Lehrer im Ausstand: Der Streik ist kein Kinderspiel
Weil Erzieher und Lehrer die Arbeit niederlegen, müssen Eltern die Kinderbetreuung organisieren. Dabei streikt nur jeder fünfte Lehrer: "Vielen Pädagogen blutet das Herz", so die Gewerkschaft.
Die gelben Schilder sind nicht zu übersehen. "Wir streiken" steht in großen Lettern auf den Zetteln, die jemand von innen an die Fensterscheiben der Klassenzimmer geklebt hat. Der Unterricht in der Kreuzberger Hunsrück-Grundschule, eigentlich eine Ganztagsschule, fällt am Nachmittag aus. Und so eilen die Eltern nun schon mittags über den Hof, um ihre Kinder abzuholen, zweieinhalb Stunden früher als sonst.
Seit Montag wird nicht nur in den Bürgerämtern, den Ordnungsämtern, den KfZ-Zulassungsstellen, sondern erneut auch an den Schulen gestreikt (siehe Kasten). Für viele Eltern ist das eine organisatorische Herausforderung. An der Hunsrück-Grundschule haben von den neun angestellten Lehrern zwar nur drei die Arbeit niedergelegt, doch alle 24 Erzieherinnen seien in den Ausstand getreten, sagt der Schulleiter Mario Dobe. "Wir haben für die ganze Schule einen neuen Stundenplan aufstellen müssen." Es gebe bis 16 Uhr eine Notbetreuung mit zwei Erzieherinnen aus einer benachbarten Grundschule. Die Frühbetreuung von 6 bis 7.30 Uhr falle jedoch gänzlich aus, ebenso wie die Spätbetreuung bis 18 Uhr.
Anke Hahn zieht schwungvoll die Eingangstür der Grundschule auf. Es ist halb zwei, sie muss ihre beiden Kinder abholen. Eigentlich arbeitet die alleinerziehende Mutter um diese Zeit noch im Filmmuseum. "Für mich ist der Streik total beknackt. Ich bin nur froh, dass mein Arbeitgeber relativ viel Verständnis aufbringt." Grundsätzlich könne sie die Forderungen der Gewerkschaften zwar sehr gut nachvollziehen. "Aber ob beim Senat wirklich etwas vom Streik ankommt? Da bin ich mir nicht so sicher."
Ein berechtigter Einwand, zumal die Lage an vielen Schulen weniger dramatisch ist als an der Hunsrück-Grundschule. "Wir haben genug Vertretungen, bei uns läuft alles nach Plan", heißt es in mehreren Sekretariaten. Nach Schätzungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) haben von den rund 5.000 angestellten Lehrern am Montag 1.000 gestreikt - also lediglich ein Fünftel. Sprecher Peter Sinram sagt, er sei mit dieser Zahl trotzdem zufrieden. "Vielen Pädagogen blutet das Herz, wenn sie den eigenen Unterricht bestreiken sollen."
Genau darauf spekuliert der Landeselternausschuss. "Wir bitten die angestellten Lehrer und Erzieher, von ihrem Streikrecht nicht Gebrauch zu machen", sagt der Vorsitzende André Schindler. Und trifft auch auf offene Ohren: "Ich beteilige mich nicht", berichtet eine Erzieherin aus Friedrichshain. "Die Kinder, die ich betreue, tun mir leid. Auch den Eltern gegenüber habe ich eine Verpflichtung."
Für Väter und Mütter, die ihre Zeit selbst einteilen können, ist der Streik kein Problem. Andere müssen den Nachwuchs in der Notbetreuung lassen. Am Nachmittag spielen über dreißig Jungen und Mädchen in der Hunsrück-Grundschule auf dem Teppich. Ältere und Jüngere, viele kennen sich nicht. Auch die zwei Erzieherinnen sehen die Kinder zum ersten Mal. Anhand von Listen versuchen sie den Überblick zu behalten, wer sich da eigentlich in ihrer Obhut befindet. Einige Räume weiter tobt gerade eine Kissenschlacht, mittendrin eine Mutter. Für die 3c haben die Eltern selbst die Betreuung organisiert. Die Mutter sagt: "Für die Kinder ist es besser, sie sind bei jemandem, der sie auch kennt."
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