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Kommentar Hau-den-Hartz-IV-EmpfängerWohlfeiles Draufschlagen

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Mit seiner Ankündigung, Hartz IV-Empfänger verstärkt zu kontrollieren, ist der SPD-Arbeitsminister Olaf Scholz noch unter Bild-Zeitungsniveau gesunken.

G ehts noch populistischer als die Bild-Zeitung? Durchaus. Arbeitsminister Olaf Scholz hat es geschafft, die Hetze gegen Hartz-IV-Empfänger auf ein neues Niveau zu heben. Sein neuester Vorschlag in den Medien: Er will den Zoll besser ausstatten, um "noch effizienter" die Schwarzarbeit aufzudecken. Langzeitarbeitslose, so wird suggeriert, täuschten ihre Erwerbslosigkeit nur vor, um den Sozialstaat auszubeuten. Flugs wird die Massenarbeitslosigkeit zu einer optischen Täuschung: Eigentlich seien die meisten beschäftigt - nur eben allzu viele schwarz.

taz

Ulrike Herrmann ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz.

Scholz tut so, als würde Schwarzarbeit bisher nur ungenügend verfolgt: Tatsächlich sind damit jedoch 6.500 Zollbeamte beschäftigt. Im letzten Jahr prüften sie rund 477.000 Arbeitnehmer und ermittelten einen Schaden für den Staat von 600 Millionen Euro. "Wow, ist das viel"!, könnte man denken. In Wahrheit handelt es sich aber um eine relativ lächerliche Summe, wie ein Vergleich zeigt: An Steuern werden jährlich 30 Milliarden Euro hinterzogen. Doch dieser riesigen Schattenwirtschaft widmen sich bundesweit nur 2.600 Steuerfahnder, obwohl jeder Einzelne von ihnen 1,5 Millionen Euro für den Staat erwirtschaftet. Ein Zollfahnder gegen Schwarzarbeit bringt es nur auf einen Bruchteil dieser Summe. Wenn Scholz die Bürokratie aufblähen will, dann wäre es weitaus lukrativer, Steuerfahnder einzustellen.

Zudem, so zeigt sich immer wieder, ist die Schwarzarbeit keineswegs eine Spezialität von Langzeitarbeitslosen. Die Schattenwirtschaft findet meist "nebenher" statt: Handwerksmeister rechnen nicht jede Leistung ab, Taxifahrer nicht jede Fahrt. Hartz-IV-Empfänger sind dagegen harmlos. Aber sie sind bequeme Opfer, die gegen jede populistische Unterstellung wehrlos sind.

In dieses Muster passt auch der zweite Vorschlag von Scholz, die Krankmeldungen der Langzeitarbeitslosen stärker zu überprüfen. Wieder wird unterstellt, dass Hartz-IV-Empfänger mogeln. Dennoch dürfte sich diese Scholz-Idee in der Regierung nicht durchsetzen. Denn es ist durchaus praktisch, wenn möglichst viele Langzeitarbeitslose durch Krankheit verhindert sind: Sie verschwinden aus der Arbeitslosenstatistik.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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6 Kommentare

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  • M
    MANU

    Warum hetzen plötzlich diverse Medien gegen Hartz IV Empfänger / Opfer??

    Vielleicht gibt es eine Erklärung.

    Die Arbeitgeberverbände versuchen, Mindestlöhne auszuhebeln, um die Gewínne der Unternehmen weiter und weiter zu steigern, denn die Lohnkosten sínd ein fetter Brocken in der Bilanz. Eine gute Maßnahme hierzu ist, Billiglohnjobs bis runter zu ein Euro Jobs als notwendig für die Globalisierung und die wirtschaftlichen Abläufe zu erklären.

    Es wird aber schwierig, Billiglohnjobs der untersten Kategorie zu verteidigen, wenn der Staat den Arbeitslosen ein Existenzminimum zugesteht, welches über diesen Sklavenjobs liegt.

    Also muss man dieses Hartz IV "Einkommen" als völlig überzogen darstellen.

    Es ist eine Kampagne von den Arbeitgeberverbänden, der INSM, den Wirtschaftsblättchen und der BLÖD, welche versuchen, Hartz IV Empfänger zu Außenseitern zu machen , welche sie aber nicht sind. Wir wissen, warum unsere Arnbeitslosen keinen Job haben!

  • E
    ennzo

    Wie funktioniert nochmal Rassismus und Faschismus?

