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Türkei darf kämpfenFreibrief für türkische Armee im Irak

Das Parlament erlaubt dem Militär, die kurdische PKK auch im Nachbarland zu bekämpfen. Aus der geplanten politischen Annäherung wird erst einmal nichts.

Ministerpräsident Erdogan droht der kurdischen Regionalregierung mit einem neuen Einmarsch. Bild: dpa

Am Mittwochnachmittag hat die türkische Nationalversammlung damit begonnen, über eine Ermächtigung für die Armee zur Bekämpfung der kurdischen PKK Guerilla auch im Nachbarland Irak zu diskutieren. Einen entsprechenden Beschluss hatte das Parlament bereits einmal befristet für ein Jahr erteilt. Er soll nun verlängert werden. Insbesondere nach dem schweren Angriff der PKK auf einen Militärposten unweit der Grenze, bei dem am Wochenende 15 Soldaten getötet wurden, gilt die Zustimmung im Parlament als sicher. Lediglich die prokurdische Partei DTP hat sich gegen Angriffe im Nordirak ausgesprochen.

Seit dem Wochenende wird bereits wieder heftig über eine neue Bodenoperation im Nordirak spekuliert. Die rechtsradikale Opposition drängt massiv darauf. Auch Ministerpräsident Tayyip Erdogan drohte der kurdischen Regionalregierung in Erbil mit einem neuen Einmarsch, wenn sie nicht wirksam im Kampf gegen die PKK kooperieren würde. Es sei ein Unding, dass es der PKK immer noch möglich ist, die Infrastruktur Nordiraks zu nutzen, um die Türkei anzugreifen.

Mit dem Angriff der PKK, bei dem die Guerilla auch Raketenwerfer von Stellungen auf nordirakischem Territorium genutzt haben soll, wird eine politische Annäherung zwischen Ankara und den Kurden im Nordirak erst einmal wieder ins Hintertreffen geraten. Dabei hatten sich der türkische Präsident Abdullah Gül und der irakische Präsident Dschalal Talabani, ein Kurde, erst kürzlich am Rande der UNO-Vollversammlung getroffen und einen Besuch Güls in Bagdad vereinbart. Angeblich war dabei auch von einem Abstecher Güls ins kurdische Erbil gesprochen worden, durch den eine neue Phase in den türkisch-kurdischen Beziehungen eingeläutet werden sollte.

Daraus wird nun erst einmal nichts. Stattdessen rücken Militär und innere Repressionsmaßnahmen wieder in den Vordergrund. Im Vorfeld der Parlamentsdebatte war die Rede davon, dass vor sieben Jahren aufgehobene Kriegsrecht in den Provinzen entlang der irakisch-türkischen Grenze wieder einzuführen. Damit würden die demokratischen Rechte der dort lebenden kurdischen Bevölkerung massiv eingeschränkt. Dazu kommt, dass das Verfassungsgericht im November über den Verbotsantrag gegen die einzige legale prokurdische Partei entscheiden wird, die mit 21 Abgeordneten im Parlament vertreten ist. Der DTP wird vorgeworfen, sich nicht eindeutig von der PKK zu distanzieren. Angesichts der derzeitigen nationalistischen, antikurdischen Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung und des politischen Establishments gilt ein Verbot als sehr wahrscheinlich.

Mit der neuerlichen Ermächtigung, die einer Aufforderung des Parlaments an die Armee zu handeln gleichkommt, werden nun wohl zum zweiten Mal seit Februar in den kommenden Wochen türkische Truppen in größerem Umfang die Grenze zum Nordirak überschreiten.

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3 Kommentare

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  • W
    www.beyazrenkler.org

    Zumindest ein Teil der türkischen Gesellschaft hat kein Vertrauen in sie, und es ist der Erdogan-Regierung bis heute, auch nach sechs Jahren des Regierens, nicht gelungen, diese Bevölkerungsgruppe, die etwa einen Drittel der türkischen Gesellschaft ausmacht, von der Integrität ihrer Absichten zu überzeugen.

     

    Solange das so ist, wird der Druck auf den Muslimen bleiben. Das ist auch gut so. Denn die Beweislast, dass eine muslimische Glaubensüberzeugung mit der offenen Gesellschaft und der Demokratie vereinbar ist, muss von den Muslimen erbracht werden. Vor allem im Alltagsleben sind noch viele offene Fragen.

     

    Warum konzentrieren sich die Bürgermeister der AKP immer wieder auf Erziehungsaufgaben, die eindeutig muslimischer Prägung sind, wie Alkoholverbote und Geschlechtersegregation? Wie viel Einfluss haben die religiösen Orden, die vom Hintergrund aus operieren, auf Bürokraten der Regierungspartei? Warum ist es bisher nicht gelungen, die Versuche zur Reform der islamischen Religion, die an der theologischen Fakultät in Ankara seit Generationen unternommen werden, populärer zu machen?

     

    Auch der Dialog mit der liberalen alewitischen Glaubensgemeinschaft ist ins Stocken geraten. All diese Fragen zeigen, dass es in der Türkei um mehr geht als nur um Kopftücher an den Universitäten.

     

    Es geht um die Grundorientierung der Gesellschaft. Und auch darum, ob die Ideen der Aufklärung einen universellen Charakter besitzen. Allerdings hat man nicht den Eindruck, dass dies in Europa auch immer so verstanden wird.

  • E
    Eddie

    Das Mandat für die Armee der Türken war kurz vor dem ablaufen. Ohne einen gezielten Angriff, kurz vor der Zeit bevor die türkische Regierung über eine Fortführung oder Beendigung des Mandates diskutieren wollte, wäre eine Durchsetztung des Madats der türkischen Armee überregional in den Nordirak einzugreifen nicht einfach zu ermöglichen gewesen.

    Der Grund für den Angriff zu diesem Zeitpunkt liegt doch offensichtlich auf der Hand.

    Und wie kann eine demokratische Partei (DTP) sich nicht eindeutig von terroristischen Aktivitäten (egal welcher Art) offen distanzieren.

    Die Leidtragenden sind mal wieder (wie schon seit mehr als 2 Jahrzehnten) das kurdische Volk im südosten der Türkei.

    Kaum ist man der Meinung der Konflikt könnte ein Ende haben wird man eines besseren belehrt.

    Wann wird das endlich aufhören.

  • V
    vic

    Truppeneinmarsch. Einer mehr.

    Bomben haben noch immer geholfen wie man weiß, und im Irak kommt`s wohl nicht mehr drauf an oder wie?

    Rechtsradikale und USA freuen sich.

    Iraks Volk sind die Leidtragenden, wie gewohnt.