Ausstellung: "Auf gepackten Koffern": "Abschiebehaft macht die Menschen krank"
Das Leben in einem Abschiebegefängnis ist die Hölle, erzählt die Armenierin Silvia Sarkisyan. "Sogar mit einem Hund geht man besser um." Der einzige Lichtblick sei das Zusammensein mit den anderen Frauen.
SILVIA SARKISYAN, 47, ist Konditorin aus Armenien. Das Interview wurde in Dezember 2007 in ihrem Wohnheim geführt. Am 22. Januar 2008 wurde sie zu Hause unerwartet von der Polizei abgeholt und wieder in Abschiebehaft gebracht. Ihre Anwältin wurde nicht informiert. Zwei Tage später wurde sie nach Armenien abgeschoben.
Das Interview mit Silvia Sarkisyan ist Teil der Ausstellung "Auf gepackten Koffern - Leben in der Abschiebehaft", die heute im Bezirksamt Kreuzberg (Yorkstr. 4-11) eröffnet. In acht Interviews schildern dort Menschen verschiedener Nationalität, die eine Zeit lang im Abschiebeknast Köpenick inhaftiert waren, ihre persönliche Situation. Dazu gibt es acht Kapitel über die Probleme in der Abschiebehaft, etwa über die gesundheitliche Versorgung, die Trennung von der Familie oder die Ohnmacht gegenüber den Behörden. Die Ausstellung wurde konzipiert und realisiert vom Flüchtlingsrat Berlin in Zusammenarbeit mit der Cimade Paris, der Initiative gegen Abschiebehaft und Pro Asyl. Sie ist zu den regulären Bürozeiten des Bezirksamtes zu sehen bis 2. Januar.
taz: Frau Sarkisyan, warum sind Sie nach Deutschland gekommen?
Ich bin aus Armenien geflohen und wollte nach Spanien. Die Leute, mit denen ich gekommen bin, sind aber nicht weitergefahren. So bin ich hier gelandet. Ich habe versucht zu arbeiten und Geld zu verdienen, um weiterzureisen. Dann wurde ich kontrolliert und inhaftiert.
Wie waren die ersten Momente in Abschiebehaft?
Es war ein großer Schock, viel Stress. Ich finde kaum Worte. Ich habe nicht verstanden, was passierte. Sie haben mich wie ein Tier hinter Gitter gesperrt. Ich hatte Angst, die Polizei würde mich schlagen.
Wurden Sie gut betreut?
Ein Polizist wollte mich beruhigen und sagte: "Sie brauchen keine Angst zu haben, es wird Ihnen nichts passieren. Sie werden abgeschoben." Das hat mich erst recht in Angst versetzt, ich war doch aus Armenien geflohen. Und von Tag zu Tag wurde die Angst in der Haft größer.
Wie sieht der Alltag in der Abschiebehaft aus?
Das Leben in der Haft ist sehr schwierig. Es ist ein Gefängnis, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Aber diesmal bin ich selbst drin. Eine unvollstellbare Situation. Alles, was mir im Leben passiert ist, ist mir wie im Film durch den Kopf gegangen. Die Unsicherheit, nicht zu wissen, was kommt, hat mich fertiggemacht. Ich habe mich gefühlt wie in der Hölle. Ich wurde krank und hatte Angst, dort zu sterben.
Welchen Kontakt hatten Sie mit Leuten außerhalb der Haft?
Die einzigen guten Momente waren die Besuche, die ich dort bekam. Da habe ich viel Stress vergessen. Ich hatte aber selten Besuch: Ich habe keine Familie hier. Nur ein einziger Mensch hat mich besucht. Ich fühlte mich sehr einsam. Am meisten habe ich an meine Kinder gedacht. Das hat mir Kraft gegeben. Manche sagen, die Abschiebehaft sei wie "normales Leben minus Freiheit".
Finden Sie das auch?
Nein, das hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Ich würde lieber vier Monate draußen bei trockenem Brot leben, als in der Haft zu sein. Wie kann man einem Mensch die Freiheit entziehen? Die Menschen, die so was sagen, haben überhaupt keine Ahnung vom Leben in der Haft. Seit ich entlassen wurde, habe ich jeden Morgen Gott dafür gedankt. Und ich bete jeden Tag, dass die anderen auch freigelassen werden.
Haben Sie auch etwas Positives erlebt in der Haft ?
Ich habe dort Deutsch gelernt. Unter all den Frauen aus verschiedenen Ländern - Russland, der Mongolei, Vietnam, Afrika - mussten wir uns auf Deutsch verständigen. Wir haben uns gut verstanden, dafür, dass wir uns nicht kannten. Ich habe von den anderen auch immer Unterstützung erhalten. Wir haben das Essen geteilt. Sie haben mich "Mama Silvia" genannt. Ich habe gekocht und aufgeräumt, damit die Zeit vergeht.
Wie finden Sie es, dass die Papiere hierzulande alles regeln?
Ja, in Deutschland sind die Papiere wichtiger als die persönliche Geschichte. Sie versuchen damit die Grenzen zu schließen. Aber ich bin trotzdem gekommen - gegen die Regeln. Wer bin ich, um zu sagen, ob das richtig oder falsch ist?
Wollen Sie in Deutschland bleiben ?
Ich fühle mich hier frei. Nicht vergleichbar mit Armenien oder Russland, da zeigen die Reichen, dass sie viel Geld haben. Hier wird wenig geprotzt. In Armenien habe ich mein Leben lang gearbeitet, geschuftet wie blöd - wofür? Ich hatte trotzdem nicht genug Geld zum Leben.
Wie erging es Ihnen gesundheitlich in der Haft?
Die Abschiebehaft macht die Menschen krank. Richtig kaputt. Ich war vorher gesund. In der Haft war ich ganz oft bei den Polizeiärzten, die mich auch ein paarmal ins Krankenhaus geschickt haben. Selbst die Ärzte haben nicht verstanden, was mit mir los ist.
Wie fanden Sie die ärztliche Versorgung ?
Es hat mich sehr getroffen, als ein Sanitäter einmal sagte: " Sie sind nicht krank, Sie haben ein Problem im Kopf." Und mit dem Finger auf seinen Kopf zeigte. Ich hatte Bluthochdruck, und es gab auch Irritationen, weil ich nicht die richtigen Medikamente bekam oder mein Blutdruck vom Sanitäter nicht gemessen wurde. Aber als ich dann Tabletten bekam, die funktionierten, ging es etwas besser.
Haben Sie mit den Ärzten reden können?
Mit der Psychologin habe ich mithilfe einer russischen Dolmetscherin geredet. Aber meine Muttersprache ist Armenisch, und bestimmte Sachen kann ich nicht auf Russisch erklären. Als ich Herzprobleme hatte, kam ich mit Verdacht auf Herzinfarkt zum Sanitäter. Man hätte mich aber sofort ins Krankenhaus bringen müssen. Ich hätte sterben können. Das interessiert sie nicht. Das ist verletzend. Die Ärzte denken oft, dass wir Theater spielen, und riskieren so unseren Tod.
Sie müssen für jeden Tag in Haft 65 Euro zahlen. Was halten Sie davon?
Es ist bescheuert, dass wir so viel Geld zahlen müssen. Wie in einem Hotel. Ich weiß nicht, wofür man das Geld zahlt. Sind die Handschellen so teuer? Oder die Durchsuchungen?
Gab es Durchsuchungen?
Während der Haft wurde ich zweimal komplett durchsucht. Sie haben mich am ganzen Körper abgetastet. Im Zimmer haben sie alles, auch das Essen, auf den Boden geschmissen.
Weshalb wurden sie durchsucht?
Einmal, weil jemandem Geld gestohlen wurde. Das andere Mal, weil eine Frau ein bisschen durchgedreht war und sie dachten, sie hätte gekifft. Sie haben Drogen gesucht. Sie sind reingestürmt. Das war richtig stressig für mich, weil ich nicht wusste, was los war. Erklärt wurde nichts. Sie haben uns am Kragen gepackt und an die Wand gestoßen. Ich hatte viel Angst. Ich fühlte mich ohnmächtig wie ein Hund. Aber sogar mit einem Hund geht man besser um als mit den Menschen in der Abschiebehaft. Ein anderes Mal wurde ich durchsucht, als es mir sehr schlecht ging und ich ins Krankenhaus gebracht werden sollte. Ich habe mit meinem Handy meine Töchter in Armenien angerufen. Als die Polizei mitbekommen hat, dass ich telefonierte, haben sie mir Handschellen angelegt. Ich weiß nicht, warum. Sie haben mich mit der Handschelle an die eine Polizistin festgemacht und mit der anderen Hand an eine andere Polizistin. Sie haben mich dann durchsucht, wirklich überall, schrecklich, auch zwischen den Beinen. Ich weiß nicht, warum sie das gemacht haben. Man darf im Knast mit dem Handy anrufen, aber nach diesem Anruf wurde ich überall durchsucht.
Wie ist es, jetzt wieder aus der Haft raus zu sein?
Ich bin jetzt seit vier Monaten draußen, aber ich denke noch jeden Tag an den Knast. Ich wohne im Heim. Der rollende Wagen der Putzfrau erinnert mich an den Abschiebegewahrsam. Schrecklich. So ganz kleine Sachen. Jeden Tag bin ich im Kopf wieder im Knast.
Was möchten Sie den Besuchern der Ausstellung mitteilen?
Mit jedem Menschen, der nach Deutschland kommt, soll gut umgegangen werden. Man darf Menschen nicht monatelang hinter Gitter stecken. Das Abschiebegefängnis ist ein richtiger Knast. Man soll mit den Menschen mit Respekt umgehen und sie nicht behandeln wie einen Gegenstand. Jeder Mensch ist ein Mensch, egal welche Nationalität, egal welche Haarfarbe, egal welche Religion er oder sie hat.
INTERVIEW: INITIATIVE GEGEN ABSCHIEBEHAFT
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