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Ken-Loach-Film "It's a free world"Eine Sackgasse in West-London

Ken Loachs "Its a Free World" ist ein Film über die kapitalistische Ausbeutung. Er erzählt die Geschichte einer allein erziehenden Mutter, die vom Opfer zum Täter wird.

Hat einen Blick fürs Geschäft: Kierston Wareing als Angie. Bild: dpa

Ken Loach kriegt es hin, dass der, der im Kino sitzt, zu tun hat. Während der Projektion wird sich irgendwann die Haltung, die man einnimmt, ändern. Wann genau, ist jedem Einzelnen überlassen. Im Ergebnis ein intensives Wahrnehmungserlebnis. Ein Opfer wird unter der Hand zum Täter. Es wird Monster. Es geht nicht anders in der marktorientierten Wirtschaft. Sie korrumpiert. Sie bemächtigt sich auch derer, die sich raushalten wollten. Loach hat es sich mit seinen Filmen bisher leicht gemacht. Er wählte die klare Perspektive auf Arbeiter, Arbeitslose, Immigranten und Opfer der Privatisierung. Wir konnten das, was zu sehen und analysieren war, abnicken und uns empören. Über den Verlust der Arbeitsplatzsicherheit in "The Flickering Flame". Über das Schicksal mexikanischer Immigranten in den USA ("Bread and Roses"), über Opfer von Privatisierung und Rationalisierung ("The Navigators").

In "Its a Free World" ist es vorbei mit der Bequemlichkeit, Loachs Filme wahrzunehmen. Angie (Kierston Wareing) verdient zunächst unsere Empathie. Sie ist in ihrem Betrieb, einer Agentur, die osteuropäische Arbeiter zwecks Ausbeutung nach London vermittelt, selbst Opfer, sexuell belästigt durch den Vorgesetzten und vor die Tür gesetzt. Sie emanzipiert sich mit Hilfe der Freundin Rose (Juliet Ellis). Angie ist Alleinerziehende. Sie muss was tun, um ihr Kind durchzubringen. Sie ist unsere Frau. Sie kämpft. Wie? Bloß nicht den elften Job in sechs Jahren. Selbst Unternehmerin werden, ist angesagt. Wir werden Zeugen, wie das geht. Das Ende ist abscheulich.

Angie wird Geschäftsfrau, hart. Topaffirmativ gründet sie selbst eine Agentur, um Ukrainer für den Zeitarbeitermarkt zu rekrutieren. Für den Supermarkt gleich um die Ecke von der Sackgasse Leighton Street, Croydon, West-London. Wir bleiben auf der Straße. Trist und schäbig. So was gibts überall. In Hamburg gibt es drei Euro die Stunde, wenn überhaupt. Gebühren und Miete müssen die Zeitarbeitsuchenden bezahlen. Wenn die Massenunterkünfte nicht reichen, werden einfach andere Papierlose bei der Polizei angezeigt. Dann gibts Platz. Die Bosse der organisierten Kriminalität von Menschenhändlern und Unternehmen bleiben anonym. Sie zahlen sowieso nicht.

Angie ist zäh. Sie tuts ihnen gleich. In ihrer Sackgasse. Sie nutzt ihre Vorteile. Sie macht einen schönen Ukrainer an, Karol (Leslaw Zurek), zwecks sexueller Ausbeutung. Ihre Freundin Rose macht nicht mehr mit. Aber so einfach ist Angies Haltungs- und unser Sympathiewechsel nicht. Sie bringt sie in ihrer Wohnung eine iranische Familie unter, die sie dauert. Auf der Tonspur belohnt Streichmusik ihre gute Tat. Ironie? Sicher nicht. Loach meint es ernst. Wir hören den Film hindurch genug, wie das Cello gestrichen wird. Warum? Ist das die Musik der Opfer von Liberalisierung und Globalisierung? Schon klar, es ist die Musik für die, die im Kino von "Its a Free World" gepackt und emotional eingebunden werden sollen. Eine eindeutige Adresse und eine Aufdringlichkeit.

Entscheidend für die Wahrnehmung des Films ist die Tonspur jedoch nicht. Denn ganz im Vordergrund steht das eindringliche Spiel der großartigen Schauspielerin Kierston Wareing, die zum ersten Mal in einem großen Spielfilm zu sehen ist. Es geht nicht anders, als an ihren Entschlüssen, Ambivalenzen, Eskapaden, Brutalitäten und an ihrer Einvernahme ins Ausbeutersystem teilzunehmen - mit Erleichterung, mit gemischten Gefühlen, mit Leiden und Abstoßung. Alles zusammen. Was ist das Fazit? Wird Angie sich aus dem gnadenlosen System des freien Unternehmertums befreien können? Definitiv nein, sie kann es nicht. Loach belässt es dabei, den Zustand zu beschreiben. Wir können auf nichts hoffen. Die Ermahnungen ihres Vaters, des gestandenen Arbeiters - Zuverlässigkeit, Gründlichkeit, Verantwortung - verhallen. Arbeiterkultur gibt es nicht mehr. Gewerkschaften können in diesem Film keine Rolle spielen, und sie spielen auch keine. Wer dann? Wir wollen Angie wiederhaben, in ihrer wahren Identität, die vom Anfang des Films! Aber Loach ist kein Messias. Er rüttelt auf, das ist die große Wirkung von "Its a Free World". Jetzt sind andere dran, innerhalb oder außerhalb des Filmwesens. Wir?

DIETRICH KUHLBRODT

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