Kai Althoff in Kanada: Eine Gemeinschaft am Webstuhl
Kai Althoffs Werke sind involvierend. Zur Bespielung einer Ausstellung in Kanada hat er wieder andere Künstler eingeladen.
Das Werk Kai Althoffs umfasst alle denkbaren künstlerischen Medien. "Workshop", der Titel seiner ersten Einzelausstellung 1989 in Köln und zugleich der Name seiner mit Stephan Abry gegründeten Musikgruppe, wirkt programmatisch im Sinne einer prozessorientierten Arbeitsweise im Spannungsfeld von Einzelkünsten (Malen, Zeichnen, Schreiben) und Gruppenkünsten (Theater, Musik, Film). Neben der Anfertigung von Zeichnungen, Malereien, Texten und Collagen umfasst diese unerschöpfliche Produktion die Gestaltung von Räumen, Requisiten und Personal fiktiver Gesellschaften.
Dem liegt die Fantasie einer Lebensgemeinschaft von Gleichgesinnten zugrunde und damit verbunden die Fantasie einer Art totalen zwischenmenschlichen Kommunikation. Im Kontrast hierzu basieren Althoffs installative Arrangements oft auf grausamen Geschichten, die von Gewalt und Ausschluss handeln. Meist arbeitet er maximal zu zweit daran, sich weitere Akteure auszudenken, die dann so klingende Namen tragen wie "Francia Gimble Masters", "Hakelhug" oder "Kolten Flynn" wie etwa bei der Zusammenarbeit mit Lutz Braun für die 4. Berlin Biennale, in der die beiden Künstler eine Plattenbauwohnung mit "Kindheitsmaterial" bespielten.
Seit letzter Woche zeigt die Vancouver Art Gallery die erste Ausstellung von Kai Althoff in Kanada. Es ist nach "Kai Kein Respekt" (ICA Boston, 2004) und "Ich meine es auf jeden Fall schlecht mit Ihnen" (Kunsthalle Zürich, 2007) die dritte Ausstellung, die sich, neben neuen Arbeiten, größeren Ausschnitten aus dem Gesamtwerk des 1966 in Köln geborenen Künstlers widmet. Althoff möchte nicht in der Deutungsperspektive des popkulturellen Umfelds der BRD der 70er-/80er- und ihrer Postperiode der 90er-Jahre bzw. des Kunststadtmythos Köln mit seinen Protagonisten von Martin Kippenberger bis Cosima von Bonin u. a. gesehen werden. Lieber schafft er Bezüge im eigenen Gesamtwerk oder lädt andere Künstler ein, einen Teil seiner Ausstellungen zu bespielen.
In diesem Fall den Kunsthochschulabgänger Travis Joseph Meinolf aus San Francisco, der in seiner pamphletartigen Abschlussarbeit dafür plädiert, sich die Praktiken der Produktion existenzieller Lebensgüter wie Kleidung oder Brot kollektiv wiederanzueignen. Er entwickelte eine Leichtbauweise für Webstühle, die er nun in Museen und Galerien aufstellt, um dort Menschen das Weben von wärmenden Decken beizubringen. Althoff hat unter dem Pseudonym "Joey Engelhardt" den Weblehrgang mit Zeichnungen bebildert und in einem der Museumsräume eine Sitzlandschaft aus weißen Holzmöbeln mit leuchtend blauen Polsterkissen dafür geschaffen. Meinolf ist echt. Er könnte aber, so denkt man unweigerlich, eine von Althoffs Kunstfiguren sein. Bis hin zum Namen passt er als Akteur perfekt ins Repertoire eines imaginierten Gemeinschaftsidylls.
In der Tanzaufführung "I will be last", die am Eröffnungstag im angrenzenden Raum stattfand und an der auch Meinolf teilnahm, arbeitete Althoff mit einer Gruppe von Laientänzern, wobei seine eigene Rolle zwischen dem Fremden als Eindringling und einer Art Master of Ceremony changierte. In dem episodenhaften Spiel ging es offensichtlich, weniger idyllisch, um Dominanzverhältnisse, ausgedrückt durch den Kampf um eine Frau. Improvisierter Ausdruckstanz mischte sich mit formalisierten theatralischen Gesten und kunstvoll gestalteten Requisiten. Das Thema regressiver Gruppendynamik erschien, wie oft bei Althoff, im ästhetischen Verfahren transzendiert. In einem weiteren Trakt stößt man auf einen von Jeff Wall ausgewählten Querschnitt durch das malerische Werk des Künstlers. Alles in allem ein gelungenes Szenario für die neue Produktion, der der Eingangsraum vorbehalten ist.
Hier befinden sich filigrane Eisenskulpturen, die in Zusammenarbeit mit dem Kunstschmied Michael Hammers entstanden sind. Eine große gewundene Gestalt aus gebogenen, wie geflochten wirkenden, angerosteten Stangen in einer Art Yogapose könnte eine verräumlichte, von fernöstlichem Formenrepertoire inspirierte Zeichnung Althoffs sein. Sie wirkt körperlos, bestehend vorwiegend aus Händen, Füßen und Gesicht. Neben ihr stehen ein glocken- und ein kegelförmiger Kunstharzkörper, farbig auf weiß lackierten Beinen mit im Bogen darüber liegenden Stangen. Dazu kommt ein Vogelkäfig mit ockerfarben lackiertem Gitter, in dem ein grüner Plastiklöwe mit knallgelber Wollmähne sitzt. Sein roter Sockel hat vier ausgestellte Füße, das Muster des Käfiggitters enthält Hände und Schlüssel. Hand-, Fuß- und Torsymboliken finden sich in allen vier Arbeiten. Im selben Raum sind Vitrinen mit Neuanordnungen von Material aus der oben erwähnten Arbeit "Kolten Flynn" aufgestellt, Spielzeug, Kinderzeichnungen, Briefe an und von fiktiven Kameraden. Die Ausstellungsstücke in diesem Raum umfassen ein Spektrum biografischer und künstlerischer Elemente von Kindheit bis Gegenwart. Rückkopplungen innerhalb des eigenen Schaffens schirmen es gegen ungewünschte Kanonisierungen umso besser ab.
Bis 15. Februar 2009, Vancouver Art Gallery, Vancouver
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!