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Neues Kanye West-AlbumDer Obama des amerikanischen Pop

Eine erstaunliche Platte: Der Rap-Superstar Kanye West hört auf dem Höhepunkt seines Ruhms auf, Hiphop zu machen und erfindet sich neu.

Sieht so ein Rapper aus? Kayne West.

Er ist der interessanteste Popstar der Nullerjahre. Man könnte Kanye West den Obama des amerikanischen Pop nennen, wenn diese begriffliche Übertragung nicht so entsetzlich abgegriffen wäre - im Fall von Kanye West hat sie einiges für sich.

Denn mit seinem neuen Album "Heartbreaks & 808s" begibt sich West, der Rapper aus Chicago, auf einen ähnlichen Weg wie der Senator aus Chicago: Kein Hiphop-Künstler hat auf dem Höhepunkt seines Erfolgs gewagt, was Kanye West macht: Er hört einfach auf, Hiphop zu machen, und erfindet sich künstlerisch neu. Diese Art von selbstbestimmtem Neuanfang war bisher weißen Superstars vorbehalten: Radiohead etwa oder David Bowie. Wie weit er damit kommt? Man wird sehen.

"Heartbreaks & 808s" ist so weit von Hiphop entfernt, dass man die Verbindung nur noch ahnen kann. Hier wird nicht mehr gerappt, und auch wenn die titelgebende Roland 808 Drummachine zum Einsatz kommt (seit den Anfängen eine der grundlegenden Boomboxen des Hiphop), klingen die Rhythmusspuren fast nie nach den synkopierten Beats des Genres. Breite Synthesizerwände, Streicher und der allgegenwärtige Autotune-Effekt beherrschen den Klang - jene Digitalmaschine, die einmal erfunden wurde, um eine Stimme künstlich auf Tonhöhe zu halten. Cher hat Autotune in "Believe" das erste Mal massenwirksam als Effekt eingesetzt. Gegenwärtig hat es im schwarzen Pop der USA eine Verbreitung wie das Wahwah-Pedal im Psychedelic Rock - jeder benutzt es, auch Kanye West. Mit erstaunlichen Resultaten. "Heartbreaks & 808s" ist eine Trauerplatte, sie handelt vom Tod der Mutter von Kanye West und vom Ende seiner langjährigen Beziehung. Und gerade in dem endlosen digitalen Überschnappen von Wests Stimme klingelt eine ganze Menge genuiner Traurigkeit durch. Sei es ein Stück wie "Love Lockdown" oder "Say You Will" - man bekommt das Computergegurgel von Kanyes verzerrter Stimme kaum noch aus dem Kopf.

Dabei kann man die Rolle von Kanye West für den Hiphop der Nullerjahre gar nicht überschätzen. Er begann als Produzent des Rappers Jay-Z, bevor ihm mit seinem Album "College Dropout" das Kunststück gelang, für ein Genre, das in alle möglichen Spielarten zerfiel, wieder eine gemeinsame Sprache zu finden. Er stilisierte sich zum "first nigga with a Benz and a backpack", verband den sich sonst in Sektierertum verlierenden Underground-Hiphop mit dem Statussymbole feiernden Mainstream (vergangenen Sommer brachte er Louis Vuitton dazu, ihm einen Rucksack maßzuschneidern - das sind die Vorteile des Superstar-Daseins!). Musikalisch führte er den klassischen Sample-basierten Hiphop mit zeitgenössischen Cyberbeats zusammen.

"College Dropout", "Late Registration" und "Graduation" heißen seine drei bisherigen Alben. Sie bilden eine inhaltlich lose verknüpfte Trilogie, Kanye Wests Lehrjahre, wenn man so will, den Bildungsroman eines Rappers, der sich auf dem Weg zu Höherem befindet. In diesem Sinne hätte er sein neues Album natürlich auch "Figuring Things Out in Europe" nennen können. Nicht nur, weil er sich die Freiheit nimmt, mit sämtlichen Genrespielregeln zu brechen, oder weil er sich bei einigen musikalischen Stilen bedient, die man gemeinhin mit Europa verbindet - der Bruch, den er hier vollzieht, ist am ehesten jenem Schritt vergleichbar, mit dem junge Amerikaner auf das nächste Karriereplateau vorbereiten.

