Nach der Verhaftung Radovan Karadzics: Randale und Auslieferung
In Belgrad randalieren 250 Anhänger Karadzics - und wenden sich gegen die Verhaftung. Derweil ordnet ein Richter die Auslieferung an. Karadzic will sich dagegen wehren.
BELGRAD/BERLIN taz Es war klar, dass längst nicht alle Serben die Verhaftung von Radovan Karadzic gutheißen. Und so randalierten am Dienstagabend etwa 250 meist junge Demonstranten in Belgrad am Platz der Republik - trotz eines Verbots. Mit Stühlen und Flaschen griffen sie an.
Derweil ordnete ein serbischer Richter die Auslieferung Karadzics an das UN-Kriegsverbrechertribunal an. Dort soll ihm wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Prozess gemacht werden.
Der Anwalt von Karadzics will jedoch gegen die Auslieferung vorgehen, auch wenn er nicht an einen Erfolg seines Begehrens glaubt. "Ich will die Pläne, ihn auzuliefern, stören", erklärte der Anwalt Svetozar Vujacic der BBC. Am Freitag will er seinen Widerspruch einlegen. Dennoch könnte eine Auslieferung schnell passieren. Die nötigen rechtlichen Schritte, einschließlich der Bestätigung der Auslieferung durch ein weiteres serbisches Gremium, könnten schon in ein paar Tagen erledigt sein.
Fast so sensationell wie die Festnahme von Radovan Karadzic war am Dienstagmorgen das rätsel, wie sich der mutmaßliche Kriegsverbrecher so lange verstecken konnte.
Der Sonderstaatsanwalt der serbischen Geheimdienste, Vladimir Vukcevic, und der Vorsitzende des serbischen Nationalrates für die Zusammenarbeit mit dem UN-Tribunal für Kriegsverbrechen, Rasim Ljajic, teilten dies mit: Karadzic lebte unter dem Namen Dragan Dabic in Belgrad, er hatte sich völlig frei bewegen können und sogar als Arzt in einer privaten Praxis für alternative Medizin gearbeitet.
Wie das möglich war, illustrierten die Ermittler mit einem Foto, das zeigt, wie Karadzic heute aussieht: Abgemagert, mit Brille, weißem Haar und einem weißen Vollbart. Wie ein Weihnachtsmann in einer Hollywoodproduktion. Keine Spur vom finsteren Kriegsherrn der bosnischen Serben, wie man ihn von den Steckbriefen kennt.
Wie die Zeitung Danas berichtete, habe Karadzic oft in seinem Wohnviertel in Neu Belgrad im Cafe unter einem seiner alten Porträt-Fotos gesessen - ohne erkannt zu werden.
Karadzic wird vor allem vorgeworfen, für das Massaker von Srebrenica verantwortlich zu sein. Dort wurden im Juli 1995 rund 5.000 Muslime ermordet. Bei der 43-monatigen Belagerung Sarajevos habe es Karadzic durch Bombardierung und Heckenschützen darauf abgesehen, die Bevölkerung zu terrorisieren, so die UN. Ihm werden Geschehnisse im Bosnienkrieg angelastet, bei denen 200.000 Menschen umgebracht wurden.
Auf die Frage, wie man Karadzic trotz seiner Tarnung und falscher Identität nach über einem Jahrzehnt aufspüren konnte, wollte Vukcevic keine Antwort geben: "Haben Sie bitte Verständnis, die operativen Erkenntnisse sind wichtig für die Festnahme der verbliebenen zwei wegen Kriegsverbrechen angeklagten Flüchtigen", erklärte der Staatsanwalt. Nach Karadzic befinden sich noch der serbisch-bosnische Exgeneral Ratko Mladic und einer der Führer der Serben in Kroatien, Goran Hadzic auf freiem Fuß.
Die Fortsetzung der Integration Serbiens in die EU verknüpft sich in erster Linie mit der Auslieferung des in Serbien vermuteten General Mladic. Für die Festnahme von Karadzic waren die bosnischen Behörden und die internationale Friedenstruppe zuständig. Dass serbische Behörden Karadzic verhaftet hätten, zeige nun die kompromisslose Bereitschaft der neuen serbischen proeuropäischen Regierung, Konflikte mit dem UN-Tribunal aus der Welt zu schaffen, meinen Analytiker.
Knapp zwei Wochen nach ihrer Bildung ist der serbischen Regierung so ein Durchbruch in der Zusammenarbeit mit dem UN-Tribunal gelungen. Seit der demokratischen Wende vor acht Jahren sind die Beziehungen mit dem Westen belastete. Die um Präsident Boris Tadic versammelten regierenden Parteien setzen alles auf die eine Karte: eine schnelle Integration in die EU. Die politische Existenz der Koalitionsregierung wird von raschen Ergebnissen abhängig gemacht.
Im serbischen Außenministerium herrscht die Überzeugung vor, dass mit der Auslieferung von Karadzic die Voraussetzung geschaffen worden ist, dass EU-Staaten das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Serbien ratifizieren. Einzelne Regierungsvertreter rechnen gar mit EU-Kandidatenstatus für Serbien bis zum Jahresende. In diesem Zusammenhang wurde das innenpolitische Risiko rund um die Verhaftung von Karadzic als nicht all zu hoch eingestuft.
Proeuropäische Parteien begrüßten die Festnahme von Karadzic als eine politische Notwendigkeit. "Das ist fürchterlich", brüllte dagegen der Generalsekretär der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS), Aleksandar Vucic. Der nächste Gefallen, den Tadic dem Westen machen würde, würde die serbische Anerkennung des Kosovos sein. Tadic habe alles getan, damit Serbien und die Menschen, die den Patriotismus symbolisierten, verschwinden. Auf den Straßen Belgrads zeigten sich nur vereinzelt Demonstranten, ansonsten blieb es ruhig.
In der Festnahme von Karadzic sehen bürgerliche Gruppen eine Chance: "Vergangenheitsbewältigung" sei die "Voraussetzung dafür, dass Serbien vorankommt", verkündete so die Liberaldemokratische Partei (LDP).
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