piwik no script img

Pekinger Protest-ParksProtestieren kostet Eintritt

Auf dem Tiananmen-Platz werden Demonstranten sofort einkassiert, drei Pekinger Parks sind jedoch für Protest freigegeben. Offiziell. In Wirklichkeit herrscht dort himmlische Ruhe.

Himmlische Ruhe, perfekte Symmetrie: hier im Ritan Park darf theoretisch protestiert werden. Bild: Reuters

PEKING taz Nach dem heftigen Regen der Nacht ist die Hitze verflogen. Ein angenehmer Wind lässt die Fahnen am Montagvormittag auf dem Tiananmen-Platz in Peking flattern. Familien wandern mit ihren Kindern umher. Die Mädchen tragen Schleifchen im Haar und Sonnenhütchen. Es sind Touristen aus allen Teilen Chinas, wie ihre Stimmen verraten, wenn sie sich aufgeregt die Sehenswürdigkeiten auf und um den Platz erklären.

DIE PROTESTREGELN

So demonstrieren Sie legal bei den Spielen in Peking:

1. Demonstrationen dürfen sich nicht gegen die chinesische Verfassung richten.

2. Proteste müssen fünf Tage im Voraus bei der Visa-Stelle der Pekinger Polizei beantragt werden. Die Polizei gibt dann über die Genehmigung Bescheid. Keine Benachrichtigung gilt auch als Genehmigung. Persönliche Daten, der Zweck, die Route und die Anzahl der Teilnehmer sind anzugeben. Als Ausländer muss alles auf Chinesisch und Englisch eingereicht werden.

3. Demonstrieren darf man während der Spiele nur in drei Parks (im Ritan-Park und auf Grünflächen der Stadtteile Fengtai und Haidian). Illegale Proteste werden strafrechtlich verfolgt.

4. Demonstrationen und Proteste im olympischen Dorf und in den Sportstätten sind nicht gestattet.

5. Chinesische Nationalsymbole dürfen nicht verbrannt oder anderweitig zerstört werden.

6. Das Zeigen von Tibet-Flaggen ist auch verboten und wird von den Behörden bestraft. RH

Sie posieren vor dem Pekinger Olympia-Logo aus Blütengestecken und vor dem Tor des Himmlischen Friedens mit dem Mao-Bild. Sie halten die Finger zum V in die Höhe, dem internationalen Zeichen für Erfolg. Enkel betteln ihre Großeltern an, ihnen ein Chinafähnchen zu kaufen oder ein Stirnband mit der Aufschrift: "China voran - China siegt". Mütter patschen ihren Söhnen Herzchenaufkleber mit dem Slogan "I love China" auf die Wangen.

Die Stimmung auf dem Platz, der als idealer Ort für Demonstrationen angesehen wird, ist locker und fröhlich - trotz der vielen Bewacher, die aufpassen, dass niemand etwas Verbotenes tut. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Sicherheitsleute relativ zurückhaltend arbeiten: Wer das riesige Areal betreten will, muss seine Tasche durch eine Sicherheitsschleuse schieben, das geht schnell und stört niemanden. Wer ein Plakat, ein Transparent, eine Fahne unter dem Hemd versteckt, hat große Chancen, nicht entdeckt zu werden.

Nur wenige Soldaten und Polizisten sind zu sehen. Allerdings schieben sich viele Beamte in Zivil durch die Menge, als Touristen getarnt. Sie fallen nicht weiter auf, wenn sie ihre Umgebung filmen. Ansonsten sind auf den Platz hunderte von Kameras gerichtet, die jede verdächtige Bewegung registrieren. Demonstrationen dauern deshalb nur wenige Sekunden. Für die Einkassierten stehen Polizeiwagen und dunkle Limousinen bereit.

Ohnehin ist es wohl ein Irrtum, zu glauben, dass Proteste gegen die Politik der Regierung - vor allem von Ausländern - derzeit viel Sympathie bei den Einheimischen finden. Das erfuhren Gruppen internationaler Tibetaktivisten, die am vergangenen Wochenende auf dem Platz Transparente für ein "Freies Tibet" entrollten und schon nach Minuten abgeführt wurden. Dabei bekamen einige von ihnen es allerdings nicht nur mit der Polizei zu tun, sondern auch mit chinesischen Passanten. Die brachten offenbar kein Verständnis dafür auf, dass Ausländer sich in die "inneren Angelegenheiten Chinas" einmischten. Einer warf eine Wasserflasche auf die Demonstranten.

Wer auf dem Platz spaziert, ist wie die Familie Sun aus der östlichen Küstenprovinz Zhejiang stolz und neugierig ins olympische Peking gereist und will mit Politik nichts zu tun haben. Sie möchten sich etwas gönnen. Die Suns haben zwar kein Ticket für die Spiele bekommen, aber sie finden "es schon toll, die Atmosphäre zu schnuppern".

Proteste während der Spiele sind allerdings nicht generell verboten. Die Behörden haben drei Parks von Peking für Proteste freigegeben. Einer liegt im Norden, einer im Osten und einer im Südwesten der Stadt. Jeder Protest muss fünf Tage vorher schriftlich bei der Polizei eingereicht werden. Für Ausländer ist die Visabehörde zuständig. Der exotischste der drei Plätze ist der Pekinger "Weltpark": ein riesiges Areal von fast 47 Hektar Größe, 16 Kilometer südwestlich vom Tiananmen-Platz. Er gehört zu den weniger bekannten Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt. Der Eintritt kostet 65 Yuan (rund sechs Euro), eine teure Angelegenheit für Familien.

Aber es ist schön ruhig dort, und die Besucher können sich mit ein wenig Fantasie in eine andere Welt versetzen. Denn im Park stehen Miniaturen aller großer Bauwerke der Welt: der Taj Mahal, die Oper von Sydney, der Tempel von Angkor Wat, der Eiffelturm. Ein echter Elefant hebt Touristinnen mit dem Rüssel in die Luft. Und wo darf demonstriert werden? In Klein-Indien, in Mini-Europa, im Modell-Japan? Parkfunktionär Liu Huiming, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, kann diese Frage nicht beantworten. "Damit haben wir nichts zu tun." Das regele allein die Polizei. "Die organisiert alles für die Protestierenden und führt sie dorthin, wo sie es für richtig hält", sagt Liu freundlich. Gemeldet habe sich noch niemand, fügt er hinzu.

Für den Fall der Fälle ist sein Park allerdings doch gerüstet: Dutzende Soldaten in Zivil, alle mit einer roten Baseballkappe, rosa Poloshirt, Khakihosen und Sportschuhen gekleidet, wandern herum. Vor dem Eingang stehen weitere Herren im dunklen Hemd und filmen jeden, der verdächtig erscheint. "Kommen Sie bald wieder", sagt eine Aufseherin lächelnd. JUTTA LIETSCH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!