Das Spezielle an dieser Platte ist jedoch, mit welcher Sicherheit West diesen Übergang in der Mitte des Mainstreams geschehen lässt. Hiphop mag zur bedeutensten Popmusik der Welt geworden sein. Doch ein Teil der Ratlosigkeit, die diese Musik in den vergangenen Jahren immer auch mitkommunizierte, hatte mit der Unschlüssigkeit zu tun, was man mit dem Erreichten anfangen könne, wohin der Weg nun gehen solle. Den immergleichen Aufstieg aus dem Ghetto zelebrieren, wird irgendwann schlicht langweilig, genau wie der ewige Rekurs auf die vermeintlich goldene Vergangenheit, in die sich die meisten Rapper flüchten, wenn sie glauben ein substanzielles Statement machen zu müssen.

Mit "808s & Heartbreak" macht Kanye West nun einen ganz anderen Vorschlag: Man könnte die letzten Reste des minoritären Sprechens aufgeben und Pop werden, der keine Hautfarbe mehr hat. TOBIAS RAPP

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5 Kommentare

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  • G
    Geiger

    Ich habe den Artikel am Freitagabend gelesen. Meiner Meinung nach ist er sehr gut gelungen.

    Mama, Love, Heartbreak, 808s, Boomboxes und das ganze mit Obama zu vergleichen hat mir Spaß gemacht beim lesen. Gut den Kanye so zu zeichnen. Ich hatte danach sogar Lust auf das Album, obwohl ich mich anfangs nicht damit anfreunden konnte und es mir deshalb nur selten angehört habe. Das liegt vielleicht daran das ich zu sehr an den West gewöhnt bin den ich bisher kannte. Die ersten Klänge wohl zu ungewohnt waren. Nach Abschluss/Graduation seiner Triologie war es sehr mutig oder vielleicht sogar notwendig sowas zu bringen.

    Es gefällt mir immer besser was er jetzt macht. Insofern sollte man das Album auch wenn es umgewöhnungsbedürftig ist nicht gleich abschreiben. Schön das in dem Artikel nochmal deutlich wird was KANYE mit „808s & Heratbreak“ eigentlich gerade bringt. Er schreibt ein weiteres Stück POP-Politik-Geschichte.

  • M
    Musikliebhaber

    Der Artikel ist zwar an sich interessant geschrieben, bleibt aber teilweise einfach nur oberflächlich. Was ich aber wirklich schlimm finde, ist die Tatsache, dass der Autor des Artikels offenbar nicht einmal den Namen des Albums kennt über das er hier schreibt. Es heißt "808s and Heartbreak".

  • TR
    Tobias Rapp

    Wirklich. Ich bin ja einiges gewöhnt. Aber hier? Ist die 808 keine Drummachine? Wird sie nicht seit Jahr und Tag im Hiphop eingesetzt? Sagt man nur zu Kassettenrekordern Boombox?

  • TR
    Tobias Rapp

    Wo ist noch mal genau das Problem?

  • L
    Leser

    " ...auch wenn die titelgebende Roland 808 *Drummachine* zum Einsatz kommt (seit den Anfängen eine der grundlegenden *Boomboxen* des Hiphop) ..."

     

    Journalisten, die mit irgendwelchen aufgeschnappten Begriffen um sich werfen, ohne zu wissen, wovon sie überhaupt reden - immer wieder lustig anzusehen.

     

    "Man könnte Kanye West den Obama des amerikanischen Pop nennen, wenn diese begriffliche Übertragung nicht so entsetzlich abgegriffen wäre..."

     

    Für den Aufmacher des Artikels war sie dann wohl doch noch gut genug. Oh Mann...