     

    Eine beliebige Gruppe von Menschen wird diffamiert und entrechtet und müssen dann als Sündenböcke für alles unmögliche herhalten. In unserem Land nicht möglich?

    Wer dieser Meinung ist sollte nicht versäumen die Veröffentlichung von Prof. Dr. rer. pol. Michael Wolf http://www.linksnet.de/de/artikel/23373 zu lesen, lohnt sich, versprochen!

     

    Nicht, daß danach wieder behauptet wird, davon haben wir nichts gewußt.

  • C
    cassis

    Die wahre Arbeitslosigkeit erkennt man schon längst nicht mehr an der offiziellen Arbeitslosenstatistik, sondern an den Zahlen bezüglich der Hartz IV Bezieher.

    Z.B. gilt man mit einem 15-Stunden-wöchentlich-Job nicht mehr als arbeitslos. Von den ganzen anderen Tricks ganz zu schweigen. Wer ein unbezahltes Praktikum macht, wer in einer Maßnahme steckt, wer einen 1-€-Job hat etc. gilt nicht als arbeitslos oder alo, wie die BAlos sagen.

    Wenn einer aber Hartz IV beziehen muss, hat zu wenig Arbeit und Lohn, um davon zu leben.

    Ich kann mit Niebel, und der ist ja ein alter Hase im Bundesagenturgeschäft, nur sagen: Hau wech den Scheiss! Bedingungsloses Grundeinkommen her!

  • N
    Nadi

    Es geht Scholz darum, eine Diskussion um Arbeitslosengeld II (Hartz IV) zu ersticken. In mehreren Berichten wurde skandalöse Zustände aufgedeckt. Um den 1-EURO-Job hat sich eine Abzockerstruktur gebildet, die nur einsackt, aber weder qualifiziert nocht die Arbeitslosen fit macht. In den Job-Centern wird gemobbt, verweigert, aber nicht vermittelt. Ein Vermittler (nach einer Studie) würde 22,1 Jahre brauchen, um 270 Leute zu vermitteln. Da die meisten neuen Mitarbeiter der ARGE aus der Zeit- und Leiharbeitsbranche kommen, stellt sich die Frage, was diese Menschen an Qualifikationen mitbringen? Offenbar nicht die richtigen für die Gruppe der ALG II-Beziehern. Gerüchten zu Folge will Scholz aber genau von denen 4000 bis 5000 Personen einstellen - unbefristet.

    Da kommt Scholz diese Kampagne und diese Studie (wer hat die eigentlich bezahlt?) ganz recht: Er lenkt geschickt ab und ändert die Verfassung, damit die Argbeitsgemeinschaft II. Sozialgesetzbuch (ARGE) weiter bestehen kann. Die müsste nämlich aufgelöst werden, weil sie der Verfassung nicht entspricht. Scholz spielt ein dämmliches Spiel und das wird sich für ihn und die SPD auch bald rächen. Aber fürs erste treibt er die Bunte Hartz-Betrüger-Sau durchs Dorf. Wahrscheinlich hängen da auch PR-Agenturen drin, die das finanzieren oder steuern. Hartz kreiert nämlich Jobs in dieser Branche...

  • G
    Gabi

    Vorsicht, Ironie kommt:

    Es ist ja schon lange fällig, dass man die Sozialleistungen dem Lohndumping anpasst!

  • K
    Kasulke

    Es ist mittlerweile schier unerträglich, was Menschen am untersten Existenzminimum sich noch alles bieten lassen müssen. Motto, liegst Du erst am Boden, darf jeder verbal auf dir herumtrampeln.

    Es ist zum Kotzen!

    Wer schützt Hartz IV Empfänger eigentlich vor diesen Hasspredigern ???

    Soziale Ächtung aus allen Ecken, ja, geht's noch ?!

    Reichen Kinderarmut, Eltern die am sozialen u. kulturellen Leben nicht mehr teilnehmen können mit ihren Familien, oder verarmte Rentner die ihr Leben lang gearbeitet haben u. im Alter trotzdem arm sind denn immer noch nicht ?!?

    Das sind die Ergebnisse verfehlter Reformpolitik u. ich hoffe stark, daß diese Leute sich am Wahltag bei den selbstgerechten Taschenvollstopfern mit der Wahlstimme rächen werden.

    Weg mit Hartz IV, runter mit den Steuern, runter mit dem Rentenalter, rauf mit den Renten u. endlich eine Einführung der Maschinensteuer.

    Dann gibt es endlich mehr Freizeit für alle u. auch mehr Geld !!!