Berliner Europaabgeordnete: Cramer will noch einmal feiern
Nach vier Jahren Brüssel hat Michael Cramer noch nicht genug. Auch die nächsten Jahre will der Grüne im Europaparlament verbringen. Und für eine klimafreundliche Verkehrspolitik werben
Welcher Ort könnte besser geeignet sein für ein Interview mit Michael Cramer als die Berliner S-Bahn. Er ist gerade zu einer Veranstaltung unterwegs und gern bereit, am Handy ein paar Fragen zu seiner Kandidatur fürs Europaparlament zu beantworten. Was hat ihn nach vier Jahren Wanderzirkus zwischen Brüssel, Straßburg und Berlin bewogen, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren?
Die Antwort kommt prompt: "Die Politik funktioniert in Europa ganz anders als im Berliner Abgeordnetenhaus. Hier hab ich nach einer Rede oft zu hören bekommen: Tolle Argumente, aber leider müssen wir uns an Fraktionsabsprachen halten."
In Brüssel hingegen könne auch ein Abgeordneter einer kleinen Fraktion eine Mehrheit bekommen, wenn er gute Argumente habe. "Die Arbeit in Brüssel und Straßburg ist mehr auf Konsens aufgebaut." Als 25-jähriger Spund hätte er damit nicht so viel anfangen können. "Aber als reifer Herr von 59 Jahren bin ich mir bewusst, dass meine Entscheidungen Auswirkungen auf das Leben von 500 Millionen Europäern haben." Verkehrspolitik ist Cramers Leidenschaft, das war im Berliner Abgeordnetenhaus schon so. Und er hat sie auch nach seinem Umzug ins Europaparlament beibehalten. Auch wenn er nach seinem größten politischen Erfolg in der Europapolitik gefragt wird, muss Cramer nicht lange nachdenken: "Dass es mir gelungen ist, meinen Berliner Mauerweg auf die europäische Ebene zu tragen und dafür im EU-Haushalt Mittel zu bekommen." Der "Iron Curtain Trail", zu deutsch "Europa-Radweg Eiserner Vorhang", führt über 6.800 Kilometer an 20 Staatsgrenzen entlang. 14 EU-Länder sind daran beteiligt - für Cramer ein Vorzeigeprojekt. Europäischer Verkehr soll umweltfreundlich sein und die Menschen aus Ost und Welt näher zusammenbringen. Früher brauchte Cramer 60 Stunden, um vom nördlichsten Zipfel des Baltikums, der estnischen Hauptstadt Tallinn, per Bahn nach Berlin zu gelangen. Er setzte sich dafür ein, dass die "Rail Baltica", also die Bahnverbindung zwischen Berlin, Warschau und Tallinn zu einem der sechs wichtigsten EU-Verkehrsprojekte gemacht wurde.
Beim Thema Verkehrspolitik kann sich der sonst so freundlich auftretende Exlehrer so richtig in Rage reden. "30 Prozent des CO2-Ausstoßes in der EU entstehen im Verkehr. In den Städten sind es sogar 40 Prozent. Nimmt man alle Klimagase zusammen, entstehen sogar 70 Prozent davon im städtischen Verkehr." Da 80 Prozent der Europäer in Städten leben, rechnet Cramer weiter vor, stecke im städtischen Verkehr das größte Sparpotenzial für den Klimaschutz.
Tiefste Verachtung empfindet der Grüne "für Leute, die mit dem Auto sechs Kilometer zum Fitness-Center fahren, sich dort auf dem Hometrainer die Kalorien abstrampeln und mit dem Auto wieder zurückfahren".
Deshalb empfindet er auch seine eigene CO2-Bilanz als größten Negativposten. Denn der Wanderzirkus zwischen Brüssel, Straßburg und Berlin lässt sich mit dem Fahrrad oder dem Zug nicht bewältigen. Seit 1979 besitzt Cramer kein Auto mehr. "Ich bin in den letzten vier Jahren mehr geflogen als in meinem restlichen Leben zusammen."
Dennoch will Cramer das Nomadenleben beibehalten. Am Samstag wird er sich im Berliner Landesausschuss um eine positive Empfehlung für den grünen Bundesparteitag im Januar in Dortmund bewerben. Dort, so hofft er, werden ihn die Delegierten auf einen sicheren Listenplatz für die Europawahl im Juni 2009 heben.
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