,5 Zentimetern mit Postkarten auszulegen. Oder um die Spielfelder in 17 von 18 Bundesligastadien zu bedecken.

Michael Berninger ist Mitglied bei den Grünen, starker Realo-Verdacht, zumal mit seinem Loha-Outfit. In sein Firmenhandbuch hat er den ambitionierten Satz "Wir treten für Nachhaltigkeit in der Gesellschaft ein" geschrieben: "Das beinhaltet einen sparsamen Einsatz von Ressourcen." 35 Tonnen Papier pro Jahr. Das soll sparsam sein? Der Bundestag verschleudert im selben Zeitraum "nur" 437,5 Tonnen, für ein ganzes Land. Schulkinder schreiben auf Umweltpapier, kann man das mit Postkarten nicht auch machen? "Nein, selbst das teuerste Umweltpapier ist nicht gut genug, wenn man qualitativ hochwertige Karten produzieren will", sagt Berninger und zuckt mit den Schultern.

Für die Kunst ist er bereit, seine grünen Überzeugungen großzügig auszulegen. Und dass seine Karten Kunst sind, steht für Berninger außer Frage. Weil es in Mitteldeutschland so wenig Einzelhandel gebe, hätten sie sich bei culturtraeger auf Kunstkarten spezialisiert, sagt er. Werbung für Galerien, Gedichte unbekannter Lyriker, Bilder unentdeckter Maler, alles, was nicht auf Vorder- und Rückseite schreie: "Kauf! Mich!" Sondern: "Nimm! Mich! Mit! Du! Kannst! Mich! Brauchen!" Im Westen sei das anders, behauptet er, weil es dort einfach mehr Werbung gebe.

Berninger sieht sich folgerichtig als Teil der Kunst-, nicht der Werbeszene. Künstler zahlen deshalb bei ihm für ihre Karten weniger als die Werbekunden, die mit den leicht höheren Preisen die Künstler indirekt subventionieren. Im Gegenzug betten sich Kunden wie afri-cola oder Absolut Vodka in ein angenehmes Umfeld aus Kunstdrucken und manchmal verquerer Anfängerprosa. Nur einem Kunden erlaubte die Firma bislang nicht, ihre Botschaft auf den Karten zu veröffentlichen: der NPD.

Gratispostkarten gehören zu den sogenannten Ambientmedia, was man besser nicht übersetzt, sondern erklärt: Medien, die sich nicht aufdrängen, sondern einfach da sind. Wie Lounge-Musik. Wenn man will, geht man dran vorbei. Oder aber man steckt ein paar Karten ein. Verschickt sie, bastelt CD-Cover daraus oder tapeziert ganze WG-Küchen damit. Egal, wie die Karten verwendet werden: Die Botschaft kommt an. Eine Studie im Auftrag des Verbands der Gratispostkartenverlage aus dem Jahr 2003 spricht den Gratispostkarten für die Werbewirtschaft verlockende Fähigkeiten zu. Natürlich. Unter allen Medien in der Gastroszene habe es in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen den höchsten Sympathiewert, vor den früher einmal so beliebten Bierdeckeln. 7,02 Karten wurden laut Studie 2003 im Schnitt von jeder Person entnommen, und das während der etwas mehr als zwei Stunden, die die 1.043 Befragten täglich außer Haus an Orten verbringen, wo die Karten ausliegen.

Michael Berninger wedelt mit einer Postkarte. "Das ist Penetrierung. Das ist Deutschland", ruft er: "Penetrierung! Penetrierung!" Und noch einmal: "Pe-ne-trie-rung!" Auf der Vorderseite der Karte ist die Flasche eines ostdeutschen Colaproduzenten zu sehen, dazu ein paar Sprüche, auf der Rückseite bleibt kaum ein Fleck weiß. Berninger hört gar nicht mehr auf zu ätzen: "Erschlag den Kunden, bis er es weiß!" Die Colakarte fliegt auf den Tisch. Karten, die hinten bedruckt sind, werden seltener entnommen: "10 Prozent weniger! Gut gemachte Karten dagegen werden auch tatsächlich verschickt." Und was ist gut gemacht? "Dumme Sprüche gehen immer." Mehr nicht? "Was draufschreiben sollte man können!"

Holger Scheerschmidt ist einer der Menschen, die Michael Berninger verachtet. Der 47 Jahre alte Kartograf der Staatsbibliothek Berlin sitzt im Vorstand des Sammlervereins "Edgar, der Verein". In seiner Vierzimmerwohnung in Alt-Hohenschönhausen hat er seinem Hobby ein 12 Quadratmeter kleines Zimmer reserviert. "Seit die Kinder raus sind", sagt er, habe er ja mehr Platz, und da habe er eben das Kinderzimmer zum Vereinsbüro umfunktioniert. 80 Mitglieder versorgt Scheerschmidt von hier aus regelmäßig mit den neuesten Karten der Marke Edgar. Sortiert, wie die "Stecker" der Firmen, die Karten in die 80 mit Namen versehenen Fächer der Mitglieder, und wenn sie voll sind, geht die Post ab. Manchmal, wenn ihm seine Kontaktfrau bei Edgar neue Karten schickt, sagt Scheerschmidt, muss der Postbote "12 janz schön schwere Kisten schleppen". Es freut ihn diebisch.

Seine erste Gratispostkarte, überlegt Scheerschmidt, "ja, das muss 1995 gewesen sein." Die Deutsche Post hatte damals kostenlose Karten herausgegeben, mit denen sie für sich und andere warb. "Nummern hatten die Karten", sagt Scheerschmidt, und Nummern, das weiß man, fixen Sammler an. Auch Edgar-Karten haben Nummern. 10.700 verschiedene, "na ja, netto sind das vielleicht 10.100, bei den Doppelungen und Neuauflagen", erklärt Scheerschmidt. 10.000 davon lagern, säuberlich in Alben einsortiert, in seinem Vereinsbüro. Wenn es am Wochenende durchregnet, sagt Holger Scheerschmidt, komme er aus dem Zimmer kaum raus. Sortieren, gucken, sortieren - ein Sammler hat viel zu tun.

Als er zu sammeln begann, unterstützte die Firma, ähnlich wie culturtraeger aus Leipzig, noch junge Künstler mit den Karten. "Heute sehen die Karten ja eher wie Flyer aus", findet er. Keine schöne Entwicklung sei das. Manche Mitglieder hätten deswegen mit dem Sammeln aufgehört und seien ausgetreten. Alle zwei Wochen trifft sich Scheerschmidt noch mit den Berliner Mitgliedern seines Vereins zum Kartentausch, mit einer Frau aus den Niederlanden unterhält er eine Art Tauschbrieffreundschaft. Sie schickt ihm holländische Karten, er ihr deutsche. Holländische haben ein anderes Format. Die Pakete erfreuen Scheerschmidt, aber nicht seinen Postboten.

Und natürlich werden die Karten auch bei eBay gehandelt. Die meisten gehen für einen Euro oder zwei weg. Nur einmal wechselte eine Karte mit dem Aufdruck "On Friday" für 1.000 Euro den Besitzer. "So etwas", sagt Scheerschmidt, "würde ich nicht machen."

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