Rentenansprüche aus NS-Zeit: Ghetto-Arbeiter bleiben ohne Geld

Der Große Senat des Bundessozialgerichts erklärt sich als nicht zuständig für Renten von Ghetto-Insassen. Die Frage bleibt, ob die Arbeit "freiwillig" war.

Eine der wenigen Aufnahmen aus dem Kovno-Ghetto in Litauen. Bild: ap

BERLIN taz Der Große Senat des Bundessozialgerichts hat sich am Freitag der Aufgabe entzogen, endlich für klare Verhältnisse bei Rentenansprüchen zu sorgen, die die ehemaligen Insassen von Gettos im von den Deutschen besetzten Osteuropa für ihre damalige Arbeit geltend gemacht haben. Der Große Senat, zuständig bei unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Senate des Gerichts, verneinte seine Zuständigkeit.

Der Große Senat verwies darauf, dass die Klägerin, eine gebürtige Litauerin und jetzige Israelin, während ihres Getto-Aufenthaltes von Mai 1942 bis Juni 1943 nach Meinung der Vorinstanzen keinerlei Arbeit aufgenommen habe. Damit entfalle die Möglichkeit, über strittige Fragen der Rentenansprüche für diese Opfer zu urteilen.

Ein solches Urteil wäre aber wichtig gewesen, auch für andere hochbetagte Kläger, die sich auf ein Bundesgesetz von 2002 zur "Zahlbarmachung" von Getto-Renten beriefen. Für sie hatten die bisherige Praxis der Behörden und auch die nachfolgenden Prozesse fast unüberwindbare Hindernisse für ihre Rentenansprüche errichtet.

Der Bundestag hatte seinerzeit angesichts der schwierigen Beweislage nur verlangt, dass das Beschäftigungsverhältnis im Getto "glaubhaft" zu machen sei. Zum eigentlichen Problem wurde aber die Forderung nach dem Rentenrecht, wonach die Aufnahme der Arbeit "freiwillig" geschehen sein musste. Anderenfalls wäre Zwangsarbeit anzunehmen, wofür die Opfer durch den entsprechenden Fonds der Bundesregierung und der deutschen Industrie Zahlungen erhalten hätten.

Vielen der Antragsteller wurde vorgehalten, bei den zeitlich weit zurückliegenden Ansprüchen nach dem Bundesentschädigungsgesetz angegeben zu haben, sie hätten unter Zwang im Getto arbeiten müssen. Diese damalige Aussage entsprach auch den generellen Zwangsverhältnissen im Getto. Allerdings schloss der allgegenwärtige Terror in den Gettos nicht aus, dass von den Getto-Opfern Arbeitsverträge eingegangen werden konnten und diese auch entlohnt wurden - entsprechend den üblichen Hungerlöhnen oder in Form von Naturalien.

Die Abgrenzung von Zwangsarbeit und Arbeit kraft "freiwilligen" Willensentschlusses gehörte ebenso wie die Frage, was unter Getto-Bedingungen unter Entgelt zu verstehen sei, zu den Rechtsfragen, über die der Große Senat eigentlich hätte entscheiden sollen.

Auf der Tagung des Münchner Instituts für Zeitgeschichte im April 2008 zur Frage der Getto-Renten wurde im Referat von Stephan Lehnstaedt hervorgehoben, dass die Sozialgerichte der unteren Instanzen meist nur auf der Basis oberflächlicher Kenntnisse über die Wirklichkeit der Gettos urteilten. Sie neigten dazu, überall Zwangsarbeit zu unterstellen, stellten in Abrede, dass es ein Arbeitsentgelt gegeben habe, oder kontrastieren die jetzigen Aussagen der Antragsteller mit denen, die seinerzeit im Rahmen von Entschädigungsverfahren für die erlittene Getto-Haft gemacht worden waren.

Die Entscheidung, ob das Arbeitsverhältnis "freiwillig" oder unter unmittelbarem Zwang erfolgte, wurde dabei fast immer nach Lage der Akten gefällt, sodass denen, die Anträge auf Getto-Renten stellten, keine Gelegenheit gegeben wurde, eventuelle Widersprüche aufzuklären.

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