Gefechte mit PKK: Türkei diskutiert neuen Irak-Einmarsch
Bei einem Angriff der PKK auf einen Polizeiposten werden 15 Soldaten und 23 Guerillakämpfer getötet. Die Zusammenstöße werden mehr und mehr zu einem latent ethnischen Konflikt.
Nach Monaten relativer Ruhe an der türkisch-nordirakischen Grenze kam es an diesem Wochenende wieder zu heftigen Gefechten zwischen der kurdischen Guerilla PKK und der Armee. Am Samstag im Morgengrauen griffen nach Armeeangaben rund 150 PKKler einen Gendarmeriestützpunkt in Aktütün, einem kleinem Ort vier Kilometer von der irakischen Grenze entfernt, an. Es kam zu stundenlangen Schießereien, bei denen 15 Soldaten getötet und weitere 20 zum Teil schwer verletzt wurden. Nach offiziellen Angaben wurden mindestens 23 Angreifer der PKK erschossen. Aktütün ist ein exponierter Posten in den Bergen, der in den letzten zehn Jahren bereits viermal von der PKK angegriffen worden war, wobei insgesamt 44 Soldaten starben.
Der Zwischenfall ist der schwerste in diesem Jahr und alarmierte den Generalstab und die politische Führung. Ministerpräsident Tayyip Erdogan brach einen Besuch in Turkmenistan ab, Staatspräsident Abdullah Gül trat eine geplante Reise nach Frankreich erst gar nicht an. Stattdessen diskutierte der Sicherheitsrat über eine erneute mögliche Bodenoperation im Nordirak. In zwei Tagen wird das Parlament entscheiden, ob die vor einem Jahr erteilte Erlaubnis für grenzüberschreitende Aktionen der Armee im Nordirak verlängert wird. Dies gilt als sicher.
Obwohl es in den vergangenen Wochen relativ ruhig blieb, ist die Wut der Bevölkerung auf die PKK kaum abgeflaut. Aufgehetzt auch durch nationalistische Medien, in denen schon mal gefordert wurde, man solle für jeden getöteten Soldaten drei Mitglieder der kurdischen Partei DTP erschießen, wird die nunmehr seit über 20 Jahren andauernde Auseinandersetzung mit der PKK mehr und mehr zu einem latenten ethnischen Konflikt. In der vergangenen Woche kam es in dem Ägäisstädtchen Ayvalik zu wüsten Ausschreitungen gegen kurdische Geschäfte, nachdem ein Kurde mit einem Kleinlaster in eine an einem Kiosk wartende Gruppe von Türken gefahren war und dabei zwei Menschen getötet hatte. Wütende Demonstranten forderten daraufhin: "Kurden raus!"
Gleichzeitig ist die kurdische DTP mit einem Parteiverbotsverfahren konfrontiert und die regierende AKP - nachdem ein Verbotsverfahren gegen sie im Juli abgewendet worden war - tut nun wenig, um der DTP zu helfen. Auf der anderen Seite unternimmt die PKK alles, um den Konflikt weiter anzuheizen. So hatte sie angekündigt, über die religiösen Feiertage nach dem Ende des Fastenmonats Ramadan die Waffen schweigen zu lassen. Stattdessen kam dann der Überfall am Samstagmorgen. Es steht zu befürchten, dass die Armee das nun zum Anlass nimmt, vor Beginn des Winters noch einmal auf breiter Front in den Nordirak einzumarschieren. Gül hat bereits Kontakt zum irakischen Präsidenten Dschalal Talabani, einem Kurden, aufgenommen. Die Unterstützung der USA scheint ebenfalls gegeben. Auch die EU hat den PKK-Überfall scharf verurteilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken